Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 07.09.2005

Spitzenreiter beim Abhören

Justiz. Professor Hubertus Gersdorf, Experte für Kommunikationsrecht, hält das Vorgehen der sächsischen Justiz für nicht rechtmäßig.
 
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat in einem Ermittlungsverfahren gegen einen Staatsanwalt wegen Verrats von Dienstgeheimnissen und Strafvereitelung im Amt die Telefon-verbindungsdaten eines Journalisten abgefragt. Ist das zulässig?

Das Bundesverfassungsgericht hat 2003 in einem Urteil die Übermittlung der Telefonverbindungsdaten grundsätzlich erlaubt. Die Strafprozessordnung ist nach dieser Entscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Hat sich die sächsische Justiz an die Vorgaben des Karlsruher Urteils gehalten?

Das Gericht hat Maßstäbe gesetzt, die die Gerichte berücksichtigen müssen. Es muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegen. Wenn man sich den Strafrahmen anschaut, der für Verrat von Dienstgeheimnissen und Strafvereitelung im Amt vorgesehen ist, kommt man nicht umhin, sie jedenfalls abstrakt als Taten von erheblicher Bedeutung anzusehen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass im konkreten Fall eine erhebliche Bedeutung vorliegen muss. Das Bundesverfassungsgericht stellt dabei auf den angerichteten Schaden und den Grad der Bedrohung der Allgemeinheit ab. In den damaligen Verfahren ging es um schwere Wirtschaftskriminalität mit Millionenschaden und um dreifachen Mord. Da kann man ohne Zweifel von einem erheblichen Schaden sprechen.

Und wenn, wie die sächsische Justiz vermutet, ein Staatsanwalt den Termin für eine Hausdurchsuchung ausplaudert?

Bei diesem Sachverhalt habe ich große Zweifel, ob in diesem konkreten Fall eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt. Auch wenn man von einem Staatsanwalt in jeder Lebenslage professionelles Verhalten erwarten kann, muss man sich immer vor Augen halten, dass das Grundsatzurteil Verbrechen behandelt hat, die eine völlig andere Qualität aufweisen.

Das heißt, der betroffene Journalist hätte gute Aussichten, gegen die Überprüfung seiner Telefondaten juristisch vorzugehen?

Die Staatsanwaltschaft hat, wenn sie zu solchen Ermittlungsmethoden greifen will, sorgfältig die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu prüfen. Und wenn das nicht geschieht, können die gerichtlichen Beschlüsse, die sich die Ermittlungsbehörden eingeholt haben, angefochten werden – notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.

In welchem Umfang machen die Ermittlungsbehörden bundesweit von ihrem Recht Gebrauch, die Telefonnummern von Journalisten abzufragen?

Dazu liegen mir keine empirischen Daten vor. Ich weiß nur, dass die Bundesrepublik bei der Telefonüberwachung allgemein und beim Zugriff auf Telefonverbindungsdaten eine führende Rolle in der Welt hat. Das ist vielleicht nicht die Spitzenreiterposition, die man sich für einen Rechtsstaat wünscht. Es wird derzeit sogar diskutiert, die Telekommunikationsunternehmen zu verpflichten, die Verbindungsdaten bis zu 24 Monate zu speichern.

Wie kann der Staat einerseits die Pressefreiheit schützen wollen, wenn andererseits die Medien ihre Informanten nicht mehr schützen können?

Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber nicht, die Überprüfung von Telefonverbindungsdaten zwischen Journalisten und ihren Informanten absolut zu verbieten. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Staatsanwaltschaft in jedem Fall ganz nach Belieben die Herausgabe der Telefonnummern verlangen kann. Sie hat in jedem Einzelfall die verfassungsrechtlichen Maßstäbe genau zu prüfen.

Warum sind die Telefonverbindungsdaten von Anwälten, Abgeordneten und Geistlichen tabu, nicht aber die von Journalisten, denen auch ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht?

Diese Frage müssen Sie an das Bundesverfassungsgericht stellen. Ich würde unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes eine Gleichstellung von Journalisten mit den übrigen Berufsgeheimnisträgern fordern wollen.

Das Gespräch führte Karin Schlottmann

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: