Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 14.09.2005

Angst vor Nachwahl ohne Wähler

 
Dresden. Unter einem roten Schirm auf dem Pirnaischen Platz in der Dresdner Innenstadt steht Marlies Volkmer und verteilt Zeitungen mit dem Kanzler auf der Titelseite. Es ist Einkaufszeit, und auf dem Straßenbahnhof wimmelt es von Menschen. Eine gute Gelegenheit zum Wahlkampf für die SPD-Bundestagsabgeordnete. Doch die Passanten interessieren sich kaum für die Botschaften Gerhard Schröders. Wichtig ist in diesen Tagen nur noch eines: Die Verschiebung des Termins im Wahlkreis 160 - und die Folgen.

Wie knapp wird's werden?

"Wir versuchen, die Leute für die Wahl zu mobilisieren", sagt Volkmer. "Es bleibt doch wichtig, wie stark die SPD-Fraktion im Bundestag wird." Eine Rentnerin muss sie nicht mehr überzeugen. Die ältere Dame freut sich, dass die Republik jetzt auf die Elbestadt schaut. "Unsere Freunde aus Berlin haben schon angerufen und sich nach der Lage erkundigt", sagt sie. Das trifft die Stimmung im Dresdner Südosten insgesamt. Mit Spannung fiebern nicht wenige dem Zusatz-Wahltermin entgegen, und immer wieder kursiert eine einfache Formel: Schon bei der letzten Bundestagswahl 2002 ging es äußerst knapp zu, im Fall der Fälle könnten die 219.000 Stimmen im Wahlkreis enorm bedeutsam werden - als "Zünglein an der Waage".

Genau diese Variante von den Wählern in der Elbestadt als potenzielle "Kanzlermacher" aber erscheint als wenig wahrscheinlich. Denn vorschnelle Vergleiche mit 2002 hinken. Zwar war das Ergebnis damals gekippt; zwar hatte sich CSU-Chef Edmund Stoiber schon als Sieger feiern lassen und am Ende doch verloren. Seine Rechnung aber, dass ihm nur 6000 Stimmen fehlten, geht nicht auf. Denn diese bezieht sich nur auf das Verhältnis zwischen SPD und Union, nicht aber auf das der politischen Lager insgesamt. Fakt ist vielmehr: Letztlich lagen exakt 577567 Stimmen zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün - weitaus mehr, als der Dresdner Südosten zu bieten hat.

Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer hat das erkannt. "Wir gehen davon aus, dass das Dresdner Nachwahl-Ergebnis keinen Einfluss auf den Ausgang der Bundestagswahl hat", sagt er. Auch die These, dass die Parteizentralen noch einmal ihre geballte Bundesprominenz auffahren könnten, hält er für übertrieben. "Natürlich kämpfen wir um das Direktmandat im Wahlkreis", so Kretschmer, "doch die aktuelle Debatte lenkt von den eigentlichen Themen ab". Im Klartext: Höchstwahrscheinlich wird die Kanzlerfrage bereits am kommenden Sonntag entschieden, nur bei einem extrem knappen Ergebnis kommt es auf die Dresdner an.

Hoffen auf Überhangmandat

Das hat Auswirkungen auf die Wahlkämpfer vor Ort. "Unser Hauptproblem ist, die Leute bei der Stange zu halten", sagt CDU-Direktkandidat Andreas Lämmel vorsichtig, dahinter aber steht die Furcht vor einem möglichen Negativeffekt. Weil Kanzler oder Kanzlerin längst feststehen, könnten viele Dresdner zwei Wochen später zu Hause bleiben. Statt einer zusätzlichen Wahlschlacht an der Elbe wäre eine extrem niedrige Wahlbeteiligung die Folge. Und diese geht meist zu Lasten von CDU und SPD. Nicht zuletzt deshalb steigen die Chancen für Katja Kipping, die Direktkandidatin der Linkspartei. Hier will Kretschmer gegenhalten. "Die CDU muss das eigene Potenzial mobilisieren", sagt der "General" und denkt dabei auch an einen Sondereffekt. Sollte Lämmel im Wahlkreis gewinnen, würde er eventuell ein so genanntes Überhangmandat erringen. Das erhalten Parteien immer dann, wenn sie in einem Bundesland per Erststimmen mehr Direktmandate ergattern, als ihnen laut Zweitstimmen-Ergebnis Sitze zustehen. Und das Schönste für die CDU daran: Anders als in Landtagen werden Überhangmandate im Bund nicht ausgeglichen, sondern kommen als Bonus obendrauf.

Ob ein einzelner zusätzlicher Sitz für die Union im Bundestag aber über die Kanzlerfrage entscheidet, ist reichlich ungewiss. Fest steht dafür etwas anderes: Unabhängig vom Ausgang des Wahlsonntags in ein paar Tagen wird Angela Merkel in den Dresdner-Nachwahlkampf eingreifen. Der Zufall will es, dass am 23. und 24. September die CDU-Mittelstandsvereinigung an der Elbe tagt. Und hier ist ein Auftritt der CDU-Chefin seit Wochen fest geplant.
Sven Heitkamp und Jürgen Kochinke

Karl Nolle im Webseitentest
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