Sächsische Zeitung, 02.04.2007
Die doppelt Enttäuschten
Seit 20 Jahren verfolgen Forscher junge Leute auf ihrem Weg vom DDR- zum Bundesbürger. Die Ergebnisse sind teils alarmierend.
Sie waren keine Propheten. Dass es zwei Jahre später eine gesellschaftliche Wende geben würde, haben die damals knapp 1300 Leipziger und Karl-Marx-Städter (Chemnitzer) 14-jährigen Schüler im Jahre 1987 natürlich nicht geahnt. Daraus, dass ihnen aber manches nicht schmeckte im real existierenden Sozialismus, machten sie kein Hehl. So ginge ihnen „ihre Identifikation mit dem Marxismus-Leninismus“ schon zunehmend abhanden, gaben sie frank und frei auf Fragebögen im Rahmen einer Studie des Jugendforschungsinstitutes der DDR an.
Angst vor Notlagen wächst
20 Jahre sind seitdem vergangen. Inzwischen haben die heute 34-Jährigen ihre Probleme mit dem Kapitalismus. Es deutet sich an, dass sie eine Generation doppelt Enttäuschter werden. Immerhin haben zwei Drittel der Frauen und Männer – von denen die Hälfte über einen Facharbeiter- und knapp ein Viertel über einen Hochschulabschluss verfügen – bereits Erfahrung mit Arbeitslosigkeit machen müssen. Männer im Schnitt bis zu 14, Frauen bis zu 19 Monaten. Und mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit schwindet ihre Zukunftszuversicht, wächst die Furcht vor Notlagen. Sie geben an, dass ihr Selbstbewusstsein und ihre Lebenslust schwinden. Sie befürchten, dass sie sich ab 37 Jahren generell Sorgen um einen Arbeitsplatz machen müssen. Und dass es ohne Arbeit keine Freiheit gibt.
Diese bedrückenden Aussagen kamen bei der inzwischen 20.Befragung der jungen Leute zum Ausdruck, bestätigen aber den Trend der letzten Jahre. Denn knapp 400 Studienteilnehmer stehen dem Forscherteam noch heute durch die Beantwortung von jährlich rund 200 Fragen zur Verfügung. Damit ist die Studie nicht nur wegen des langen Zeitraums so besonders, sondern auch, „weil sie das persönliche Erleben der Wiedervereinigung dokumentiert, Befindlichkeiten von Menschen beim Übergang von einem Gesellschaftssystem in ein anderes erfasst“, sagt Dr. Hendrik Berth, Diplom-Psychologe am Universitätsklinikum Dresden und seit dem Jahr 2000 Mitautor der Studie. Er spricht sogar von einer weltweiten Einzigartigkeit.
Die Teilnehmer wünschten sich mehrheitlich die politischen Verhältnisse der DDR nicht zurück, sagt der Wissenschaftler. Doch mit zunehmendem Abstand zu den Wendejahren wachse die Unzufriedenheit mit heutigen gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere im Hinblick auf Sozial-, Familien-, Bildungs- und Gesundheitspolitik. Oder Kriminalität. „In diesem direkten Systemvergleich“, sagt Berth, „schneidet die DDR in der Bewertung zunehmend besser ab.“ Ihre in der DDR gemachten Alltagserfahrungen in sozialer Hinsicht, insbesondere die erlebte soziale Sicherheit, wirkten nachhaltiger als vermutet. Die Anfang Dreißigjährigen sprächen selbst gern von einer Doppelidentität: Sie fühlen sich als Bundesbürger ohne die Verbundenheit mit der DDR aufzugeben.
Keine ideologische Verklärtheit
Die positiven Erinnerungen, sagt Berth, seien nicht gleichzusetzen mit früheren politischen Bindungen und schon gar nicht Ausdruck ideologischer Verklärtheit. Hartnäckig hält sich bei ihnen die Überzeugung, sie verstärkt sich sogar, dass es ein schwerwiegender Fehler der Wiedervereinigung gewesen sei, nicht die guten Seiten der DDR in das gemeinsame Land mit hinüberzuretten. Die Studienteilnehmer beklagen ferner mehrheitlich und zunehmend die Verteilungsungerichtigkeit im Lande. „Sie fühlen sich als Deutsche zweiter Klasse“, sagt Berth, und zwar wieder in einem zunehmenden Maße.
Die Autoren der Studie und eines daraus entstandenen eben erschienenen Buches „Einheitslust und Einheitsfrust – Junge Ostdeutsche auf dem Weg vom DDR- zum Bundesbürger“ glauben, dass die Politik die Ängste, Sorgen und Befindlichkeiten eklatant unterschätze.
Von Carola Lauterbach