Handelsblatt Nr. 027, 08.02.2005
Die Geisteraustreiber von Dresden
Wie sich der sächsische Landtag auf seine nächste Demütigung durch die NPD vorbereitet
DRESDEN HANDELSBLATT, 8.2.2005 Die Geister wohnen im ersten Stock. Hinter zwölf hellbraun gebeizten Türen, die sich in nichts von den Hunderten anderen unterscheiden, die von den endlosen Fluren des sächsischen Landtags abgehen. Die hinter diesen Türen an ihren Schreibtischen sitzen, tragen meist Anzug und Krawatte und scheiteln säuberlich ihr Haar. Im Oktober sind sie dort eingezogen, zwölf Abgeordnete einer Partei, die eigentlich wegen erwiesener Verfassungsfeindlichkeit schon längst hätte verboten sein sollen. 9,2 Prozent hatte die NPD in Sachsen bei den Landtagswahlen im September erzielt - nur einen Hauch weniger als die SPD.
Jetzt sitzen die Feinde der parlamentarischen Demokratie also im Parlament in Dresden. In einer Stadt, die selbst ziemlich gespenstisch sein kann. Keine andere deutsche Großstadt wirkt in ihrer Mitte so leer, so unbewohnt: Am 13. Februar 1945 legten britische und amerikanische Bomber die Innenstadt in einem beispiellosen Feuersturm in Schutt und Asche, Tausende kamen um. Damals ist Dresden beinahe gestorben. Aber eben nur beinahe, es lebt noch. Doch wo sich andernorts die Massen durch Fußgängerzonen drängeln, erstreckt sich in Dresdens Innenstadt die Leere. Ungebremst streicht der Winterwind über Brachflächen. Selbst am Schloss, wo sich die Touristen ballen, gähnen noch leere Fensterhöhlen aus zerschossenen Fassaden.
Am Sonntag jährt sich der Tag der Zerstörung zum 60. Mal. In Sachsens Landtag wächst die Furcht, dass an diesem Tag die Geister wieder aus ihren Löchern kommen werden. Und keiner weiß so recht, was man dagegen tun kann.
Bisher jedenfalls hat das Parlament keine Antwort auf die Versuche der NPD gefunden, die Täter- und Opferrollen in der deutschen Geschichte in ihrem Sinne umzudefinieren. "Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass diese Provokationen so konzentriert, zeitnah und zielgenau gesetzt werden", sagt Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU). Wie soll man die NPD etwa daran hindern, weiter den 13. Februar 1945 als "Bomben-Holocaust" zu bezeichnen? Als Abgeordnete stehen die Provokateure unter dem Schutz der parlamentarischen Immunität. Und selbst, wenn nicht: "Jeder weiß, was gemeint ist, jeder ahnt die Provokation. Aber letztlich ist es schwer, nachzuweisen, dass sie tatsächlich die Opfer des Holocaust verhöhnen."
Iltgen zeigt mit dem Finger nach oben: Direkt über seinem Büro hat die NPD ihren Fraktionssaal. Ihn plagt eine Horrorvorstellung: Aus den Fenstern des Landtags lassen sich die rechtsextremen Führungskader von braunen Massen bejubeln. "Die Massen dort - die Bühne hier. Das hat doch symbolische Wirkung." Am Sonntag ist unter Leitung von NPD-Fraktionschef Holger Apfel ein "Trauermarsch" geplant, zu dem Tausende von Rechtsextremen erwartet werden - nebst einem weiteren Tausend linker und mehr oder weniger gewaltbereiter Gegendemonstranten und der damit einhergehenden intensiven Berichterstattung. Den Platz unmittelbar vor dem Landtag hat Iltgen den Demonstranten als Aufmarschgelände verboten. Aber dass die völkischen Kolonnen am Landtag vorbeiziehen, kann er nicht verhindern. Immerhin will er an diesem Tag verbieten, dass Besuchergruppen empfangen werden. So hofft er, wenigstens die NPD-Bundesprominenz von den Landtagsfenstern fern halten zu können. "Dann muss sich notfalls Apfel alleine hinstellen."
Das Geschick, mit dem die NPD auf der parlamentarischen Klaviatur spielt und so den Parlamentarismus ad absurdum führt, hat in Dresden alle überrascht. Fritz Hähle, Fraktionschef der CDU, denkt mit Grausen an eine Debatte im Dezember zurück: Damals hatte eine junge PDS-Abgeordnete, die sich für die Legalisierung von Drogen eingesetzt hatte, ein T-Shirt mit der Aufschrift "Schöner Leben ohne Nazis" zur Schau getragen. Die NPD hatte daraufhin flugs eine Debatte zum Thema "Schöner Leben ohne Drogen" beantragt. "Das hat dazu geführt, dass sich die demokratischen Parteien untereinander beharkt haben", sagt Hähle. "Das war unwürdig. Und die sind dort gesessen und haben sich auf die Schenkel geklopft. Und wir sind über dieses Stöckchen auch gesprungen."
