Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 20.09.2005

Schröder bleibt Kanzler: „Punkt aus – das war’s

SPD. Die Genossen reizen beim Koalitionspoker trotz schlechten Blattes mit vollem Risiko.
 
Hans-Christian Ströbele fürchtete grinsend, etwas verpasst zu haben. „Gebt das Hanf frei“, lautet eine alte Forderung des Grünen, die von TV-Komödiant Stefan Raab vertont wurde. Nach dem spektakulären Fernsehauftritt Gerhard Schröders am Sonntagabend mit Beschimpfungen der politischen Konkurrenz und der Medien erinnerte sich Ströbele gestern an das Lied für die Drogen-Legalisierung und mutmaßte: „Vielleicht wurde das heimlich ja schon durchgesetzt.“

Mit neuen Beschimpfungen gegenüber Journalisten, die ihm am Wahlabend auch einen Rüffel von Gattin Doris wegen „etwas krawalligen Auftretens“ eingebracht hatten, hielt sich der Bundeskanzler gestern zurück. Ansonsten allerdings machte er zusammen mit SPD-Chef Franz Müntefering mit recht eigenwilligen Erkenntnissen und Ideen genau dort weiter, wo man tags zuvor im Zahlenrausch aufgehört hatte.

In den Führungsgremien ließen beide die Marschroute für die Pokerei um eine neue Regierung abnicken. Eine SPD-Präside fasste sie so zusammen: Erstens bleibt Schröder Kanzler, zweitens regieren wir weiter, drittens wollen wir so viel wie möglich inhaltlich durchsetzen und viertens: „Punkt aus. Das war's.“ Kein Widerspruch. Nirgends. Wer jetzt zu viele Pflöcke einschlage, enge nur seine Gestaltungsmöglichkeiten ein, erklärte hinterher ein SPD-Stratege. Schröder kalauerte im Vorstand noch, er wolle jetzt nicht noch einmal die Vertrauensfrage stellen. Dann war alles geklärt. Und alle Sozis, von ganz links bis gegenüber, sagten wie bei einer gesprungenen Schallplatte plötzlich dasselbe: erstens ..., zweitens ...

Müntefering erklärte später noch mal die neuen SPD-Rechenarten: Die Sozialdemokratische Partei sei stärkste Partei geworden, CDU und CSU müssten getrennt gerechnet werden, schließlich seien das zwei Parteien. Die Botschaft sei „eindeutig“: Dieses Land wolle Frau Merkel nicht als Kanzlerin, sondern Gerd Schröder. Und deshalb habe er, Müntefering, alle anderen Parteichefs jenseits der Linkspartei brieflich zu Gesprächen über eine neue Regierung unter dem Anführer Schröder eingeladen. Das Büro von Merkel habe andersherum auch schon bei ihm angerufen, ob man nicht miteinander reden könne.

Das Hauptobjekt politischer Begierde der Genossen ist aber derzeit die FDP. Selbst der linke SPD-Flügel mit Andrea Nahles an der Spitze hat plötzlich den Charme der früher nur mit Abscheu und Empörung betrachteten Westerwelle-Truppe entdeckt, obwohl die noch nicht mal bereit ist, ein Ampel-Gespräch mit der SPD zu führen. Das müsse nicht das letzte Wort bleiben, hieß es bei den neuen SPD-Fans der Dreier-Verbindung mit FDP und Grünen. Die führenden Genossen geben sich intern zuversichtlich, die FDP mit allerlei Entgegenkommen doch noch zu locken. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und SPD-Vize Kurt Beck hatte schon am Wahlabend mit seinem früheren Mainzer FDP-Minister für Wirtschaft und Weinköniginnen, Rainer Brüderle, telefoniert. Natürlich „nur, um zum Einzug in den Bundestag zu gratulieren“.

„Die soll es nicht werden“

Würden die Ampel-Träume mit Onkel Gerhard vornedran an der Sturheit der FDP zerschellen, bliebe – zumindest aus SPD-Sicht – nur die ungeliebte Ehe mit der Union. Für diesen Fall werden schon jetzt unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit erste neue Nebelkerzen gezündet. Schröder, erklärt einer seiner Parteifreunde, könne sich ja im Bundestag geheim zum Kanzler wählen lassen und erst hinterher den „Schwarzen eine Zusammenarbeit anbieten“. Die schnöde Realität sieht anders aus.

Am Ende der Pokerei, bei der die SPD und der amtierende Kanzler Schröder trotz aller anders lautenden Behauptungen das schlechtere Blatt haben, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit ein anderes Produkt stehen: ein schwarz-rotes Bündnis ohne „den Gerd“, aber auch ohne Merkel. Die müsse weg, weil sonst Schröders Niederlage ja offensichtlich würde, lautet die plausible Begründung. Und wie hatte Schröder gesagt, als er mit dem Wahlkampf anfing: „Die soll es nicht werden.“
Von Peter Heimann, Berlin

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