Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 09.09.2005

Brisante Nachwahl an der Elbe

 
Dresden. Wenn am Abend des 18. September die Hochrechnungen zur Bundestagswahl über die Bildschirme flimmern, wird es vielleicht eine alles entscheidende Leerstelle geben: Der Wahlkreis 160 im Dresdner Südosten mit fast 220 000 Wahlberechtigten kann durch den plötzlichen Tod der NPD-Kandidatin Kerstin Lorenz an jenem Wahlsonntag zunächst nicht an die Urnen gehen, der Termin muss verschoben werden - Nachwahl an der Elbe.

Das könnte Folgen für den Ausgang bundesweit haben. Angesichts der jüngsten Umfragen, die annähernd eine Pattsituation zwischen einer schwarz-gelben Koalition und dem rot-rot-grünen Lager erwarten lassen, könnte jedes Direktmandat - plus einer Verschiebung bei Überhangmandaten - die Lage wieder zum Kippen bringen. "Dresden könnte die Kanzler-Wahl beeinflussen", sagte ein führender Christdemokrat gestern in Dresden. Schon im September 2002 hatten rund 6000 Stimmen die Wahl entschieden, wie CSU-Chef Edmund Stoiber betonte, der sich damals zu früh als Sieger gefeiert hatte.

"Häuserkampf" in Dresden

Bei einem unklaren Wahlausgang bundesweit würde es nach dem 18. September eine Wahlschlacht um die Stimmen in der sächsischen Landeshauptstadt geben - wobei die Nachzügler das Ergebnis bereits kennen. Für diesen Fall befürchten Sachsens CDU-Politiker einen "Häuserkampf". "Alles wird sich auf die Nachwahl konzentrieren, und wieder gerät Dresden bundesweit in die Negativschlagzeilen." Wenn aber das Ergebnis am 18. September eindeutig sein sollte, dürfte das Dresdner Ergebnis zur Formalie werden. "Dann wird es schwer, noch eine Mobilisierung zu erreichen", sagt der Dresdner CDU-Kandidat Andreas Lämmel.

Für diese Befürchtung spricht einiges. Zwar sind Prognosen über das Resultat in Dresden derzeit schwer möglich, es zeichnet sich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU, SPD und Linkspartei ab. Doch klar scheint ebenso, dass bei sinkender Wahlbeteiligung die Chancen für die Direktkandidatin der Linkspartei, Katja Kipping, steigen. Eben das aber hätte auch Folgen für die Sachsen-Union insgesamt. Bisher gilt der Lämmel-Wahlkreis CDU-intern als "gebucht". Sollte er aber an die Linkspartei gehen, wäre das auch ein Imageschaden für CDU-Landeschef Georg Mibradt.

Davon freilich wollte CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer nichts wissen. "Die Nachwahl wird am Gesamtergebnis nichts ändern", sagte er gestern dieser Zeitung, "die Wechselstimmung ist eindeutig, auch in Sachsen". Auch für die Dresdner SPD-Direktkandidatin Marlies Volkmer hat die Nachwahl vorerst wenig Relevanz. "Wir kämpfen weiter wie bisher", sagte sie. Es sei aber nicht auszuschließen, dass "Dresden am Ende doch zum Zünglein an der Waage" werde. 2002 wurde der Wahlkreis von der CDU-Abgeordneten Christa Reichard gewonnen - allerdings nur mit rund 4000 Stimmen vor Volkmer. Beim Zweitstimmenergebnis lag sogar die SPD rund 4000 Stimmen vorn.

Gestern gab das Büro des Bundeswahlleiters bekannt, dass es ungeachtet der Nachwahl in Dresden noch in der Nacht nach der Bundestagswahl ein vorläufiges amtliches Endergebnis geben werde. Die andere Option wäre gewesen: Die Urnen bleiben zu bis zum Nachwahltermin in Dresden. Das aber ist laut Bundeswahlordnung ausgeschlossen. Vielmehr muss der Wahlleiter im Anschluss an die Wahlhandlung ohne Unterbrechung das Wahlergebnis feststellen und es dann bekannt geben. Um die Wahlordnung zu ändern, fehlt die Zeit. Und ein anderer Aspekt: Keiner kann den Meinungsforschungsinstituten verbieten, ihre Umfrageergebnisse, die sie unmittelbar nach dem Urnengang erheben, zu veröffentlichen. Auch das müsste erst gesetzlich geregelt werden. "Es wird noch geprüft, in welcher Form in der Wahlnacht das vorläufige amtliche Endergebnis verkündet wird", sagte Heinz-Christoph Herbertz, Bürochef des Bundeswahleiters Johann Hahlen, gestern dieser Zeitung. Viel Spielraum bleibt dabei nicht.

Hirnschlag bei Wahlkampfrede

Die NPD-Kandidatin Kerstin Lorenz war am Montagabend während einer Wahlkampfrede vor dem Dresdner Rathaus zusammengebrochen, sie hatte einen Hirnschlag erlitten und starb am Mittwochmittag im Krankenhaus. In einem solchen Fall muss es eine Nachwahl geben, innerhalb von sechs Wochen. Folge: In diesem Wahlkreis muss alles von vorn beginnen. "Wir nominieren den Nachfolgekandidaten am Mittwoch in einer Mitgliederversammlung", sagte Holger Szymanski, Pressesprecher der NPD-Landtagsfraktion, gestern. Lorenz war bis 2002 bei den Republikanern engagiert und stieg dann in den NPD-Landesvorstand auf. Bei der Bundestagswahl 2002 hatte die NPD, die inzwischen im sächsischen Landtag vertreten ist, keinen Direktkandidaten aufgestellt, aber 0,8 Prozent der Zweitstimmen erreicht.

Die Nachwahl vor Augen rasselte Bodo Ramelow, der Bundeswahlleiter der Linkspartei, gestern schon mal mit dem Säbel. "Wir prüfen derzeit rechtliche Schritte", sagte er dieser Zeitung, er befürchte eine Benachteiligung seiner Partei. Darüber hinaus aber stehe fest: "Der Wahlkreis in Dresden könnte zu dem am meisten umkämpften in Deutschland werden." Dann könnten die Dresdner entscheiden - "als höhnische Antwort auf Edmund Stoiber".
Heidrun Hannusch/Ingolf Pleil/Sven Heitkamp/Jürgen Kochinke

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