Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 29.08.2005

Keinen Einfluss genommen?

Skandal. Der massive „Lauschangriff“ auf Justiz und Presse bringt Justizminister Geert Mackenroth (CDU) erheblich unter Druck.
 
Telefonnummer vergessen? Kein Problem: Journalisten können künftig den Staatsanwalt danach fragen. So wie Ronny Klein, Reporter der „Dresdner Morgenpost“. Wer ihn im Zeitraum vom 15. April bis 24. Mai 2005 angerufen hat, wen er angerufen, auf welchen Längen- und Breitenkoordinaten er sich bewegt hat – alles wurde überwacht. Mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Telekom und Vodafone. Auf Grundlage eines Beschlusses des Amtsgerichts Chemnitz lieferten sie sämtliche ermittelbaren Telefon-Kontaktdaten und Geo-Koordinaten des Journalisten an die Justiz.

Auf massive Proteste, auch des Deutschen Journalistenverbandes hin, ging ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Chemnitz bereits in die Medien-Offensive: Bevor die Telefondaten-Abfrage Kleins erfolgt sei, sei eine „besonders intensive Prüfung“ erfolgt. Die für Journalisten geltenden speziellen Schutznormen seien nicht verletzt worden. Und „in Anbetracht der Schwere des Tatverdachts“ sei dies auch „angemessen“ gewesen.

Das sehen Medienrechts-Experten ganz anders. Grundsätzlich erlaubt die Strafprozessordnung diesen starken Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis nur, wenn es um schwerwiegende Delikte wie Hochverrat, Mord, Totschlag, Geldwäsche, Drogenhandel oder Erpressung geht. „Eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist der Verrat von Dienstgeheimnissen meiner Meinung nach nicht“, sagte der Presserechts-Experte Professor Hans Achenbach der SZ. „Ich halte das für mehr als problematisch.“ Eindeutig rechtswidrig, möglicherweise sogar verfassungswidrig, urteilen andere Juristen empört.

Denn der Auslöser der massiven Überwachungs-Attacke war eigentlich eine klassische Journalisten-Situation zwischen geheimen Informanten und Journalist. Ein Leck in Justiz- oder Polizeibehörden wurde gesucht. Mehrfach bereits waren Informationen über die Arbeit der erst 2004 gegründeten Antikorruptionseinheit Ines der Staatsanwaltschaft durchgesickert. Doch erst die Durchsuchungsaktion des Privathauses von Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) am 24. Mai 2005 hatte das Fass aus Sicht der Staatsanwälte zum Überlaufen gebracht. Zeitgleich mit den Fahndern fand sich damals der Morgenpost-Reporter ein. Er hatte offensichtlich einen Tipp erhalten. Ines selbst leitete darauf hin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. Das wurde an die Staatsanwaltschaft Chemnitz abgegeben.

Doch in den Fokus der Ermittlungen rückte wenig später Ines-Staatsanwalt Andreas Ball. Der hatte bis vor wenigen Wochen eine Vielzahl von Antikorruptionsverfahren geleitet – einige davon gegen prominente CDU-Politiker. Dann wurde er gegen seinen Willen „umgesetzt“, wie im Beamtendeutsch eine Versetzung heißt.

Pikantes Detail: Mehrfach wird in den Anträgen der Staatsanwaltschaft das „Persönlichkeitsrecht Schommers“ erwähnt. Insider vermuten gerade darin den Grund für den massiven Gegenschlag von Justiz – und Politik: Längst sind die Fahnder durch ihre akribische Aufklärungsarbeit ohne Rücksicht auf das Ansehen von Personen vielen ein Dorn im Auge. Und der Verdacht, dass darum gerade auch die Politik mit Hilfe der Justiz zum Schlag gegen die eigenen Aufklärer ausgeholt hat, verdichtet sich.

So erscheint etwa der Anlass, dass sich das Verfahren gegen Unbekannt Anfang Juli plötzlich in ein Verfahren allein gegen Ball richtet, geradezu banal: Ball hatte noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens seinem Vorgesetzten gemeldet, dass er einen Tag vor der Durchsuchung mit Klein telefoniert habe. Ein weiteres Gespräch nach der Durchsuchung ließ er jedoch unerwähnt. Das reichte, um die Ermittlung gegen Ball auch auf mögliche Strafvereitelung im Amt auszudehnen. Die Schnüffel-Bilanz: Balls Telefon-Kontakte wurden von Mitte April bis Mitte Juli eingesehen, seine Konten mit Hilfe der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überprüft.

Erstaunlich dagegen: Mitarbeiter des Innenministeriums rückten offenbar nicht auf die „Wunsch-Telefonliste“ der Staatsanwälte – obwohl sogar der Innenminister eingeräumt hatte, am Tag der Durchsuchung Schommers durch ein Schreiben des Landeskriminalsamts informiert worden zu sein.

Ministerium voll informiert

Sein Ministerium habe „keinen Einfluss genommen“ auf die Ermittlungen, versicherte Justizminister Geert Mackenroth (CDU) gegenüber der SZ. Zugleich räumte er jedoch ein, dass sein Ministerium „im Rahmen der geltenden Berichtspflichten“ über das Verfahren gegen Ball unterrichtet worden sei und „die in diesem Verfahren ergangenen gerichtlichen Beschlüsse“ an das Ministerium übermittelt worden seien. „Auf der Grundlage dieser Berichte hat die zuständige Fachabteilung des Justizministeriums für dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen oder gar die Ausübung des Weisungsrechts keinen Anlass gesehen“, so Mackenroth.

Im Gegenteil: Sein Haus wollte die Sache sogar noch beschleunigen. Die Staatsanwälte sollten die Ermächtigung zur Strafverfolgung gar nicht erst abwarten, die notwendig ist, um einen Staatsanwalt zu überprüfen. Fangt schon mal an, drängte der Vertreter des Generalstaatsanwalts die Chemnitzer.

Das Ministerium habe auf den Gang der Ermittlungen „keinen Einfluss genommen“, erklärte Mackenroth dagegen trotzig. Die Umsetzung Balls habe dazu gedient, sowohl ihm als auch Ines eine „unbelastete Arbeit“ zu ermöglichen. Dass Mackenroth weiter zu Details schweigen kann, ohne der sächsischen Justiz und sich selbst weiteren erheblichen Schaden zuzufügen, erscheint unwahrscheinlich.
Von Annette Binninger und Karin Schlottmann

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