Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 01.07.2006

Rat des alten Fuhrmanns verhallte ungehört

 
Der Zeuge saß entspannt auf seinem Stuhl. Da wippte kein Fuß, da flatterte keine Hand. Der Angeklagte wäre mehrmals fast an die Decke gegangen. Einmal platzte ein Wortschwall aus ihm heraus. Ein kurzer. Dann schüttelte er wieder den Kopf. Mit versteinerter Miene, den Unterrkiefer weit nach vorne geschoben. Der frühere sächsische Datenschützer Thomas Giesen (CDU) genoss gestern seine Aussage im Untreue-Prozess gegen Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP). Er zelebrierte sie regelrecht, rhetorisch brillant. Der Oberbürgermeister hätte Giesen am liebsten das Mikrofon abgestellt.

Ein aufgeregter Anrufer namens Eckoldt habe ihn mobilisiert, erinnerte sich Giesen. Im April 2003, der CDU-Stadtrat beschwerte sich über einen Berater des OB. "Eigentlich hatte ich keine Lust und wollte das Problem durch dilettorische Beratung lösen", erklärte der Datenschützer. Aber Eckoldt habe nicht locker gelassen und darauf hingewiesen, dass sich der Berater in Privat-Insolvenz befinde. Da hätten bei ihm die Alarmglocken geschrillt, sagte Giesen.

Also machte er sich am 9. April 2003 auf ins Rathaus. Und traf einen braungebrannten und verdächtig freundlichen Rainer Sehm an. Er sei mit der Flutschadensbeseitigung beschäftigt, habe Sehm gesagt. Einen Vertrag habe er nicht. Geld erhalte er auch nicht. "Aber wir haben 350 Millionen Euro zu vergeben. Der OB ist der Auffassung, dass da etwas für mich hängen bleibt", soll der OB-Intimus auf die Frage geantwortet haben, ob er denn für Gotteslohn arbeite, erinnerte sich Giesen.

"Mir war sofort klar: Jetzt muss ich den OB sprechen. So kann man Verwaltung nicht machen." Noch in Roßbergs Vorzimmer seien OB-Berater Geisselbrecht und ein Dezernent auf ihn zugekommen: "Befreien Sie uns von Sehm. Das ist nicht zum aushalten mit ihm", hätten die Männer gesagt. "Ich habe mir gedacht: Ich rede jetzt als alter Fuhrmann mit dem jungen OB und gebe ihm einen Ratschlag", sagte Giesen. "Er war dabei, sich in eine missliche Situation zu bringen, ohne dass er es merkt."

Roßberg habe ihm erklärt, er könne zu seinen Bürgermeistern kein Vertrauen schöpfen und brauche eine Person in seiner Nähe, auf die er sich verlassen könne. "Ich konnte das nachvollziehen und habe ihm geraten, Sehm fest einzustellen." Roßberg habe aber zahlreiche Ausflüchte gefunden, warum gerade das nicht ginge. "Mir kam der Verdacht, dass die das Gehalt von Sehm umleiten wollen. Ich habe den OB davor gewarnt, sich strafbar zu machen. Er soll sich unterstehen, persönlich etwas in Sachen Finanzen für Sehm zu tun. Dafür könne er ins Gefängnis kommen."

Der Rat des "alten Fuhrmanns" verhallte ungehört, Roßberg regelte die finanziellen Dinge für Sehm selbst. Dafür sitzt er jetzt auf der Anklagebank und schiebt den Unterkiefer nach vorn. Giesen hingegen beschreibt Sehms Rolle in der Stadtverwaltung so: "Er war eine Art zweiter Oberbürgermeister. Ein kleiner, lieber OB. Der besser auf die Leute zugehen kann und nicht so spröde ist wie Herr Roßberg." Der OB habe mit Sehm ein Nebenregime etabliert, eine Parallelverwaltung. "Dass das datenschutzrechtlich nicht ging, lag auf der Hand. Sehm war freier Berater, hatte aber Zugang zu den sensibelsten Daten der Stadt." Roßberg habe mehrfach plump gelogen, um den Datenschützer ruhig zu stellen. "Wenn er damals auf meinen Rat gehört hätte, würden wir heute nicht hier sitzen und wären glücklicher", so der Anwalt aus Koblenz.

Am Vormittag hatte Stadträtin Barbara Lässig (Linke.PDS-Fraktion) ausgesagt, Sehm habe sie im Frühjahr 2002 unter Druck gesetzt, zugunsten des OB aus dem Vorstand der Olympia GmbH zurückzutreten. "Im Gegenzug wollte er meinen Verein Eislöwen entschulden. Als ich ablehnte, hat er gedroht, das Eishockey in Dresden werde wegen mir den Bach runtergehen."
Thomas Hartwig

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