Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 19.09.2006

Rechtsextreme: Vormarsch in die gute Stube

Schnuller für Babys, Bienenstich für Eltern, Schläge für Gegner: Mit welcher Strategie die Braunen im Norden das bürgerliche Milieu erobern
 
Sie sind freundliche Leute, diese Pastörs. Diese nette, aparte Frau, die mit ihren silbergrauen Haaren und dem Landhausrock aussieht wie eine Waldorfschul-Lehrerin beim Elternfest. Jeden lächelt sie herzlich an, begrüßt ihn mit Handschlag. Wer so eine Frau hat, kann kein schlechter Mensch sein, möchte man denken - und genau darauf setzt ihr Mann: Udo Pastörs, Uhrmachermeister und Spitzenkandidat der NPD in Schwerin. Er nimmt seine Frau in den Arm, er tätschelt ihr den Rücken, er bedankt sich bei ihr - aber anders, als Politiker das sonst tun. Pastörs lobt, "dass mich meine Frau so hervorragend bekocht hat, dass sie meine Wäsche gewaschen hat, dass sie mir geholfen hat, die Kraft aufzubringen, dass ich diesen Wahlkampf überstanden habe". Später sagt er noch, es seien diese "stillen, treuen, schaffenden Frauen", die der NPD so gut täten.

Lauter kräftige junge Männer stehen am späten Sonntagabend nach der Landtagswahl vor der "Radeberger Bierstube" in Schwerin. Keiner kommt rein, draußen im Dunkeln sichert der "Ordnungsdienst" der NPD, muskelbepackte Herren in weißen Hemden und schwarzen Hosen, die Zufahrt, Demonstranten sind aufmarschiert. "Ihr habt den Krieg verloren", schreien sie den NPD-Ordnern zu. "Und ihr habt die Wahl verloren", rufen die zurück. Drinnen bekommt "die Kameradin Pastörs" derweil zum Dank einen Blumenstrauß überreicht - die Männer draußen verteidigen die Siegesfeier, sie aber hat die Heimatfront verteidigt, damit ihr Mann die Schlacht um den Wähler schlagen konnte. "Bei uns bekommt man Kinder und macht nicht nur Karriere", sagt Udo Pastörs.

Volkstreuer Arbeitskreis

Die Kameraden der NPD reißen die Arme hoch, packen sich an den Händen, bilden einen Kreis, skandieren: "Hoch, die na-tio-na-le Soli-dari-tät." Längst haben sie die Sprüche der 68er übernommen, völkisch verbrämt. Die Welt der NPD ist an diesem Abend in wunderbarer Ordnung. Und das Ehepaar Pastörs zeigt, in welche Richtung die braunen Kameraden marschieren - hinein in die bürgerliche Gesellschaft.

Am Morgen danach strahlt Holger Apfel noch übers ganze Gesicht. Apfel, Wahlkampfleiter und Vorsitzender der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, sitzt mit seinen Getreuen in der unscheinbaren Pension "Am Lewitztor" außerhalb Schwerins. Sie haben sich schon früh getroffen, Lageanalyse, Aufgabenverteilung. Schon an diesem Dienstag will sich die NPD-Fraktion zur Sitzung treffen und einen Vorsitzenden wählen. Es wird Udo Pastörs werden. Und vermutlich wird er auch Kandidat der Fraktion für das Amt des Ministerpräsidenten - natürlich stellen sie einen Kandidaten auf, allein um zu zeigen, dass sie mit den anderen Parteien nichts am Hut haben. Und mit den Freunden von der rechtsextremistischen DVU will man einen "Arbeitskreis volkstreuer Parlamentarier" gründen - über Ländergrenzen hinweg.

"Die NPD hat sich in der Mitte des Volkes fest verankert", sagt Holger Apfel, Wahlkampfleiter von Mecklenburg-Vorpommern und Fraktionschef der NPD in Sachsen. "Sie ist aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken." Der Mann ist bester Laune, er, der in Dresden vom "Bombenholocaust" spricht, der die Provokation im Dresdner Landtag sucht. Die NPD werde jetzt die Republik aufrollen, über die "Achse Schwerin-Dresden". Seine Fraktion werde geschulte Leute nach Schwerin entsenden, um den Kameraden zu helfen. "Das ist die gelebte Volksgemeinschaft, die leben wir in den eigenen Reihen vor", sagt er. Apfel peilt als nächstes den bayerischen Landtag an, später natürlich den Bundestag. Und wenn sie die Regierung übernommen haben, dann, so hatte er am Wahlabend gesagt, werde wieder über die Grenzen Deutschlands zu reden sein und wie man in "den annektierten Gebieten jenseits von Oder und Neiße das Deutschtum fördern könne". Es gibt keinen Grund mehr, Kreide zu fressen.

