DIE WELT, 26.02.2005
Musterländer
Kommentar von Johann Michael Möller
Über Jahre waren Sachsen und Thüringen die Musterländer im Osten, galten als unangefochtene CDU-Hochburgen und wurden von zwei Patriarchen der deutschen Politik nahezu absolutistisch regiert. Seit dem Generationswechsel in Sachsen ist dieses Bild getrübt. Georg Milbradt, dem der Freistaat eine vorbildliche Haushaltspolitik verdankt, tut sich schwer mit seiner neuen Rolle als Landesvater und mehr noch mit der als Parteichef. Plötzlich häufen sich auch in Sachsen die Pannen und Pleiten. Und schlimmer: in der sächsischen CDU gärt es, die Illoyalitäten nehmen zu und die Rufe nach Milbradts Rücktritt von der Spitze des Landesverbandes werden lauter.
Auch in Thüringen scheint sich Dieter Althaus plötzlich schwerer zu tun, als dies sein Ruf als shooting star der deutschen Politik vermuten läßt. Seinen Landeshaushalt hat er jetzt nur nach zähem Ringen gegen Widerstand aus den eigenen Reihen durchgebracht. Doch man sollte die Situation der beiden Ministerpräsidenten nicht über einen Kamm scheren. Milbradt muß sich mit Pannen und eigenen Fehleinschätzungen herumschlagen, und die Landesbankaffäre könnte auf ihn durchschlagen. Althaus dagegen hat einen Landeshaushalt zu sanieren, der seit langem schon aus dem Ruder gelaufen ist, gegen alle Widerstände im Land. In beiden Fällen aber gibt es eine auffällige Übereinstimmung. Die Frondeure kommen aus den Reihen der Enttäuschten, die bei der Kabinettsumbildung übergangen wurden. Das mag in vielen Fällen menschlich unschön abgelaufen sein, erklärt aber den Ton der Auseinandersetzung. So hat es der frühere thüringische Innenminister Köckert, der über haarsträubende Vorgänge in seinem Ressort gestolpert ist, eben nicht verwunden, politisch ausgemustert worden zu sein. Die Sorgen der neuen Länder sind aber zu groß, um sie zum Spielfeld persönlicher Revanche zu machen.