Frankfurter Rundschau, 09.08.2005
Nur eine Schraube zu drehen, bringt nicht viel - Zur Senkung der Lohnnebenkosten ...
Gastbeitrag von Gerhard Bäcker
Die Senkung der Lohnnebenkosten gilt Rot, Grün, Schwarz und Gelb als Schlüssel, die Wirtschaft anzukurbeln. Das ist aber nur betriebswirtschaftlich gedacht. Politik muss die Volkswirtschaft lenken.
Den Sündenfall beging Norbert Blüm, CDU-Arbeitsminister in der von Helmut Kohl geführten Regierung: Bei der Einführung der Pflegeversicherung wurden die Arbeitgeber erstmals nicht mehr zu gleichen Teilen wie die Arbeitnehmer an einer Sozialversicherung beteiligt. Das Argument: Die Lohnnebenkosten und hier insbesondere die Arbeitgeberbeiträge verteuern den Faktor Arbeit, vernichten Arbeitsplätze und gefährden die Wettbewerbsfähigkeit.
Seither gilt die Devise: Um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, müssen die Arbeitgeber entlastet werden. Diese Auffassung eint in einer umfassenden großen Koalition Regierungs- und Oppositionsparteien, Unternehmerverbände und tonangebende Medien. Auch die Politik von Rot-Grün zielt in diese Richtung, so zuletzt bei der Finanzierung von Krankengeld und Zahnersatz allein durch die Versicherten. Arbeitsplätze brachte das keine. Trotzdem bleiben die etablierten Parteien in ihren Wahlprogrammen beim Rezept der Kostenentlastung. Besonders hervorstechend: CDU/CSU wollen die Mehrwertsteuer erhöhen, um im Gegenzug Sozialversicherungsbeiträge zu senken.
Auch das wird nicht zu neuen Arbeitsplätzen führen. Es wird rein betriebwirtschaftlich gedacht, der volkswirtschaftliche Zusammenhang ausgeblendet. Denn entgegen der vorherrschenden Betonung der Arbeitgeberbeiträge ist ihre Bedeutung als Kostenfaktor begrenzt.
Nach der Arbeitskostenerhebung des Statistischen Bundesamtes machten die Arbeitgeberbeiträge 15,6 Prozent der Personalgesamtkosten aus. Da die Löhne (einschließlich Vergütung arbeitsfreier Tage) mit etwa 70 Prozent den weitaus größeren Anteil der gesamten Arbeitskosten einnehmen, fällt eine Senkung der Beiträge nicht übermäßig ins Gewicht. So würde eine Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt zu einer Reduzierung der Arbeitgeberbeiträge um 2,2 Prozent, der Lohnnebenkosten um 1,5 Prozent sowie der Personalgesamtkosten um 0,35 Prozent führen.
Ob nun die Personalgesamtkosten "zu hoch" sind und nicht mehr verkraftet werden können, hängt nicht von ihrer absoluten Höhe ab, sondern von dem Leistungsergebnis, das auf der Basis dieser Arbeitskosten erwirtschaftet wird. Auskunft über das Leistungsergebnis gibt die Arbeitsproduktivität. Setzt man die Arbeitskosten ins Verhältnis zur Arbeitsproduktivität, so ermitteln sich die Lohnstückkosten. Die Lohnstückkosten zeigen, wie viel Lohn (inklusive Lohnnebenkosten) für ein Produkt oder eine Dienstleistung gezahlt werden muss. Die empirischen Befunde zur Lohnstückkostenentwicklung lassen erkennen, dass Deutschland im internationalen Vergleich eine sehr günstige Position einnimmt.
Eine bestimmte Finanzierungsform des Sozialstaates lässt also noch keine unmittelbaren Schlussfolgerungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit und das Beschäftigungsniveau eines Landes zu. Innerhalb der EU zählen zu den Staaten mit einer günstigen Arbeitsmarktlage sowohl jene, die durch Beitragsfinanzierung charakterisiert sind (Österreich und die Niederlande) als auch jene, die ihre Sozialleistungen überwiegend über Steuern finanzieren (Dänemark und Irland). Diese Unbestimmtheit liegt daran, dass zwar in den Ländern mit steuerfinanzierten Sozialsystemen die Lohnnebenkosten niedrig liegen, dass den hohen Steuerbelastungen (Mehrwert- und Einkommensteuer) indes auch hohe Bruttoarbeitsentgelte gegenüber stehen.
Bei einer Beitragssenkung sind die Wirkungen durch die Gegenfinanzierung zu berücksichtigen. Niedrige Beiträge führen zu sinkenden Arbeitskosten bei den Unternehmen und steigenden Nettoeinkommen sowie Nachfragepotenzialen bei den Beschäftigten. Aber Steuererhöhungen mindern diese Effekte gleich wieder. Auch werden die Gewerkschaften in Tarifverhandlungen versuchen, den Anstieg der Preise für die Beschäftigten wieder auszugleichen.
Simulationsrechnungen, die diese Effekte berücksichtigen, kommen zu ernüchternden Ergebnissen: Bei einer Beitragssatzsenkung um einen Punkt und einer Gegenfinanzierung durch die Anhebung der Mehrwertsteuer errechnet sich ein Beschäftigungseffekt in der Schwankungsbreite zwischen minus 170 000 bis zu plus 129 000 Personen.
Das zeigt, dass es für die Politik nicht hinreicht, nur den Argumenten der Arbeitgeber zu folgen. Sie muss eigene Prioritäten setzen.
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Mehr Arbeitsplätze durch niedrigere Lohnnebenkosten?
Wer sagt, er wolle die Lohnnebenkosten senken, will eigentlich die Löhne senken - denn die Lohnnebenkosten sind Teil des Lohns.
Das freut den einzelnen Betrieb, schafft wegen der Kompensationseffekte aber keine neuen Arbeitsplätze – meint Dr. Gerhard Bäcker, Dekan am Fachbereich für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg–Essen.
Bäcker zieht nebenbei auch jenen noch einen Zahn, die so tun, als wären Kosten (sozialer oder privater Vorsorge) aus der Welt, wenn man sie über Steuern finanziert.