Die NPD hat 7,3 Prozent erhalten, in Ostvorpommern gar bis zu 15 Prozent. Im Dorf Postlow mit 144 Einwohnern hat die NPD 38 Prozent Stimmen geholt. Und die Nummer 2 auf der Landesliste, Tino Müller aus Ueckermünde, hat in seinem Wahllokal 35 Prozent aller Erststimmen erhalten. "Das sind Parallelen zur Sächsischen Schweiz", sagt Apfel - der Landstrich gilt als Homeland der NPD in Sachsen.

Udo Pastörs stößt am Wahlabend mit seiner Frau Marianne mit Sekt auf den Erfolg an. Dann sagt er zur Feier des Tages: Die NPD kämpfe "für ein deutsches Deutschland, in unseren Grenzen, die wir uns seit Jahrzehnten haben nicht ausreden lassen". Er meint die Grenzen von 1937. Er halte sich nicht an Verträge gebunden, die "ein Frahm oder Brandt" unterzeichnet habe. Das haben die Rechtsextremen von Adenauer übernommen, er nannte Willy Brandt einst Frahm, um ihn zu diffamieren. Im Exil und Widerstand gegen Hitler hatte der den Namen Willy Brandt angenommen und unterschrieb später als Kanzler die Ostverträge.

Im Wahlkampf ähnelten die Termine der Pastörs oft Familienpicknicks. Biertische unter Bäumen, Bleche voller Bienenstich darauf und Kaffee. Jungen Müttern schenkten sie Schnuller fürs Baby - keine Kondome wie andere Parteien, weil die NPD das deutsche Volk ja erhalten will. Wenn der Wind eine der mit Sonnenblumen bedruckten Servietten wegwehte, spurtete Frau Pastörs oder ein sehr kurzhaariger Herr hinterher und hob sie auf. Der Deutsche an sich ist ja ordentlich.

Die Pastörs sind sehr deutsch. So deutsch, dass Marianne Pastörs zu Weihnachten nicht Plätzchen bäckt, sondern einen "Julbogen", mit germanischen Runen drauf, wie sie freundlich erklärt. So deutsch, dass Udo Pastörs die Überfremdung der Deutschen schon früh datiert - mit der Verbreitung des Christentums, dieser "vorderasiatischen Erfindung". Er bemüht ein Zitat Mathilde Ludendorffs, einer Vordenkerin der völkischen Bewegung und Gattin des I.-Weltkriegs-Generals und frühen Hitler-Anhängers Erich Ludendorff. "Nicht Bethlehem, nicht Rom, der deutsche Wald, das ist mein Dom." Das kann Pastörs schön deklamieren. Bildung, auch eine deutsche Tugend.

Und natürlich ist Pastörs diszipliniert, pünktlich und wohlerzogen. Vor allem darauf hält er sich viel zugute. Er rückt der Reporterin den Stuhl zurecht, bietet Kaffee an - um ihr kurz darauf vorzuwerfen, sie gehöre ja auch "zu den Schreiberlingen, die sich prostituieren". Er bittet höflich, ausreden zu dürfen. Wenn man widerspricht, kann er aber schnell unhöflich werden. Dann ist auch Gewalt plötzlich nicht mehr so schlimm. Als NPD-Leute einen Rentner verprügelten, weil der sich handgreiflich gegen ein Wahlplakat vor seiner Haustür gewehrt hatte, nannte Pastörs das "Notwehr": "Dann gab es was aufs Öhrchen und zwar zu Recht." Das Opfer sei ja nur ein "PDS-Kommunist" gewesen. Politiker sind für Pastörs allesamt "Banditen". Bei jedem legt er in einem Nebensatz dar, wie sie sich angeblich bereichern. So behauptet Pastörs, Familienministerin Ursula von der Leyen fliege täglich von Berlin nach Hannover. Allerdings gibt es gar keine Flüge Hannover-Berlin. Mit solchen Geschichten träufelt die NPD ihr Gift ins Wählervolk.

