Sächsische Zeitung, 15.05.2007
Im sächsischen Sumpf
Polizisten und Juristen, Immobilienhändler und Rotlichtgrößen sollen in einen Skandal verwickelt sein, dessen ganzes Ausmaß noch unklar ist.
Genaues weiß keiner. Denn die mutmaßliche „mittlere Staatskrise“ von der eingeweihte Kreise orakeln, liegt verschlossen auf der Neuländer Straße in Dresden im Landesamt für Verfassungsschutz. Dort stehen jene knapp einhundert Aktenordner mit etwa 16000 Seiten, deren Inhalt seit dem Wochenende für reichlich Aufregung im Freistaats sorgt. Sie enthalten die in zwei Jahren gesammelten Erkenntnisse über fünf Komplexe von organisierter Kriminalität im Freistaat.
Einer dieser Fälle, der die Bezeichnung „Abseits“ trägt, sorgt derzeit besonders für Schlagzeilen. Um ein Netzwerk aus Geschäftsleuten in der Immobilienbranche, Anwälten, Juristen im Staatsdienst, Polizisten und Leuten aus dem Rotlichtmilieu soll es sich dabei handeln. Eine Story mit Potenzial zum Thriller: Wenn die Erkenntnisse stimmen, geht es um Immobilien-Deals, Bedrohung, Korruption, Geheimnisverrat, Erpressung und um Kinderprostitution. Doch das meiste liegt nach wie vor im Nebel. Inwieweit Verfassungsschützer in Leipzig ein Netzwerk organisierter Kriminalität sichtbar gemacht haben, ist unklar. Bekannt sind lediglich einige Leipziger Ereignisse, die teilweise lange zurückliegen.
Der Fall Klockzin
Martin Klockzin war 1994 Hauptabteilungsleiter in der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft, zuständig für die mit Rückgabeansprüchen belasteten Grundstücke. Es war die Zeit des Immobilien-Monopoly in der sächsischen Messestadt. Klockzin soll die Kreise einiger dieser Leute gestört haben, die Alteigentümern Restitutionsansprüche abkauften, um später mit hohe Gewinne zu machen.
Am 17. Oktober 1994 klingelte es gegen 23 Uhr an Klockzins Tür. Ein Telegrammbote meldete sich. Als Klockzin öffnete, wurde auf ihn geschossen. Von fünf Kugeln getroffen, wurde er in lebensbedrohlichem Zustand in eine Klinik eingeliefert und überlebte den Anschlag nur knapp. Im Juni 1996 standen vier Männer vor dem Landgericht Leipzig. Unter ihnen Sven T. Er hatte gestanden, dass er auf den Immobilien-Manager der Stadt geschossen hatte. Er hatte auch angegeben, wer ihm dabei behilflich war. Der 22-Jährige wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt, seine Gehilfen erhielten gar lebenslänglich. Ein hartes Urteil von Richter Günther Schnaars. Staatsanwalt Joachim Troch wird mit dem Satz zitieren: „Ich hatte nicht erwartet, dass man hier so hohe Haftstrafen rausholen kann.“
Die Hintermänner
Erst sechs Jahre später, im Januar 2003, standen die mutmaßlichen Auftraggeber des Anschlags vor Gericht. Martin Klockzin soll ihnen bei einem Geschäft mit dem Grundstück Riemannstraße 52 im Weg gestanden haben. Ihm sollte angeblich nur ein Denkzettel verpasst werden. Die beiden verdächtigen Immobilienhändler aus Bayern waren bereits 1995 im Visier der Behörden. So hatte es laut Medienberichten ein Beamter des Landeskriminalamtes im ersten Prozess als Zeuge ausgesagt. Zwischendurch hatte die Staatsanwaltschaft Leipzig den Fall angeblich schon zu den Akten gelegt, obwohl Verdächtige bekannt waren. Im zweiten Prozess tauchten plötzlich 22 Ordner mit Akten aus dem Landeskriminalamt auf, die das Gericht bisher nicht kannte. Insbesondere ein Staatsanwalt machte sich damals dafür stark, keine andere Behörde mit der Überprüfung der Schlamperei zu beauftragen.
