Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland ND, 08.09.2005

Mit der Keule im Nebel

Telefonüberwachung entzweit auch Koalitionäre in Sachsen
 
Die Überwachung eines Journalistentelefons zum Aufspüren eines »Lecks« bei der Staatsanwaltschaft entzweit die Koalition in Sachsen. Die Opposition wirft der Justiz unverhältnismäßiges Handeln vor.

Die Liste war lang. Für 29 Mitarbeiter des Landeskriminalamtes, 19 Mitglieder der sächsischen Antikorruptionseinheit INES sowie einen Journalisten beantragte die Staatsanwaltschaft Chemnitz am 6. Juni, Telefondaten aus einem Sechs-Wochen-Zeitraum im Frühjahr 2005 erheben zu dürfen. Sie hoffte, dabei ein Leck bei INES zu entdecken, durch das der Reporter einer Boulevardzeitung von einer Durchsuchung bei Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) erfahren hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte nichts gegen die Schnüffelei einzuwenden, Justizminister Geert Mackenroth (CDU) ebensowenig. Erst Gerichte dampften den Katalog rigoros ein: Nur die Anrufe eines Staatsanwalts und des Journalisten durften noch erhoben werden. Schon dieser Vorgang sorgt in Sachsen und darüber hinaus für Wirbel. Im Raum steht der Vorwurf, aus Ärger über wenig vorteilhafte Fotos eines Parteifreundes werde brachial gegen Staatsanwälte vorgegangen und Aushöhlung der Pressefreiheit riskiert. Schommer, gegen den wegen eines fragwürdigen Beratervertrags ermittelt wird, war bei der Razzia im Pyjama abgelichtet worden. Der einflussreiche CDU-Fraktionschef Fritz Hähle hatte INES daraufhin eine »politisch motivierte Hexenjagd« vorgeworfen. Kurz danach wurde der gegen Schommer ermittelnde Staatsanwalt versetzt und seine sowie die Telefonate des Journalisten geprüft.

Die Opposition vermutet, die Staatsanwälte sollten eingeschüchtert werden. Wenn »wegen des Morgenmantels eines Ministers das volle Ballett« juristischer Mittel losgelassen werde, könnten die Ermittler »nicht das Gefühl haben, unbeeinflusst arbeiten zu können«, sagte Klaus Bartl, Rechtsexperte der Linkspartei.PDS, gestern in einer von seiner Fraktion veranlassten Sondersitzung des Landtags. Er sieht zudem einen »eklatanten Eingriff in die Pressefreiheit«.

Diesen Vorwurf weist Mackenroth zurück. Die Ermittlungen seien »auf Grundlage des geltenden Rechts ausgeführt worden«, erklärte er und verwies auf ein 2001 beschlossenes Bundesgesetz, wonach bei Straftaten von erheblicher Bedeutung auch Telefon-Verbindungsdaten von Journalisten erhoben werden dürfen. Ein Verrat von Dienstgeheimnissen bei der Staatsanwaltschaft rechtfertige den Eingriff, sagte Mackenroth gestern, auch wenn die Abwägung schwierig gewesen sei.

Dass richtig entschieden wurde, wird selbst beim Koalitionspartner SPD in Frage gestellt. »Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim«, sagte Fraktionschef Cornelius Weiss und fügte hinzu, es sei »niemals sinnvoll, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen«. Das Vorgehen habe nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt; zudem habe es an der »gebotenen Sensibilität« im Umgang mit der Pressefreiheit gefehlt. Weiss forderte eine »Geste des Bedauerns« vom Minister.

Der Minister rechtfertigt sein Vorgehen damit, eine Intervention seinerseits wäre eine »politische Beeinflussung gerichtlicher Verfahren« gewesen, wie sie die Opposition jetzt moniert. Dagegen sieht der Abgeordnete Johannes Lichdi (Bündnisgrüne) durch das geharnischte Vorgehen gerade in diesem Fall den »Verdacht parteipolitischer Einflussnahme« genährt. Bei der Suche nach dem Leck habe die Staatsanwaltschaft »mit der Keule im Nebel herumgefuchtelt und gehofft, zufällig den Richtigen zu treffen«. Der FDP-Abgeordnete Jürgen Martens erklärte: »Das war brutalstmögliche Aufklärung.«

Mackenroth räumt ein, bei der anstehenden Überarbeitung des 2007 auslaufenden Gesetzes zur Telefonüberwachung müsse das »Spannungsverhältnis« zwischen Pressefreiheit und dem Interesse an Strafverfolgung »neu justiert« werden. Die Linkspartei verlangt zudem eine unabhängigere Stellung der Staatsanwaltschaft. Mackenroths Behauptung, auch derzeit könne ohne Ansehen der Person ermittelt werden, nennt Bartl »Augenwischerei«.
Von Hendrik Lasch, Dresden

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