DNN/LVZ, 11.04.2005
Tiefensees Triumph
Kommentar von Bernd Hilder
Das politische Maß aller Dinge in Leipzig hat einen Namen: Wolfgang Tiefensee. Auch wenn an seinem Sieg kein Zweifel bestehen konnte: Von den Wählern der Stadt in einen zweiten Wahlgang gezwungen zu werden, hätte der alte und neue Oberbürgermeister als Demütigung und persönliche Niederlage empfunden.
Durch seinen triumphalen Sieg schon im ersten Anlauf ist ihm ein solcher Urnengang nach Canossa erspart geblieben. Dies wird dem populären Politiker in den sieben Jahren seiner zweiten Amtszeit zusätzliches politisches Gewicht verleihen. Nicht nur gegenüber den Ratsfraktionen, die gerade erste Versuche unternehmen, sich von der kurzen Leine der Verwaltung zu befreien, sondern auch über Leipzig hinaus. Während die SPD in Ost und West derzeit fast überall am Boden liegt, hat Tiefensee die grandiose Stimmenernte gegen den Trend - und bei frustrierend geringer Wahlbeteiligung - eingefahren. Dies macht ihn zu einem der wenigen Hoffnungsträger seiner Partei - und einen Daueraspiranten auf höhere landes- oder bundespolitische Weihen, auch wenn ihn viele Leipziger gerade dafür schätzen, solchen Angeboten bislang aus nachvollziehbaren Gründen widerstanden zu haben.
Im Wahlkampf hatte Tiefensee keinen wirklichen Gegner. Selbst die PDS-Kandidatin Barbara Höll und der CDU-Herausforderer Robert Clemen wirkten so schwach, als seien sie nur fröhlich zum verordneten Verlieren angetreten. Ihre Parteien haben der SPD seit langem die faktische Gestaltungshoheit in Leipzig überlassen. Zudem versäumten es PDS und CDU, frühzeitig auf politische Talentsuche zu gehen. Mit Zwergenstrategien konnten sie im Wahlkampf und am Wahltag nicht einmal die eigene Anhängerschaft mobilisieren. Im krassen Gegensatz dazu steht allein schon Tiefensees rhetorischer Glanz: Oft das Konkrete meidend versteht er es meisterhaft, sich als die entscheidende Integrationsfigur der Stadt zu präsentieren. Visionen statt Kleinmut ist auch in Zeiten leerer Kassen seine verlockende Botschaft. Und wenn es angesichts diverser Polit-Skandale und -Skandälchen doch einmal brenzlig für den Rathaus-Chef wurde, zeigte der im Umgang mit Medien gelegentlich Dünnhäutige das, was auch andere erfolgreiche Politiker ausmacht: Steherqualitäten und Teflon-Eigenschaften. Vorwürfe prallten an ihm ab, während andere getroffen in die Knie gingen.
Leuchtturmprojekte wie DHL, BMW oder Porsche werden ihm in der Bevölkerung zugerechnet, die verpatzte Olympia-Bewerbung, Kostenüberschreitungen bei Stadion und Bildermuseum, lange und manchmal verhedderte Zügel in der Verwaltung sowie eine höhere Arbeitslosigkeit als in Dresden und Chemnitz jedoch nicht angekreidet. Tiefensee ist längst "Mister Leipzig" geworden, von dem sich die Messestädter auch auswärts bestens vertreten fühlen. Tiefensee ist heute politisch so unangefochten wie nie zuvor in seiner Nachwende-Karriere. Für die nächsten Jahre hat er sich viel vorgenommen. Er will Leipzig im Konzert der europäischen Metropolen mitspielen lassen. Angesichts der gigantischen Finanz- und Wirtschaftsprobleme ein ambitioniertes Ziel. Eins für Wolfgang Tiefensee.