Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 11.06.2007

„Es geht auch um Beamte, die sich selbst bereicherten“

Das ganze Ausmaß der Korruptionsaffäre in Sachsen ist noch unklar, sagt der Experte Jürgen Roth im SZ-Interview.
 
Herr Roth, was denken Sie: Wird in Sachsen inzwischen aufgeklärt oder eher versucht, Dinge unter den Teppich zu kehren?

Ich bezweifele derzeit ernsthaft den politischen Willen zur Aufklärung dieser mafiösen Netzwerke in Sachsen. Mir berichteten eben Staatsanwälte von einem Treffen mit der Justiz-Staatssekretärin Hauser, an dem auch der Minister teilgenommen haben soll. Da habe die Dame erklärt, bei alldem werde nichts rauskommen. Ich frage mich, ob die Staatssekretärin bereits alle Erkenntnisse des Verfassungsschutzes kennt oder nicht bereits die Order ausgegeben wurde, wie ihre Untergebenen zu agieren haben.

Ist der Freistaat selbst in der Lage, diese Korruptionsaffäre aufzuarbeiten, nachdem sich die Generalbundesanwältin nicht zuständig erklärt hat?

Sicher wäre das möglich, denn die Vorwürfe, die im Raum stehen, gelten ja nicht pauschal für alle Polizisten, Staatsanwälte oder Richter. Aber die Staatsanwaltschaft, die jetzt aufklären soll, ist eine weisungsgebundene Behörde. Und wenn da die Marschrichtung von oben vorgegeben wird, so wie am vorigen Donnerstag, dann beschleichen mich Zweifel, dass tatsächlich ergebnisoffen ermittelt wird. Ich vermute eher, man wird feststellen, dass die Fälle alle verjährt sind.

Ist Ihrer Ansicht nach das gesamte Ausmaß der Affäre schon bekannt?

Wir sehen derzeit nur die Spitze des Eisberges. All die sächsischen Skandale der vergangenen Jahre, von der Paunsdorf-Affäre bis zu den Vorgängen in der Landesbank, laufen doch alle nach dem gleichen Strickmuster ab. Es wird etwas bekannt, Untersuchungsausschüsse laufen ins Leere, Staatsanwaltschaften ermitteln nicht konsequent, weil es politisch nicht gewollt ist. So bleibt das eigentliche Ausmaß rechtswidriger Vorgänge im Dunkeln. Diesmal nun ist der Verfassungsschutz ziemlich weit gekommen und plötzlich ist die Aufregung groß.

Weiß man ihrer Ansicht nach in der Staatsregierung von den Korruptionsvorwürfen?

Ich erinnere mich an die Aussage eines Staatsanwaltes. Der hat Ministerpräsident Milbradt im November 2006 auf zwei Fälle von Korruption in der Justiz aufmerksam gemacht. Der Regierungschef habe zugehört. Aber der Jurist ist nie als Zeuge vernommen worden. Sein Hinweis verlief im Sande.

Wie ist das mafiöse Netzwerk gestrickt, von dem jetzt die Rede ist?

Es gibt verschiedene regionale Netzwerke. Sie sind verschieden strukturiert, je nachdem wie sie entstanden sind. Involviert sind fast immer korrupte Justizangehörige, kommunale Politiker und Polizisten. Jeder weiß vom anderen eine kleinere oder größere Gemeinheit. So wird man abhängig voneinander. Es geht dabei nicht so sehr um den Rotlicht-Bereich. Er ist lediglich das Schmiermittel für das Gefüge gegenseitiger Abhängigkeiten, Korruption und Erpressung. Im Kern geht es um Wirtschaftskriminalität, um Immobiliengeschäfte, Fördermittel, die erschlichen oder veruntreut wurden. Und es geht auch um Beamte, die sich dabei selbst bereicherten.

Wer hat sich selbst bereichert?

Da ist einiges zu nennen. So gab es einen ehemaligen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, der sich plötzlich ein teures Grundstück für 600 000 Euro kaufte. Als er noch im Amt war, hatte er einen Brief an die Firma ZMD geschrieben. Darin steht sinngemäß recht unverblümt drin: Ich habe ihnen Gutes getan – gemeint waren Fördermittel –, jetzt ist es an der Zeit, dass Sie sich um mich kümmern. Der Mann bekam gut dotierte Beraterverträge. Diesen Brief gibt es.

Im Fokus ist besonders Leipzig. Was hat sich dort entwickelt?

In Leipzig hat der Verfassungsschutz eine enge Verbindung entdeckt zwischen Männern aus dem Rotlicht auf der einen Seite und Immobilienkaufleuten sowie Politikern aus dem Rathaus auf der anderen Seite. Das fing in der ersten Hälfte der 90er Jahre an und dauerte 2006 noch immer an. Der Geheimdienst ging davon aus, dass es ein Kinderbordell bis 2006 gab, konnte es aber nicht mehr überprüfen, weil er seine Arbeit einstellen musste.

Können Sie die plötzliche Furcht des Innenministers verstehen, der im Landtag quasi vor dem Gegenangriff der Mafia warnte?

Da übertreibt er stark. Herr Buttolo versteht wahrscheinlich nicht viel von Mafia, sonst würde er so etwas nicht äußern. Für derartige Ängste sehe ich keine Anhaltspunkte.

Wie belastbar sind die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes? Kann die Justiz daraus Beweise für eine Anklage fertigen?

Die Informationen der Quellen bezogen sich keinesfalls nur auf Gerüchte, das muss man mal deutlich sagen. Bezogen auf Leipzig kamen die Erkenntnisse von drei verschiedenen Informanten, die voneinander nichts wussten. Ich glaube, es wurden qualifizierte Informationen zusammengetragen, die weitere Ermittlungen ermöglichen. Soweit ich das beurteilen kann, hat der Geheimdienst seine Quellen professionell überprüft und geführt.

Wie weit reicht die Affäre Ihrer Ansicht nach in die politische Spitze des Freistaates?

Das geht hinein bis in die Staatskanzlei. Ich gehe davon aus, dass Ministerpräsident Milbradt über Korruption in der Justiz informiert wurde. Das ist nachweisbar. Das Problem ist: Die Justiz-Staatssekretärin, so wurde mir berichtet, verlangt von den Staatsanwälten, dass sie „appellfähig“ seien. Das ist ein Begriff aus der Bundeswehr. Das ist so etwas wie die Aufforderung zur Unterwürfigkeit. Wie soll da eine konsequente Strafverfolgung zustande kommen?

Was steht in Ihrem neuen Buch „Anklage unerwünscht“ über Sachsen?

Viel zu wenig, denn es wird nur der Mikrokosmos im Vogtland beleuchtet. Aber er zeigt, was auch in anderen Regionen passiert ist. Mithilfe von Akten der Polizei, des Verfassungsschutzes und eigener Informanten haben wir aufgeschrieben, wie sich dort ein Geflecht aus ehemaligen K1-Polizisten der DDR, Kriminalbeamten aus Bayern, einem Staatsanwalt sowie Bau- und Rotlichtunternehmern gebildet hat und in dem schließlich der Plauener Kripochef den Tod fand.

Das Gespräch führte Thomas Schade.

Karl Nolle im Webseitentest
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