Am Abend nach der Wahl bedienen sich die Kameraden am Büfett - Schweinshaxen mit Sauerkraut und Knödel, Fischhäppchen, Lachs, Rote Grütze. Die paar Frauen unter den NPD-Männern haben sich ins Abendkleid geworfen und staksen auf hochhackigen Schuhen. Man will bald ganz unter sich sein. Die wenigen Journalisten, die ein halbes Stündchen dabei konnten, befördert man hinaus. Ein Mann hat sich hinter Udo Pastörs aufgebaut, überm weißen Hemd trägt er eine Kette mit einem Anhänger. Ein "Thors Hammer", Zeichen des germanischen Göttervaters.

Hoffnung auf Walhall

Am Wahlstand in Ludwigslust stand auch ein Mann mit so einem Amulett, genauso wie bei der NPD in Neustadt-Glewe. "Ich bin deutsch und stolz darauf", sagte der junge Mann mit dem Hammer am Hals. "Und es heißt, dass man dann nach Walhall kommt." In den Götterhimmel der alten Germanen.

"Ich will das jetzt mal dahin gestellt lassen, ob die NPD was mit Rechtsextremismus zu tun hat", sagte ein Frührentner drei Tage vor der Wahl am Kuchentisch der Pastörs. "Rechtsextremismus stört mich, aber dass sie gegen Ausländer sind, die unsere Sozialsysteme auffressen, das finde ich ehrlich." Auch Rentner Horst Karkosch trat heran, redete mit NPD-Landeschef Stefan Köster, einem großen, schlanken Mann mit akkurater Bügelfalte. Er schimpfte auf die Regierung, lobte die NPD. "Aber dass Sie sich mit 15-Jährigen einlassen, die herumpöbeln und sich SS-Runen in die Kopfhaut eintätowieren lassen, das mag ich nicht." - "So was habe ich noch nie gesehen", sagte Köster. "Das habe ich schon ein paar Mal gesehen", beharrte Karkosch. Er hat noch gesagt, es nerve ihn, dass die Jungen so rumgrölen. "Sie wissen, dass wir so etwas nicht tun", antwortete Köster würdevoll.

Ausgerechnet Stefan Köster, der im Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein einer Gruppe von Antifa-Leuten hinterher jagte und dann eine Demonstrantin mit Füßen trat - alles auf Film aufgezeichnet. Er bekam dafür sechs Monate auf Bewährung. Er sagte, er sei nur über die Frau gestolpert. Und seine Freunde nennen es "infam, den Kameraden Köster als Schläger zu bezeichnen".

Sie proben die neue Bürgerlichkeit. Haben im Wahlkampf Kinderfeste gefeiert, Radtouren gemacht. Präsentieren ihre Leute als die wahren Volksvertreter. Wuchern mit ihrem Familienleben. Andreas Theißen zum Beispiel. Zimmermann, 34 Jahre, fünf Kinder, überzeugter Familienvater. Ein freundlicher Mann, der zupacken kann. Sein Chef hat ihn für den Wahlkampf freigestellt, mitten in der Saison. "Wenn jemand mit meiner politischen Einstellung Probleme hat, dann ist das nicht mein Arbeitgeber", sagt Theißen. Er will familienfreundliche Politik: Warum müsse er mit seinen fünf Kindern mehr Müllgebühren zahlen als ein Single? So freundlich wirkt Theißen. 1999 wurde er wegen unerlaubten Sprengstoffbesitzes zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er sagt, da sei nichts dran, ein Spitzel habe ihn zu Unrecht angeschwärzt.

An Tino Müller, 28, zwei Kinder, kommt man in Vorpommern nicht vorbei. Der Mann hat für die NPD die Region aufgerollt - und doppelt so viele Stimmen errungen wie im Landesschnitt. In seinem Wahlkreis Uecker-RandowI hat die NPD 15Prozent geschafft. Tino Müller steht am Wahlabend etwas abseits, wirkt zurückhaltend, fast schüchtern. Immer wenn er gefragt wird, prescht ein Kamerad dazwischen. Man muss darum kämpfen, einen Satz von Müller direkt zu bekommen. "Wir kümmern uns um die Leute", sagt er. "Um die Leute, die HartzIV bekommen, um die Enttäuschten - das sind unsere Wähler." Er kümmert sich natürlich um viel mehr. Um Kultur, Volkstanz, Tradition. Am Wahlabend trug er Lodenjanker. So harmlos sehen Tino Müllers Freunde aus, dass die Bürgermeister verschärft aufpassen müssen, die Kameraden vom "Heimatbund Pommern" nicht versehentlich zum Dorffest einzuladen.

