Karl Nolle, MdL

DIE WELT online, 10.06.2007

Korruptionsaffäre: Der sächsische Sumpf vom Bordell bis zur Polizei

 
Mord, Kinderprostitution, Amtsmissbrauch: Die Justiz im Freistaat muss ein unübersichtliches kriminelles Geflecht entwirren, in das sie offenbar selbst verwickelt ist. Nach der Wende bildeten sich regelrecht mafiöse Sturkturen. Mit der Aufklärung tut man sich schwer.

Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo sprach ruhig, zurückhaltend, ohne aufgeregte Gesten. Doch das Bedrohungsszenario, das der CDU-Politiker am Dienstag dieser Woche am Rednerpult des Dresdner Landtages skizzierte, ließ das Land den Atem anhalten. „Perfide kriminelle Netzwerke“ seien nach wie vor am Wirken, sagte Buttolo. Sie würden Rufmordkampagnen starten, bedrohen, verleumden, Misstrauen säen und Menschen einschüchtern: „Weil wir sie zerstören wollen.“

Tag für Tag erschüttern zurzeit neue, unglaubliche Kriminalgeschichten über mafiöse Strukturen im ostdeutschen Musterland den Glauben an den Rechtsstaat. Es geht um korrupte Polizisten, Staatsanwälte und Richter. Es geht um eingestellte Ermittlungen, blockierte Verfahren und vorab ausgeplauderte Razzien. Sogar ungeklärte Mordfälle erscheinen in neuem Licht. Die Rede ist zudem von Prostituierten, die namhaften Spitzenbeamten im Leipziger Rathaus zu Diensten gewesen sein sollen.

Wie groß der Wahrheitsgehalt der Vorwürfe tatsächlich ist, kann noch niemand sagen. Doch so viel ist klar: Das beängstigende Szenario über eine einflussreiche Unterwelt basiert auf umfangreichen Akten des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Es hat jahrelang gegen die organisierte Kriminalität ermittelt. Als die Existenz der brisanten Unterlagen unter dem Stichwort „Abseits“ bekannt wird, bricht der Damm der Geheimhaltung. Nun endlich bereitet der Geheimdienst die Erkenntnisse für die Justiz auf und übergibt sie nach und nach an die Staatsanwaltschaft in Dresden.

Leuna, "Boomtown" Leipzig und Jürgen Schneider

Die spektakuläre Geschichte um mafiöse Machenschaften in Leipzig und andernorts beginnt bereits mit der Wiedervereinigung. Es ist die Zeit des „Wilden Ostens“ Anfang der 90er-Jahre, als nicht nur wohlwollende Investoren in die neuen Bundesländer gehen, sondern auch dubiose Geschäfte im großen Stil laufen. In der turbulenten Phase der Einheit wird das Land neu aufgeteilt, die Treuhand wickelt bis Ende 1994 rund 15.000 ehemals volkseigene Betriebe, Kombinate und Unternehmensteile ab. Die Leuna-Raffinerien gehen an Elf Aquitaine, das Baugeschäft in der „Boomtown“ Leipzig explodiert. Ein Immobilientycoon wie Jürgen Schneider taucht auf. Doch wo dreistellige Milliardenbeträge fließen, sind krumme Geschäfte, Spekulationen und Bestechung offenbar unvermeidlich.

Mit oft brutalen Methoden werden Claims abgesteckt, die Halbwelt zieht in die ostdeutschen Großstädte ein. Es entstehen illegale Straßenstrichs mit Wohnwagen, Bordelle werden eröffnet und fliegen auf, Rotlichtgrößen aus dem Westen. Selbst die italienische und die osteuropäische Mafia sollen äußerst aktiv sein. Der junge Freistaat Sachsen kann mit der Entwicklung kaum Schritt halten. Er muss seine eigenen Institutionen erst aufbauen. Von den 660 Richtern und Staatsanwälten der alten DDR wird die Hälfte übernommen, hinzukommen seit 1990 mehr als 2000 Aufbauhelfer vor allem aus Bayern und Baden-Württemberg – und nicht immer sind dies Spitzenkräfte. Eine „Allianz der Mittelmäßigen“ sei damals im Osten eingezogen, sagt der Journalist und Politologe Gunnar Hinck. Vor dieser Kulisse ereignen sich in Leipzig spektakuläre Straftaten. Sie sind in den nun aufgetauchten Akten des Verfassungsschutzes nachzulesen.

