Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 20.09.2005

Schröders Welt

Der Bundeskanzler legt bei der TV-Elefantenrunde einen ziemlich einmaligen Auftritt hin
 
Wie Cäsar sitzt er da und grinst. Der Kanzler. Noch. Der Sieger. So sieht er das. Unbeirrt. Unbeirrbar vielleicht. Und da es sonst keiner macht, setzt er sich den Lorbeerkranz eben selbst aufs Haupt: Das Volk soll bekommen, was es haben will und vor allem wen es haben will, und es will nur einen, es will mich. So ungefähr ist seine Wahlanalyse, und so ungefähr sagt er das auch. Gerhard Schröder gibt am Wahlabend in der Elefantenrunde seinen Auftritt als Imperator im Dauerabo: Mein Wille geschehe!

Keine schlechte Stunde für die Fernsehzuschauer. Sonst drömelt diese "Berliner Runde" verschlafen dahin, ist nichts, aber auch gar nichts Neues aus den Parteioberen herauszufragen. Eigentlich ist sie nur noch eine Erinnerung an großartige Eklats früherer Zeiten, in denen Willy Brandt gegen Heiner Geißler zu Felde zog, ihn "den schlimmsten Hetzer seit Goebbels" nannte und Helmut Kohl sich schmallippig dagegen verwahrte. Ein Skandal. Und sonst war wenigstens einer der Diskutanten angetrunken. Was sich natürlich so gar nicht gehört für eine öffentlich-rechtliche Sendung. Lange, lange ist das her, und heute denkt niemand, dass ein Eklat überhaupt noch möglich sei bei dieser Runde der Lassen-Sie-mich-erst-einmal-Minderrhetorik.

Doch diesmal reißt der Kanzler die Show an sich. Fährt den zunächst noch ganz brav zu einer Frage anhebenden Chefredakteur des ZDF, Nikolaus Brender, gleich zu Beginn über den Mund. "Herr Bundeskanzler", hat Brender noch eben über Lippen bekommen, da blafft Schröder: "Ist ja schön, dass Sie mich schon so ansprechen." - "Sind Sie jetzt schon zurückgetreten?", kontert Brender noch einigermaßen gefasst. Nimmt einen zweiten Anlauf: "Herr Bundeskanzler, denn das sind Sie ja noch..." Schröder, gar nicht friedlich, giftet zurück: "Das bleibe ich, auch wenn Sie dagegen arbeiten."

Bis dahin tröpfeln Ironie, Polemik, Unterstellung noch. Doch dann rutscht die ganze Veranstaltung vom Regen unter Umgehung der Traufe direkt in die Jauche. Schröder allein gegen alle. Gegen den ZDF-Brender. Gegen den ARD-von-der-Tann. Gegen die Medien überhaupt.

Brender nimmt die Schelte nicht hin. "Ich weise darauf hin, dass ARD und ZDF das nicht vorzuwerfen ist. Nicht alles, was ihnen nicht passt, ist eine Medienkampagne", antwortet er dem Kanzler. Das kommt ziemlich öffentlich-rechtlich-oberlehrerhaft daher. Aber wehren muss er sich natürlich. "Wenn uns der Kanzler vor einem Millionenpublikum eine Kampagne vorwirft, dann kann ich das nicht so stehen lassen", sagt Brender am nächsten Tag der FR. Vielleicht waren manche Medien, war das ZDF am Ende doch zu umfragegläubig und sich daher zu sicher, wie die Wahl ausgehen werde? "Wir haben etwa beim Politbarometer immer darauf hingewiesen, dass das Augenblicksaufnahmen sind und dass die Wähler in ihrem Wahlverhalten stark schwanken", so Brender.

Der Kanzler scheint in der "Berliner Runde" irgendwie noch in der Autosuggestion des Wahlkampfes festzuhängen, so als sei die Aufholjagd noch immer im Gange und gelte es, das eine Prozent, dass ihm zum vollständigen Triumph über seine Widersacherin noch fehlt, in eben dieser Runde zu erbeuten. Vollgepumpt mit Selbstbewusstsein. Wen interessieren schon Prozentzahlen, wenn einer ein Wunder vollbracht hat? Hoffen gegen alle Zahlen. Kämpfen gegen alle Meinungsmacher. Er oder sie, das war immer seine Frage. Seine Motivation. Er hat eine SPD hochgebracht, an die keiner glaubte. Sie hat eine CDU runtergezogen, an der keiner zweifelte. Sie oder er? Für Schröder ist diese Frage entschieden. Was wäre das für eine Demütigung, wenn am Ende ausgerechnet seine SPD, die ihm das Gefühl des Sieges verdankt, unter der Führung von Angela Merkel mitregieren würde! Also blafft der Kanzler: "Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel in dieser Sachlage eingeht, indem sie sagt, sie möchte Kanzlerin werden?" Die Runde um ihn herum hört es mit einigem Erstaunen. Stoiber wird ernstlich sauer, mokiert sich über Schröders Arroganz. Angela Merkel duckt sie weg. Guido Westerwelle fragt den aufgeputschten Kanzler "was Sie vor der Sendung gemacht haben."

Das ist eine ebenso hinterlistige Frage, wie sie letzten Endes doch eine kluge ist. Schröder war schon eine halbe Stunde vor Beginn der Sendung im Studio, "gut aufgebürstet", wie Brender sagt. Sonst hat er nichts Besonderes bemerkt. Nur: "Schröder kam direkt aus der Trance des Wahlkampfs und er war während der Sendung dabei, gerade wieder Boden unter die Füße zu bekommen."

Ein Kanzler außer Rand und Band. Viel Feind', viel Ehr'. Ein ziemlich einmaliger Auftritt, der auch den anderen vom Wahlkampf erschöpften Diskutanten an die Nerven geht. Edmund Stoiber schaut die ganze Zeit zu Schröder hinüber, als beneide er den Kanzler irgendwie um seine Chuzpe. Vielleicht traut er seinen Augen nicht. Stoiber scheint einen Mann, der Kanzler ist und sich so benimmt, nicht verstehen zu können. Und vielleicht ist genau dies Schröders Vorteil. Wahlkampf, so weit die Kräfte tragen. Und darüber hinaus. Selbst Marathonläufer Joschka Fischer kann nach eine Weile nur noch japsen: "Ich bin froh, wenn die Runde zu Ende ist." Doch da sind es immer noch zehn Minuten.

Am Montagmorgen hat die Medienmacht sogar den Kanzler wieder ein bisschen lieb. "Respekt vor Gerhard Schröder!", beginnt der Kommentar in der Bild. Sonst gibt es eine seltene Einigkeit zwischen CSU-Generalsekretär Markus Söder, der im Frühstücksfernsehen ein bisschen andeutet, Schröder könnte was genommen haben vor seinem Fernsehauftritt, und dem Grünen Hans-Christian Ströbele. Der sagt hintersinnig, er frage sich, ob seine Forderung, das Hanf freizugeben, nicht schon längst verwirklicht worden sei.
on Markus Brauck

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