In einem Bericht des Landeskriminalamtes werden zahlreiche Merkwürdigkeiten des Falls untersucht. Er endet mit der Vermutung der Beamten, dass im Fall Klockzin Dinge und Interessen einiger Leute ins Visier geraten könnten, die im Verborgenen bleiben sollen. Um den Fall ranken sich auch andere Ereignisse.
Die Mädchen vom Jasmin
Am 28. Januar 1993 stürmte ein Sondereinsatzkommando der Polizei in der Merseburger Straße 115 eine Wohnung im zweiten Stock mit den Schild „Jasmin“ an der Tür. Minderjährige Mädchen mussten hier anschaffen. Eine Mutter hatte Anzeige erstattet. Ausgerechnet ein Polizist soll Medienberichten zufolge das erste Mädchen an den Betreiber des Klubs geliefert haben. Er wurde später festgenommen.
Die Ermittlungen förderten zutage, dass der Ort der Kinderprostitution bei der Polizei schon länger bekannt war. Außerdem vermutete der ermittelnde Staatsanwalt „ein Leck“ bei der Polizei. Der als Bordell der kleinen Mädchen bekannt gewordene Klub taucht sieben Jahre später ebenfalls in der vertraulichen Untersuchung des Landeskriminalamtes auf. Nach eher vagen Angaben wird die Vermutung geäußert, dass es Verstrickungen einiger Personen zu diesem und anderen Kinderbordellen geben könnte. Gerüchte von Filmaufnahmen kursieren, mit denen einige der Besucher erpressbar wären. Dem Chef des „Jasmin“ wurde der Prozess gemacht. Es wird vermutet, dass einflussreiche Personen–auch aus dem Staatsdienst–im „Jasmin“ verkehrten, die sich damit erpressbar machten. Das Bordell taucht in jüngster Zeit wieder auf, wenn von dem vermeintlichen Leipziger Sumpf die Rede ist.
Die verschwundene Frau
Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Martin Klockzin wird auch das Verschwinden einer Frau genannt, die ebenfalls mit Immobilien zu tun hatte: Barbara Beer. 1996 war die 49-jährige Justizsekretärin im Leipziger Amtsgerichts tätig. Am 24. Juli jenes Jahres verschwand die Frau spurlos. Ihr Kleinwagen wurde Monate später auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Leipzig gefunden. Weitere drei Jahre später entdeckten Arbeiter in der Elsteraue bei Raßnitz den Schädel und Teile des Skeletts der Frau. Es soll Hinweise geben, dass die Justizangestellte illegalen Immobiliengeschäften auf die Spur gekommen sein könnte. Doch die Ermittlungen verliefen im Sande, der Fall liegt bei den Akten.
Der verschwundene Mann
Auch der 1972 geborene Martin Mielke wird genannt, wenn es um rätselhafte Ereignisse in der Leipziger Immobilienbranche geht, in der der junge Mann ebenfalls bis zum 24. Februar 1996 tätig war. An diesem Tag verließ er seine Wohnung in Leipzig-Burghausen, um nach Berlin zu fahren. Dort kam er nie an. Seither fehlt von ihm jedes Lebenszeichen. In Leipzig Lützschena fand die Polizei wenig später Mielkes Auto. Es war verschlossen, aber mit Blut beschmiert. Ohne Ergebnis wurde wegen Mordes ermittelt.
Der Staatsanwalt
Bisher ist unklar, ob es zwischen diesen und anderen Vorfällen, wie zum Beispiel dem rätselhaften Selbstmord des CDU-Stadtrates Walter Bullinger einen Zusammenhang gibt. Ob Bestechung und Erpressung in Verbindung mit lukrativen Grundstücksgeschäften hinter all dem stecken. Offenbar haben die Verfassungsschützer dazu weitere Erkenntnisse.
Der Publizist und Korruptionexperte Jürgen Roth verweist auf seiner Internetseite in Bezug auf den Leipziger Sumpf mit einiger Deutlichkeit auf einen Staatsanwalt. Auf Nachfrage der SZ reagierte der Jurist völlig überrascht auf die kursierenden Vorwürfe und versicherte, dass er damit nichts zu tun habe.
Von Thomas Schade