"Wie die idealen Schwiegersöhne"

Passiert ist das schon. "Die geben sich wie die idealen Schwiegersöhne", sagt Ueckermündes Bürgermeisterin Heidi Michaelis (PDS). "Höflich, mit Scheitel, nach dem Motto: Wir sind die Guten." Tino Müller hat eine Bürgerinitiative gegründet - "Schöner und sicherer Wohnen in Ueckermünde". Sie wendet sich gegen ein Asylbewerberheim. In seinem Plattenbauviertel kennt er jeden Zweiten, und, wie gesagt, 35 Prozent der Erststimmen in seinem Wahllokal. "Wir sind ein fester Faktor in Ueckermünde. Die Stadt überlegt sich zweimal, was sie beschließt."

"Der Mann überschätzt sich", sagt die Bürgermeisterin. Das Asylbewerberheim sei mangels Bewerbern verlegt worden. Müller mache in Stadtratssitzungen nie den Mund auf. Als sie ihn ins Rathaus zum Gespräch über eine Bahntrasse eingeladen hat, habe er nur "gebetsmühlenhaft" Parolen wiederholt. Doch mangelnde Effizienz schadet dem öffentlichen Erfolg nicht. Wenn er nun in den Landtag einzieht, will er ein Bürgerbüro in der Stadt eröffnen: "Die Leute merken doch an mir: "Wenn der zur NPD gehört, kann es nicht verkehrt sein."

Am Stehtisch Parolen

Die Strategie verfängt. Wenn ihre Wahlhelfer zuschlagen, schiebt die NPD das von sich - und auf junge Männer, "die eben mal über die Stränge geschlagen haben". Krawall ist nicht erwünscht. "Die organisieren Bürgerfeste, wo sie jedem etwas bieten", sagt Christoph Racky, der das Gymnasium in Wolgast leitet. "Dosenwerfen, Spiele, Luftballons für die Kinder. Und die Großeltern kriegen Kaffee und Kuchen." An den Stehtischen gibt es die Parolen. "Zu den Gegenaktionen kommt nur die bekannte Klientel, zur NPD geht die ganze Familie."

Man nimmt die NPD-Aktivisten nicht gleich ernst. Auch Ute Lindenau hat erst nicht darauf geachtet, was da vor ihren Augen geschah. Wer macht sich schon Gedanken über einen Geschäftsmann im Ort? Nur weil er jeden Tag einen anderen Stammtisch besucht? Allmählich wurde der Bürgermeisterin der Gemeinde Lübtheen klar, was passierte. Sie sah Udo Pastörs ein Bistro betreten oder ein Restaurant, und davor fünf, sechs Autos örtlicher Handwerker. "Der setzt sich zu den Leuten, der redet mit ihnen. Der frisst sich in den Mittelstand rein", sagt SPD-Frau Lindenau. Und dann die Frau. Steht immer im Laden, immer ein nettes Wort, kauft im Ort ein. "Das ist eine Art, die wir nicht kannten. Da geht man doch davon aus, dass das gute Menschen sein müssen", sagt Lindenau. "Da kommt erst mal keiner drauf, dass das Strategie ist."

Binnen vier Jahren hatte sich der Anteil der NPD im Ort vervierfacht - obwohl der Landkreis Ludwigslust das höchste Durchschnittseinkommen in Mecklenburg-Vorpommern hat. Und Ute Lindenau gilt jetzt als Feindin. Das Gästebuch der Stadt läuft über vor bösen Mails aufrechter Kameraden. Weil sie eine Demonstration gegen die NPD organisiert hat.

Udo Pastörs hat in seinem Laden einen Hinweis ausgehängt. Er schließe sein Geschäft bis auf Weiteres. "Beleidigungen, Bedrohungen und mutwillige Zerstörungen unseres Eigentums haben mich zu diesem Schritt bewegt." Federführend beteiligt an der "Hetze" seien führende Vertreter der Stadt. Er könne seiner Frau nicht zumuten, weiter den Laden zu führen. Die Bürgermeisterin weiß nichts von Bedrohung oder Zerstörung. Vielleicht hat Pastörs nur zu viel im Landtag zu tun. Und seine Frau muss für ihn kochen, damit die patriotische Kraft nicht erlahmt.
Von Annette Ramelsberger

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: