Agenturen dpa, 17.05.2007
Sachsen steht vor einem Korruptionsskandal
Dresden - Sachsen droht ein Korruptionsskandal von noch unbekanntem Ausmaß. In den kommenden Wochen sollen bisher streng geheim gehaltene Verfassungsschutz-Daten über ein mutmaßliches Geflecht organisierter Kriminalität an die Strafverfolgungsbehörden gehen. Medienberichte der vergangenen Tage lösten erste Erschütterungen aus. Die Unterlagen sollen hoch brisantes Material enthalten: In Korruption, Amtsmissbrauch, dubiose Immobiliendeals und Kinderprostitution sollen auch hohe Justiz- und Polizeibeamte und Politiker verwickelt sein. Sogar von Morden ist die Rede. Eine offizielle Bestätigung gibt es bisher ebenso wenig wie Namen oder Details genannt werden. Die Geheimdienstkontrolleure des Landtags und der Innenminister sind zu strikter Geheimhaltung verpflichtet. Trotzdem verdichten sich die Anzeichen für einen Skandal großer Tragweite. Laut einem Regierungsbeschluss vom Dienstag soll nun Generalbundesanwältin Monika Harms Kopien der Unterlagen erhalten. Nach ersten Erkenntnissen könnten auch Richter und Staatsanwälte belastet sein. Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) sagte, unter keinen Umständen dürfe der Eindruck entstehen, dass im Freistaat durch Mauscheleien etwas vertuscht werde.
Über die Weitergabe der vom Verfassungsschutz zwischen 2005 und 2006 zusammengetragenen Informationen hatte es heftigen Streit gegeben. Nach Ansicht von Sachsens Datenschutz-Beauftragtem Andreas Schurig hätten sie nie gesammelt werden dürfen und müssten deswegen vernichtet werden. Das sächsische Verfassungsgericht entschied 2005, dass der Verfassungsschutz nur noch in ganz engem Rahmen die organisierte Kriminalität beobachten darf - wenn sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht. Der Datenschützer sieht das bei den diskutierten Fällen nicht.
Die Parlamentarische Kontrollkommission und der zuständige Innenminister kamen nach Prüfung der Akten jedoch zu einem anderen Schluss. Am späten Dienstagabend verkündete Buttolo, was Politiker aller Parteien seit Bekanntwerden der Vorwürfe forderten: Ein Großteil der Unterlagen kann von der Staatsanwaltschaft ausgewertet werden. „Die Sachsen haben einen Anspruch darauf, dass zügig und lückenlos jedem Verdacht einer Straftat nachgegangen wird“, sagte wenig später Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).
Sollten die Staatsanwälte oder Richter die Auffassung des Datenschützers teilen, könnte es sein, dass es nie zu einem Prozess kommt. Zudem könnten Straftaten wie Bestechlichkeit und Korruption längst verjährt sein, sagte der Dresdner Staatsanwalt Christian Avenarius. Er und seine Kollegen sollen für die Ermittlungen in den nächsten Monaten federführend zuständig sein.
Bewahrheiten sich die Vorwürfe, könnte der Skandal in Sachsen ein mittleres Erdbeben auslösen. „Hier geht es um hochrangige organisierte Kriminalität und nicht um irgendwelche gelegentlichen Ausflüge ins Rotlichtmilieu“, sagte der Publizist Jürgen Roth, der die Akten eingesehen haben will.
Vergleichbare Dimensionen habe es allenfalls beim Kölner Müllskandal und beim Frankfurter Immobilien- und Schmiergeldskandal gegeben, sagte Dieter Hüsgen von der Antikorruptionsorganisation Transparency International. In Frankfurt werden rund 170 Beschuldigten Bestechung, Untreue, Betrug, Steuerhinterziehung und Geldwäsche vorgeworfen. In Köln ging es um Millionen-Schmiergelder, die beim Bau einer Müllverbrennungsanlage geflossen sein sollen. (dpa)