DNN/LVZ, 09.02.2005
Zu spät
Kommentar von Dirk Birgel
Dresdens Oberbürgermeister hat die Reißleine gezogen. Doch die Amigo-Affäre ist für Ingolf Roßberg damit nicht ausgestanden. Im Gegenteil: Sie geht jetzt erst richtig los. Der als Befreiungsschlag gedachte Rausschmiss des umtriebigen Flutkoordinators Rainer H. Sehm kommt zu spät - viel zu spät!
Es war seinerzeit bereits grotesk, einem mit einer Privatinsolvenz belasteten Mann rund 450 Millionen Euro für die Flutschadensbeseitigung anzuvertrauen. Doch Roßberg schlug alle Warnungen in den Wind und machte den Bock zum Gärtner. Auch als Sehm sein vom OBM auf 9000 Euro verdreifachtes Gehalt am Insolvenzverwalter vorbeischleuste, zauderte Roßberg. Erst der Vorwurf der Bestechlichkeit und die Inhaftierung seines Duz-Freundes ließen Roßberg keinen Ausweg mehr.
Der Schaden, den der Ruf der Landeshauptstadt in den letzten Wochen erlitten hat, ist enorm. In Tagen, in denen Deutschland und die Welt auf Dresden blicken, scheint es hier zuzugehen wie in einem Selbstbedienungsladen. Die Zeche zu zahlen hat der Oberbürgermeister, der seinen zwielichtigen Vertrauten ins Rathaus geholt und zum Schatten-OBM aufsteigen lassen hat. Roßberg kann sich zwar wie jetzt geschehen von Sehm trennen. Den üblen Geruch aber, der über dieser Affäre weht, den wird er nicht mehr los. In den nächsten Monaten werden die Vorgänge im Rathaus in aller Öffentlichkeit juristisch aufgearbeitet. Zwangsläufig fällt dabei jedes Mal der Name Roßberg.
Wenn der Oberbürgermeister zuerst dem Wohle seiner Stadt verpflichtet ist, sollte er für sich selbst Konsequenzen ziehen - auch wenn die Fraktionen im Stadtrat auf den größten Skandal in der Dresdner Nachwendegeschichte bislang bemerkenswert zurückhaltend reagieren.