Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 02.06.2007

Leipziger Tafelrunde

Neues Material über kriminelle Netzwerke: Absprachen zwischen Immobilienmanagern und Stadtbeamten
 
Dresden (DNN). Bereits in der Vergangenheit ging es in der sächsischen Korruptions-Affäre um heikle Details mit bösartiger Note. Justiz- und Polizeibeamte sollen ebenso in kriminelle Netzwerke verwickelt sein wie hohe Politiker. Und immer stehen dabei Verbindungen zur Immobilienszene samt mafiösen Strukturen im Mittelpunkt — bis hin zu Kindesmissbrauch und Rotlichtszene. Konkrete Vorwürfe gegen einzelne Betroffene aber waren bisher Mangelware. Das Justizressort von Minister Geert Mackenroth (CDU) teilte lediglich mit, es gebe Ermittlungen gegen den ehemaligen Leitenden Oberstaatsanwalt von Leipzig, Norbert Röger.

Gestern ging ein zweiter Stapel Akten der sächsischen Verfassungsschützer an die Staatsanwaltschaft, und nun lichtet sich das Dunkel. Die Recherchen der verdeckten Ermittler zum Wirken der Organisierten Kriminalität (OK) haben ganz offenbar eine Fülle hochbrisanter Details zu Tage gefördert, und nicht wenige sind in der Lage, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu erschüttern. Dabei stehen vor allem Justizbeamte aus Leipzig im Mittelpunkt (siehe Kasten).

Merkwürdigkeiten waren in diesem Bereich schon im Vorfeld keine Seltenheit. Dubios war nicht zuletzt das Verfahren um das Attentat gegen den Leipziger Immobilienmanager Martin Klockzin. Mal wurden Drahtzieher zu lebenslanger Haft verurteilt, mal faktisch freigesprochen. Und immer wieder tauchten plötzlich neue Akten auf. Das war im Fall Klockzin so, und es war im Jahr 2000 so. Dabei handelte es sich um einen Rockerprozess, es ging um Mord im Milieu bei Döbeln. In einem Hinterzimmer des Gerichts wurden sagenhafte 37 prozessrelevante Aktenordner entdeckt — wieder plötzlich.

Doch nicht nur die Leipziger Justiz scheint in die Affäre verstrickt zu sein, es gibt auch Hinweise auf hohe politische Rathauskreise. Nach Informationen dieser Zeitung sind die Ermittler des Verfassungsschutzes ebenfalls auf Netzwerke rund um eine so genannte Tafelrunde gestoßen. Diese soll sich regelmäßig in einem italienischen Restaurant in Leipzig getroffen haben, beteiligt daran waren Immobilienmanager sowie ranghohe Vertreter der Stadtverwaltung. Brisant dabei ist die These der Ermittler: Die illustre Runde habe Geschäftliches besprochen — und gesetzwidrige Absprachen getroffen.

Nachdem bereits vor zwei Wochen bekannt geworden war, dass ein ehemaliger Grüner Teil des Netzwerks sein soll, hat die Affäre jetzt ganz offensichtlich
auch Sachsens Liberale erreicht. Nach Informationen dieser Zeitung soll ebenfalls ein hoher FDP-Politiker verwickelt sein, und auch hier geht es offenbar um Verbandelungen mit der Rotlichtszene im Freistaat — allerdings nicht in Leipzig.

Unterdessen hat sich der Sächsische Richterverein zu Wort gemeldet. In der Affäre werde der Eindruck erweckt, die Justiz im Lande sei „korrupt, mit kriminellen Netzwerken verstrickt und unfähig, unabhängig zu ermitteln", heißt es in einer Mitteilung. Dieser Eindruck aber sei falsch: Dem Verdacht von Verstrickungen oder gar kriminellen Handlungen einzelner Personen müsse nachgegangen werden, „ohne Ansehen der Person". Doch auch Richter und Staatsanwälte hätten Anspruch darauf, so lange als unschuldig zu gelten, bis ihre Schuld bewiesen sei.

Dabei sind weitere Details über die internen Unterlagen bekannt geworden. So gibt es neben dem Komplex "Abseits III" mit Schwerpunkt Leipzig auch den Bereich „Arena". Hier soll es sich um Ermittlungen in der Rotlichtszene in Hoyerswerda handeln. Hinzu kommen bereits bekannte Bereiche wie „Rocker", die osteuropäische sowie die italienische OK. Dabei gibt es offenbar auch Hinweise auf ein Restaurant in Riesa.

Politisch geht das Tauziehen um den Umgang mit dem brisanten Material in eine neue Runde. Am kommenden Dienstag wird sich der Landtag in einer Sondersitzung damit befassen, hinzu kommen weitere Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss. Nach Überlegungen von SPD und Grünen ist nun auch die rechtsextreme NPD auf das Thema gesprungen.
Von Jürgen Kochinke

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HINTERGRUND „Abseits III"

Der Akten-Komplex mit dem internen Titel „Abseits III" dreht sich um kriminelle Netzwerke in Leipzig — vor allem im Bereich Justiz. Belastet wird dabei nicht zuletzt Ex-Staatsanwalt Norbert Röger. Der jetzige Gerichtspräsident in Chemnitz will sich nicht zum Thema äußern.

• Röger werfen die Ermittler Verletzung von Dienstgeheimnissen vor — unter anderem in der Affäre um das Leipziger Paunsdorf-Center. So soll der Jurist Anfang 2001 vertrauliche Unterlagen der Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit lanciert haben, unter anderem im Cafe Eckstein in Leipzig. Damit habe er Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm schaden wollen.

• Darüber hinaus geht es um den Vorwurf der Strafvereitelung im Amt. Ausgangspunkt waren demnach Ermittlungen wegen des Missbrauchs von minderjährigen Zigeuner-Kindern aus Tschechien, die in Leipziger Wohnungen missbraucht worden sein sollen. Im Frühjahr 2002 soll Röger Tatverdächtige über Ermittlungen informiert haben.

• Auch im Fall Martin Klockzin werfen die Ermittler Röger Strafvereitelung im Amt vor. Gegen den Immobilienmanager war ein Attentat verübt worden, Hintergrund aber war das ehemalige Kinderbordell in der Merseburger Straße. Hier soll es auch Hinweise auf einen ehemaligen Richter aus Leipzig geben. Auch Klockzin sei belastet.

• Darüber hinaus werden in „Abseits III" weitere Juristen aus Leipzig belastet: So soll ein Anwalt Edelprostituierte, darunter Minderjährige, an mehrere Staatsanwälte und einen Strafrichter vermittelt haben.

• Eine Staatsanwältin sei durch sexuelle Kontakte beeinflusst worden, damit sie ein niedrigeres Strafmaß für einen ausländischen Angeklagten fordert.

• Darüber hinaus werfen die Ermittler einem Staatsanwalt vor, er sei von Rotlichtgrößen mit Sex-Videos erpresst worden.

(J. K.)

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