Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 04.03.2005

Die verunsicherte Sachsen-Union

Auf CDU-Konferenzen muss Ministerpräsident Georg Milbradt scharfe Kritik einstecken
 
Die Verwandlung des Georg Milbradt kommt plötzlich, der sächsische Ministerpräsident braucht dazu nur wenige Minuten. Als der für Sachsens CDU äußerst denkwürdige Abend im Kulturhaus von Bischofswerda beginnt, erleben die Parteifreunde ihren Vorsitzenden als nüchternen Finanzexperten, der mit Klugheit imponiert, aber die wenigsten mitreißt. Den Wahlverlierer, dem die Rolle des Spitzenpolitikers fremd geblieben ist. Der das Dilemma seiner CDU genau benennen kann, und es doch selbst zu verkörpern scheint. 400 Christdemokraten aus Ostsachsen sind zur zweiten Regionalkonferenz der Sachsen-Union gekommen. Auf drei solcher Meetings soll nach dem Wahldebakel vom September eine Zukunft für die verunsicherte Partei gesucht werden, die schon so lange allein in Sachsen herrscht.

In Bischofswerda drängen sich die Leute, die Partei ist aufgescheucht. In diese Stimmung hinein doziert der Professor der Volkswirtschaft erst mal die Gründe für 15 Prozentpunkte Verlust. Wie ein Wahlforscher seziert er seine CDU, die nie bayerische Verhältnisse erreicht habe - auch nicht unter dem Vorgänger Kurt Biedenkopf. Milbradt sagt, dass es dazu an Mitgliedern mangele, auch an der Basis in den großen Städten. Der Vortrag dehnt sich zäh. Bald ruft ein Zuhörer respektlos: "Kommen Sie endlich zur Sache!" Und dann geht es zur Sache. Milbradt wird nicht nur lauter. Er attackiert nun, wie beseelt von einer unendlichen Wut über anonyme Zwischenrufer - über Gegner ohne Gesicht.

"Ich bin nicht sakrosankt"

Schon im Wahlkampf spürte er keinen richtigen Herausforderer. Die NPD gewann ohne Gesicht. Der einzig wahre Gegner war die zähe Missstimmung. Nach der Wahl demontierten ihn politische Heckenschützen, die mit der NPD abstimmten. Jetzt nörgelt es seit Wochen in den Zeitungen. Milbradt solle den Parteivorsitz aufgeben, fordern Kreisverbände. Aber auf der ersten Regionalkonferenz meldet sich kein Kritiker zu Wort. Hoch erregt ruft Milbradt nun, am nächsten Tag sei die Kritik wieder in den Zeitungen gestanden.

"Ich bin nicht sakrosankt", sagt Milbradt. Man könne einen anderen zum Parteichef wählen, gewiss. Und man könne auch einen anderen zum Ministerpräsidenten wählen, ergänzt er mit kratzender Stimme. "Wer das will", brüllt er, "der soll den Mund aufmachen." Und steigert sich: "Wer das aber jetzt nicht macht, soll danach den Mund halten!" Wohl zum ersten Mal in seiner politischen Karriere bekommt er nicht nur respektvollen Beifall, sondern auch "Bravo"-Rufe. Applaus donnert durch die Halle, am Ende springen die Leute auf. Das ist mehr als das routinierte Ritual der Standing Ovations von Parteitagen - und wird zu einem Bekenntnis, gerade weil einige sitzen bleiben.

Zwischen ihnen ragt der schwarze Schopf von Matthias Rößler heraus. Auf ihn richten sich die Blicke. Kommt er aus der Deckung? Der Dresdner galt einmal als große Hoffnung der CDU. Der Rößler der frühen Neunziger war ein Jungspund voller Angriffslust. Einer, der sich eine eigene Meinung leistete. Dann machte Biedenkopf ihn zum Minister, und Rößler kuschte.

Nach dem Wahldebakel im Herbst ging sein Amt an den neuen Koalitionspartner SPD. Noch vor dem zweiten Ex-Minister Martin Gillo, der das Wirtschaftsressort an einen Sozialdemokraten verlor, ist Rößler seitdem der prominenteste Milbradt-Kritiker. Und er greift jetzt auch an. Heftig beklagt der 50-jährige Diplomingenieur fahrig hinter dem Pult, dass Milbradt zwar Kritik an der Partei übe, aber zu wenig von eigenen Fehlern spreche. "Fass Dich auch an Deine Nase", ruft er dem Parteichef zu, unter dessen Führung die Partei auf der Stelle trete. Rößler erinnert an das forsche Konzept, mit dem Milbradt vor drei Jahren sich an die Spitze der CDU setzte und spottet: "Es sieht im Moment nicht so aus, Herr Parteivorsitzender, als ob es Schübe des Neueintritts gibt."

Freimütig plaudert er politische Intimitäten aus und stellt Milbradts angebliche Offenheit für Kritik in Frage. Als er die Koalition mit der SPD kritisieren wollte, habe Milbradt ihn abgebürstet: "Halt die Klappe, Matthias, halt die Klappe!" Dann warnt Rößler, die Partei solle nicht den Eindruck erwecken, die Debatte sei nur dazu gedacht, wie einst die "Verbundenheit mit Partei- und Staatsführung zu bekunden". Dieser Vergleich mit Huldigungsparteitagen der SED löst Empörung aus. Schnell bekommt Rößler zu hören, dass er sich damit für immer für höhere Ämter disqualifiziert habe.

Er ist der Verlierer des Abends. Aber seine Worte lösen eine schonungslose Debatte aus. Es dominieren klare Bekenntnisse zu Milbradt, sein Umfeld freut sich hernach. Jedoch zeigen manche Solidaritätsbekundungen erst, wie heikel seine Stellung ist. Georg Milbradt habe Stärken und Schwächen, erklärt Innenminister Thomas de Maizière freimütig. Über die Schwächen wolle er nicht reden, weil so viel Presse da sei - das lässt viel Raum für Mutmaßungen. Offen bekennt der Minister weiter, dass Milbradt "natürlich schwierig" sei - aber eben "ein Mann für schwierige Zeiten, unser Vormann, und wir wollen ihn unterstützen".

Wenn auch unabsichtlich, charakterisierte er damit offen Milbradts Lage. Man stützt ihn nicht aus uneingeschränkter Überzeugung, sondern im Wissen um seine Defizite in der Selbstdarstellung - aus Mangel an Alternativen. Wird nach Nachfolgern gefragt, sind Maizière und Kultusminister Steffen Flath im Gespräch - wenn auch nicht mehr. Der Regierungschef hat denn auch seine liebe Not, die Partei zu beruhigen. Dafür müsste er, so bringt es ein Dresdner Politologe auf den Punkt, die Partei "mit Leib und Seele führen". Seit dem fulminanten Auftritt von Bischofswerda wissen die Christdemokraten immerhin, dass ihr Chef das Temperament dazu hat.
Von Jens Schneider

Karl Nolle im Webseitentest
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