DIE WELT, 19.08.2005
Hartz IV bringt keine Entlastung
Nur Minijobs boomen - Biedenkopf: Wachstum hilft nicht
Berlin - - Trotz der massiven Zunahme an Ein-Euro-Jobs, Ich-AGs und Minijobs hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt im laufenden Jahr kaum entspannt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im zweiten Quartal 2005 rund 38,9 Millionen Menschen erwerbstätig und damit nur 30 000 mehr als im Vorjahresquartal. Im ersten Quartal hatte es noch einen Zuwachs von 42 000 Beschäftigten gegeben.
Der Anstieg resultiere "überwiegend aus dem Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente im Rahmen der Hartz-Gesetze", stellten die Statistiker fest. Dazu gehören Ein-Euro-Jobs, Mini-Jobs und Ich-AGs. Die Zahl der Selbständigen nahm im zweiten Quartal durch die Förderung von Ich-AGs um 166 000 oder 3,9 Prozent zu. Gleichzeitig sank die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter um 13 600, was einem Rückgang von 0,4 Prozent entspricht. Ohne die starke Zunahme von Ein-Euro-Jobs und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen wäre der Rückgang erheblich stärker ausgefallen.
Vor allem am Bau und in der Industrie nahm die Beschäftigung ab. Zuwachs registrierten die Statistiker hingegen in solchen Branchen, in denen Minijobs immer mehr verbreitet sind wie im Handel oder im Verkehr.
Der Vorsitzende des Hartz-IV-Ombudsrats, Kurt Biedenkopf, warnte unterdessen davor, im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit zu große Hoffnungen in ein höheres Wirtschaftswachstum zu setzen. Das Gros der Arbeitslosen würde von einem Aufschwung überhaupt nicht profitieren, sagte der CDU-Politiker bei der Vorstellung eines Arbeitsmarkt-Handbuchs des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Rund 60 Prozent der 4,7 Millionen offiziell registrierten Erwerbslosen seien Langzeitarbeitslose, die aufgrund unzureichender Qualifikationen auf ein Angebot an einfachen Tätigkeiten angewiesen seien. Nötig sei deshalb der Ausbau eines Niedriglohnsektors. Einfache Tätigkeiten sollten von der Last der Sozialabgaben befreit werden, empfahl Biedenkopf.
IAB-Chefin Jutta Allmendinger warf den Schulen vor, bei der Ausbildung junger Menschen versagt zu haben. Ein Fünftel der Schulabgänger sei nicht ausbildungsfähig und somit kaum am Arbeitsmarkt integrierbar. Von den Menschen ohne Berufsabschluß sei in den neuen Bundesländern bereits jeder zweite arbeitslos.
In Deutschland wird laut Biedenkopf ein immer größeres Bruttoinlandsprodukt mit immer weniger Arbeitsstunden erzeugt. Konkret bedeute dies, daß die Anforderungen an die Arbeitnehmer immer größer würden. Die Berufschancen für Unqualifizierte verschlechterten sich entsprechend immer weiter.
Laut Studie liegt die Teilzeitquote mittlerweile bei knapp einem Drittel aller Erwerbstätigen. Allmendinger warnte, daß vielen Teilzeitbeschäftigten Altersarmut drohe. dsi