Das wollte man nicht noch einmal mit sich machen lassen - also einigten sich die anderen Fraktionen darauf, auf Anträge der NPD nur noch abgestimmt und so knapp wie möglich zu antworten. Daran hielt man sich, als die NPD ihren Antrag zum 13. Februar stellte - was sich angesichts des Skandals um das böse Wort vom "Bomben-Holocaust" auch wieder als fatal erwies. "Hinterher sagt man sich, da hätte man doch mehr dazu sagen müssen", seufzt Hähle resigniert. "Wir tasten uns eben ran."
Was tun? "Weder ich noch der Landtag als solches kann diesem Treiben ein Ende bereiten", sagt Landtagspräsident Iltgen. "Dem sollte man nicht dadurch begegnen, dass man das verbietet oder sie aus dem Saal schmeißt, sondern man muss sich inhaltlich auseinander setzen." Mit anderen Worten: Wenn die NPD darüber diskutieren will, dass das alles gar nicht so schlimm war mit den Nazis, dann wird künftig darüber diskutiert.
Die CDU, einst allein herrschende und allmächtige Partei in Dresden, trifft diese Herausforderung in einer Zeit, wo sie ohnehin mit dem Lecken der am Wahltag geschlagenen Wunden noch gut beschäftigt wäre. Ministerpräsident Georg Milbradt, der im September 15 Prozent der Wählerstimmen und die absolute Mehrheit verloren hat, muss um seine Autorität kämpfen. Sein geschasster Ex-Wirtschaftsminister Martin Gillo hat ihn unverhohlen aufgefordert, den Parteivorsitz niederzulegen. Gillos unabgesprochener Vorstoß, hinter den sich bisher nur zwei Kreisverbände gestellt haben, sorgt bei vielen in der Partei für Unmut - allerdings stößt man sich mehr an Fragen des Stils und des Zeitpunkts: "Es ist nicht besonders klug, so kurz nach der Wahl Personaldebatten zu führen", bemängelt etwa Hähle. Zu einer beherzten Solidaritätsbekundung für Milbradt lässt er sich indes nicht hinreißen. Besonders perfide ist für die Union der Verdacht, in den eigenen Reihen Parteigänger der NPD zu haben. Bei drei geheimen Wahlen hatten die NPD-Kandidaten zwei Stimmen mehr erhalten, als die NPD Mandate hat. Niemand weiß, wer das war. Aber der Verdacht liegt auf der Unionsfraktion und sät dort Misstrauen. Fast noch schwerer wiegt der Vorwurf der größten Oppositionsfraktion, der PDS, die Union habe mindestens ein regelrechtes NPD-U-Boot in ihren Reihen. "Wenn alle Absprachen zwischen den demokratischen Parteien, bevor sie umgesetzt sind, brühwarm bei der NPD landen, kann man fast gar nichts mehr besprechen", sagt PDS-Fraktionsgeschäftsführer André Hahn. Bei der Union wird bestätigt, dass wiederholt Interna nach draußen gedrungen seien. "Aber wir sehen keinen Zuträger der NPD."
Doch auch die PDS erkennt erst allmählich, was die Gegenwart der NPD im Parlament für sie bedeutet. Nicht nur wildert die NPD im Themenspektrum der Sozialisten. Sie zwingt sie auch in einen von niemandem gewollten Burgfrieden mit der Regierung. So hatte etwa die NPD einen Untersuchungsausschuss zur Sachsen-LB beantragt und damit die PDS gezwungen, ihn abzulehnen - obwohl sie eigentlich selbst einen solchen Antrag geplant hatte. Unschön für eine Oppositionspartei - "und die NPD stellt sich wieder in der Märtyrerrolle dar", sagt Hahn.
Für CDU-Fraktionschef Hähle steht fest: Die Geister austreiben kann nur noch das deutsche Volk selbst - nicht nur am Wahltag, auch schon am kommenden Sonntag: Er setze darauf, dass "Tausende auf die Straße gehen", mit Kerzen, mit weißen Rosen, um den Nazis entgegenzutreten. "Irgend so etwas muss hier geschehen. Ich hoffe, dass es gelingt." Doch der nächste Gedenktag kommt bestimmt: Am 8. Mai jährt sich die Befreiung vom Nationalsozialismus zum 60. Mal. Da werden die Geister wieder aufmarschieren: dann in Berlin.
von Steinbeis, Maximilian