Plötzlich tauchen 22 Aktenordner auf

Da ist zum Beispiel der Fall von Martin Klockzin, einem Immobilienmanager der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB). Als er am Abend des 17. Oktober 1994 einem vermeintlichen Telegrammboten die Wohnungstür öffnet, wird er mit drei Schüssen aus einer Neun-Millimeter-Pistole niedergestreckt. Der damals 35-Jährige überlebt das Attentat schwer verletzt. Die juristische Aufarbeitung des Falles aber bleibt bis heute unvollständig. Die Männer, die den Anschlag verüben, werden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch die mutmaßlichen Drahtzieher, zwei Immobilienhändler aus Bayern, die angeblich nur den Auftrag für eine „Abreibung“ gaben, kommen mit einer Spende von 2500 Euro an den Weißen Ring davon – eine Organisation, die Opfer von Verbrechen unterstützt. Klockzin soll den Hintermännern aus dem Allgäu bei einem Gebäudeverkauf im Weg gestanden haben. Noch während ihnen der Prozess gemacht wird, tauchen im sächsischen Landeskriminalamt überraschend 22 Aktenordner zu dem Fall auf.

Doch der damalige Leipziger Oberstaatsanwalt Norbert Röger behauptet, sie enthielten kein belastendes Material. Überhaupt Röger. Der Jurist, der erst vor wenigen Wochen Präsident des Amtsgerichts in Chemnitz wurde, ist einer der wenigen Beschuldigten in der ganzen Affäre, deren Namen öffentlich genannt werden. Gegen den Mann, der 1993 aus Koblenz nach Leipzig kam, laufen Vorermittlungen und ein Disziplinarverfahren. Es geht um massive Vorwürfe wie Strafvereitelung im Amt und dubiose Kontakte zur Rotlichtszene. Das Justizministerium prüft, ob es Dienstvergehen gab. Interne Aktenvermerke belasten den Kollegen schon jetzt schwer. Die Linkspartei nennt Röger einen „Teil des Leipziger Filzes“. Er habe Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität blockiert.

Braucht jetzt jemand Polizeischutz?

Im Herbst 2002 kommt es bei den Ermittlungsbehörden zu einem weiteren, einmaligen Zwischenfall. Das Landeskriminalamt durchsucht die Abteilung für Organisierte Kriminalität der Leipziger Polizei. Der Chef der renommierten Truppe K 26, Georg W., wird anschließend vom Dienst suspendiert. W. und seine Kollegen sind damals einem Geflecht krimineller Netzwerke und Grundstücksspekulationen auf der Spur, nun werden sie der Strafvereitelung im Amt verdächtigt. Die beschuldigten Kriminalisten bestreiten die Vorwürfe und wittern eine Intrige. Erst vier Jahre später wird Georg W. freigesprochen. An seinen früheren Arbeitsplatz aber kommt er nicht zurück. Viele Spuren führen auch in das 1993 aufgeflogene Leipziger Kinderbordell „Jasmin“, dem sogar ein Polizist minderjährige Mädchen zur Zwangsprostitution zugeführt hat. In diesem und in anderen Nachtklubs der Stadt sollen hochrangige Juristen und Polizisten verkehrt und sich damit erpressbar gemacht haben. Und dies sind nur einzelne Puzzlestücke.

Die Staatsanwaltschaft Dresden scheut sich bislang, über ihre Ermittlungen Auskunft zu geben. Die mit den Fällen beauftragten Mitarbeiter im Innen- und im Justizbereich könnten Opfer neuer Attacken werden, ebenso Politiker, Journalisten und Geheimdienstleute. Nach Informationen von WELT ONLINE wird bereits über Polizeischutz für einzelne Beteiligte nachgedacht. Innenminister Buttolo versucht die Bürger im aufgeschreckten Freistaat dennoch zu beruhigen: „Sachsen ist nicht Sizilien“, sagt er.
Von Sven Heitkamp

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