DNN/LVZ, 09.09.2005
Das Mega-Rohr
Im Jahr 2010 soll eine neue Gas-Pipeline den russischen Ostseehafen Wyborg bei St. Petersburg und Greifswald verbinden.
Leipzig. Es ist ein Milliardenprojekt: Im Jahr 2010 soll eine neue Gas-Pipeline den russischen Ostseehafen Wyborg bei St. Petersburg und Greifswald verbinden. Im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Russlands Präsident Wladimir Putin unterzeichneten gestern Vertreter von Eon Ruhrgas, der BASF-Tochter Wintershall und des russischen Gaskonzerns Gazprom in Berlin einen Vier-Milliarden-Euro-Vertrag.
An dem Projekt sind Gazprom mit 51 Prozent und BASF und Eon mit jeweils 24,5 Prozent beteiligt.
Zunächst soll in den kommenden fünf Jahren ein Leitungsstrang mit einer Kapazität von 27,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr gebaut werden. Der mit Fertigstellung der zweiten Pipeline geplante Jahresdurchsatz von 55 Milliarden Kubikmeter Gas entspricht mehr als der Hälfte des derzeitigen Erdgasverbrauches in Deutschland. Nach Meinung Schröders sichert das Abkommen die Unabhängigkeit der deutschen Energieversorgung. Denn durch das Projekt steigt der Marktanteil des russischen Gases in Deutschland langfristig von heute 35 auf gut 40 Prozent.
Es sei vorgesehen, in den nächsten Monaten detaillierte Verträge zur Umsetzung des Projektes abzuschließen, teilten die BASF Tochter Wintershall und Eon gestern mit. Gazprom werde mit dem Bau des Landabschnittes der Gasleitung noch in diesem Herbst beginnen.
Eon-Ruhrgaschef Burckhard Bergmann sagte dieser Zeitung: "Die Pipeline verbessert die Versorgungssicherheit Deutschlands bei zunehmender Importabhängigkeit." Angesichts rückläufiger Zahlen bei der Nordseeförderung werden für Industrie und Privathaushalte neue Quellen gebraucht, begrüßte auch Marian Rappl, Sprecher des Bundesverbandes der Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), das Projekt. Die Leitung sichere auf absehbarer Zeit den steigenden Erdgas-Verbrauch in Europa. Schon heute würde europaweit knapp die Hälfte der Wohnungen Erdgas beziehen. Für Eon und Wintershall ist dabei vor allem Großbritannien als Markt interessant, weil sich der ehemalige Gasproduzent zu einem Importeur wandelt. Gleiches gilt für die Niederlande, wenn auch zeitverzögert.
Für Roland Götz ist die Vertragsunterzeichnung einfach nur Wahlkampf. "Der Termin ist bewusst gelegt. Klar, das hätte ein anderer Kanzler vielleicht auch so gemacht", sagte der Leiter der Forschungsgruppe Russland/GUS der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin dieser Zeitung. Seit Jahren würde das Projekt vorbereitet, da hätte die Vertragsunterzeichnung auch zu einem anderen Zeitpunkt erfolgen können.
Den Bau selbst bezeichnet er als kostspielig: Die Pipeline durch die Ostsee werde doppelt so teuer wie eine gleich lange Pipeline an Land. Wirtschaftlich sei das nicht, zumal etwa der Ausbau vorhandener Trassen leicht machbar ist. "Eine direkte Verbindung durch die Ostsee spart Transitgebühren und macht die Pipeline sicherer", sagte ein Sprecher der Wintershall dieser Zeitung. Eine illegale Gasentnahme, wie es die Briten mit den Norwegern in der Nordsee machen, könne so ausgeschlossen werden. Bisherige Trassen laufen durch Weißrussland und Polen beziehungsweise die Ukraine und die Slowakei.
Laut Götz von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist es in der Vergangenheit nur einmal zu Unterbrechungen gekommen, als Weißrussland für ein paar Stunden den Gashahn zudrehte, um in Verhandlungen mit Gazprom Stärke zu demonstrieren. Ferner soll die Ukraine in den vergangenen Jahren Gas abgezapft haben, ohne dafür zu bezahlen.
Natürlich sorge die Pipeline dafür, die steigende Nachfrage nach Erdgas zu befriedigen. Dies mache Deutschland aber immer abhängiger von Russland. Dank der Pipeline bleibe Russland der Hauptlieferant Deutschlands und Europas. Dass sei auch deshalb bedenklich, da Russland große Pipeline-Projekte in Richtung China, Japan und Südkorea entwickle. Dann habe es Alternativen zu seinen Handelspartner in Europa, Deutschland hänge aber am Tropf des russischen Gases.
Andreas Dunte/Thilo Boss