Sächsische Zeitung, 25.08.2005
Charlie Marx für Pastorentöchter
Porträt. Michael Sturm will für die SPD in den Bundestag. Der linke Anwalt tritt für ein liberaleres Strafrecht ein.
„Vollblutjurist?“ Michael Sturm grübelt eine Weile, dann bekennt er: „Ja, das klingt gut.“ Und ist wohl auch nicht falsch. Schließlich steht der 39-Jährige in Bayern vor Gericht, in Sachsen und sogar in Tschechien. Natürlich nicht als Angeklagter. Der Dresdner Anwalt, sagen jedenfalls Kenner der Branche, zählt zu den renommiertesten Strafverteidigern, vor allem, wenn es um Drogenkriminalität geht. Und wer sich mit ihm unterhält, bekommt rasch zu spüren, dass die Rechtswissenschaft den Hobbysegler Sturm völlig in Beschlag nimmt. Im verbalen Stakkato geht es durch die Welt der Juristerei.
Neulich, erzählt er voll rein fachlichem Interesse für den Kollegen, habe er Stephen Key getroffen. „Kennen Sie den?“ Er ist der Pflichtverteidiger des in Den Haag angeklagten Serbenführers Milosevic. Erregt reagiert Sturm auf die von der PDS-Jugend angestoßene Debatte zur Drogenlegalisierung. „Die wissen nicht, wovon sie reden. Heroin ist ein supergefährlicher Stoff“, sagt der Jurist. Aber: Der Konsum von Rauschmitteln wie Kokain und Haschisch solle nicht strafrechtlich verfolgt werden. Dass Drogenkonsumenten – wenn sie nicht am Steuer, sondern woanders erwischt wurden – der Führerscheinentzug dennoch droht, findet Sturm überzogen, so wie die jüngsten Strafverschärfungen für Graffiti-Sprayer.
Diese Positionen dürften dem Genossen in der Neustadt sicher Zustimmung bringen. Lässt sich damit aber auf dem Kirchplatz in Weinböhla – das Elblandörfchen zählt ebenfalls zu Sturms Wahlkreis Dresden II – um Stimmen werben? Und wie kommt das in der sächsischen SPD an?
Partei stärker öffnen
Wenn den smarten Verteidiger außer der Juristerei etwas in Wallung bringen kann, ist es offenbar die Frage nach dem Zustand der sächsischen Sozialdemokratie. „Schwierig“, sagt er. Und dann geht es los: Ingenieure, Pfarrer und deren Töchter hätten die Partei lange dominiert und einen zupackenden Politikstil verhindert. „Ich mag Leute wie
Karl Nolle. Auch wenn sie ab und zu übers Ziel hinausschießen“, räumt der Kandidat ein – ohne zu verhehlen, dass er sich einige Parteikämpen mehr von diesem Schlag wünsche. Der, wie er selbst sagt, „bekennende Nollianer“ Sturm sieht sich linken Theoretikern wie Horkheimer und Adorno verpflichtet. Und er ist Fan von Karl, den er Charlie nennt, Marx. Sind das nicht aber Zeichen für eine Klientelpolitik, die sich zwischen Neustadt und der von ähnlich denkenden Juristen geprägten Elbhang-SPD abspielt? Sturm wehrt ab. Es gelte, die Partei stärker für die Gewerkschaften zu öffnen, auch für Organisationen wie Arbeiterwohlfahrt und Arbeitersamariterbund: „Wir wollen bei der Bundestagswahl wieder stärkste Kraft in Dresden werden.“
Sieht seinen Job auch politisch
Mit einem Pragmatiker Sturm, der deshalb in die SPD eingetreten ist, „um denen zur Gerechtigkeit zu verhelfen, die sich selbst nicht so helfen können“. Seinen Job sieht er wohl durchaus politisch, so wie umgekehrt Politik auch juristisch instrumentalisiert werden kann. Zwei Beispiele: „Neonazis verteidige ich nicht“, sagt Sturm. Und: Vor vier Jahren hat er Kurt Biedenkopf angezeigt – wegen der Billigmiete in der Schevenstraße. Der Kabinettschef musste im Zuge der Affäre nachzahlen und trat zurück.
Von Thilo Alexe