Karl Nolle, MdL

DIE WELT online, 11.06.2007

Korruption in Sachsen

Milbradt vom Ausmaß der Vorwürfe überrascht
 
Der Ministerpräsident gibt sich in der Beurteilung der Affäre vorsichtig: Es dürfe keine Vorverurteilungen geben. Zugleich mahnt er im Gespräch mit WELT ONLINE eine gründliche Aufklärung an. Diese wird seiner Ansicht nach durch ein spezifisch sächsisches Problem erschwert.

WELT ONLINE: Herr Milbradt, Sachsen macht Schlagzeilen mit Korruption in Justiz und Verwaltung. Ist Sachsen eine Bananenrepublik? Georg Milbradt: Also, jetzt machen Sie mal einen Punkt. Die organisierte Kriminalität ist kein lokal begrenztes Phänomen, sondern operiert weltweit.

WELT ONLINE: Die Vorfälle sind normal?

Milbradt: Natürlich nicht. Sie müssen restlos aufgeklärt werden und mögliche schwarze Schafe in Justiz und Polizei, Politik und Verwaltung ausfindig gemacht werden. Ich warne aber vor pauschalen Vorverurteilungen. Solange die Vorwürfe nicht bewiesen sind, gilt für alle die Unschuldsvermutung.

WELT ONLINE: Warum kommt das alles erst jetzt ans Licht?

Milbradt: Es gibt in Sachsen ein spezifisches Rechtsproblem. Die organisierte Kriminalität darf hier im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die Beobachtungen wurden 2003 durch Gesetz angeordnet, aber 2005 aufgrund eines Urteils unseres Verfassungsgerichts wieder verboten. Das Gesetz wurde 2006 geändert. Es musste geklärt werden, ob die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes für eine strafrechtliche Verfolgung benutzt werden können. Das ist nun positiv beantwortet worden.

WELT ONLINE: Es gibt Leute wie den früheren Innenminister Thomas de Maizière, die früh wussten, dass brisantes Material gesammelt wurde.

Milbradt: Das mag sein.

WELT ONLINE: Was wussten Sie?

Milbradt: Ich habe die Akten nicht gelesen. Ich bin vor einigen Monaten über das Problem informiert worden, dass Akten existieren und dass der Datenschutzbeauftragte eine Verwertung für rechtswidrig hält. Ich habe den Innenminister dabei unterstützt, alles zu tun, damit die Akten an die Staatsanwaltschaft gehen.

WELT ONLINE: Hat Sie das Ausmaß der Korruptionsvorwürfe überrascht?

Milbradt: Ja. Ich weiß aber noch nicht, was davon wahr und beweisbar ist. Es kann sein, dass es in einigen Fällen auch nur Gerüchte oder böswillige Verleumdungen sind. Die Ermittler müssen nun mit Sorgfalt vorgehen, damit auf der einen Seite nicht der Ruf Unschuldiger beschädigt wird, auf der anderen Seite aber Täter zur Rechenschaft gezogen werden und eine schonungslose und vollständige Aufklärung ohne Ansehen der Person oder Funktion erfolgt.

WELT ONLINE: Am 18.Juni treffen sich die Spitzen von Union und SPD, um über den Mindestlohn zu beraten. Sollten sie das Thema begraben?

Milbradt: Ja. Ich bin mit dem größten Teil der Wirtschaftswissenschaft gegen einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Er befördert Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit. Das Lohnniveau in Ostdeutschland beträgt nur 70 Prozent des westdeutschen. Bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro würden mehrere Hunderttausend Stellen wegfallen oder in der Schwarzarbeit verschwinden. Das können wir im Osten bei schon jetzt hoher Arbeitslosigkeit nicht verkraften. Unser Ziel muss es sein, mehr Menschen in Arbeit zu bringen und nicht das Gegenteil zu tun. Das Ziel des Mindestlohns, den Bürgern ein menschenwürdiges Einkommen zu garantieren, teile ich. Aber der Weg ist falsch.

WELT ONLINE: Wie sieht der richtige aus?

Milbradt: Wir müssen zulassen, dass niedrige Löhne gezahlt werden – auch wenn mit ihnen das sozial definierte Minimum nicht erreicht wird. Die fehlende Spanne muss über staatliche Transfers so aufgestockt werden, dass man es überschreitet, damit ein Anreiz zur Arbeit verbleibt. Es lässt sich doch nicht leugnen, dass es zwischen der Höhe des Lohns und der Zahl der Beschäftigten einen Zusammenhang gibt. Gerade Deutschland kämpft mit hoher Arbeitslosigkeit im Niedrigqualifikationsbereich.

WELT ONLINE: Wie können Union und SPD zusammenkommen?

Milbradt: Das sehe ich nicht. Das eigentliche Ziel der SPD ist nicht der Mindestlohn, sondern nur das untaugliche Mittel, die Linkspartei durch eine Übernahme gewerkschaftlicher Positionen zu bekämpfen. Die Linkspartei aber wird immer einen noch höheren Mindestlohn fordern. Die Lohnfindung erfolgt dann nur noch nach demagogischen Gesichtspunkten. Die CDU muss die Finger vom Mindestlohn lassen. Sie muss aber deutlich machen, dass sie keine sozialen Missstände duldet und Beschäftigung erhöhen will. Es darf aber keine Ausbeutung durch Löhne weit unter Marktpreis geben.

WELT ONLINE: Schadet es der CDU nicht, wenn sie hart bleibt?

Milbradt: Nein, im Gegenteil: Wenn sie sich auf den einheitlichen staatlichen Mindestlohn einlässt, verliert sie Zustimmung und die für sie wichtige wirtschaftspolitische Kompetenz. Es ist naiv zu glauben, eine bürgerliche Partei könnte die SPD oder die Linkspartei links überholen. Die CDU sollte Missbrauch und sittenwidrige Löhne verhindern und auch die Tarifparteien unterstützen.

WELT ONLINE: Die CDU diskutiert ein neues Grundsatzprogramm. Manche erkennen darin die liberalen Beschlüsse des Leipziger Parteitags wieder. Sie auch?

Milbradt: Wir dürfen nicht zu liberal werden und uns nur um die ökonomisch starken Teile der Gesellschaft kümmern. Wir müssen auch die mitnehmen, die Verlierer des globalen und demografischen Wandels sind oder sich als solche empfinden. Die CDU muss die Frage beantworten, wie man Freiheit erhalten und die nötige soziale Sicherheit ohne protektionistischen Schutz erreichen kann. Wir müssen auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren. Das sieht man an der Diskussion über Familienpolitik. Dabei dürfen wir aber nicht nur dem Zeitgeist hinterherlaufen.

WELT ONLINE: Ein Projekt der großen Koalition ist die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, die Föderalismusreform. Wann kommen Ergebnisse?

Milbradt: Ich hoffe, dass es sie in dieser Legislaturperiode gibt. Die Möglichkeit, die Finanzbeziehungen neu zu ordnen, ist mit den Mehrheitsverhältnissen in Bundesrat und Bundestag günstig wie nie. Allerdings ist das Thema ein vermintes Gebiet. Gerade hier beurteilen viele die Qualität einer Reform nur daran, ob sie mehr oder weniger Geld bekommen.

WELT ONLINE: Warum ist die Reform nötig?

Milbradt: Unsere Finanzverfassung funktioniert an einem entscheidenden Punkt nicht: Einerseits sind der Bund und die einzelnen Länder in der eigenen Finanzpolitik unabhängig. Andererseits müssen sie uneingeschränkt füreinander einstehen. Das führt dazu, dass die anderen bei übermäßiger Verschuldung zahlen müssen und die Banken nicht die Kreditwürdigkeit herabsetzen – so wie sie es bei einem Unternehmen oder einem privaten Haushalt machen würden. Dadurch wird eine übermäßige staatliche Verschuldung geradezu prämiert. Das System fliegt in die Luft, wenn jeder weiter auf Kosten der anderen leben kann.

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WELT ONLINE: Wie kann man das lösen?

Milbradt: Entweder schränkt man die finanzpolitische Unabhängigkeit der Länder und des Bundes ein, zum Beispiel durch schärfere Schuldenregeln, etwa einem Verbot der Nettoneuverschuldung. Oder man schränkt die Solidarität so ein, dass sie sich nur auf einen gewissen Umfang der Schulden bezieht. Darüber hinausgehende Schulden gehen dann zulasten des jeweiligen Landes und seiner Kreditwürdigkeit. Im Ergebnis kontrollieren die Banken die Verschuldung.

WELT ONLINE: Sollen hoch verschuldete Länder Hilfe bekommen, um vom Schuldenberg herunterzukommen? Ihr Kollege Oettinger aus Baden-Württemberg schlägt das vor.

Milbradt: Nein. Jedes Land muss seine Schulden selbst in den Griff bekommen. In Sachsen und anderen Ländern werden jetzt Schulden getilgt, zumindest aber neue Schulden vermieden. Wenn im Ergebnis dann diese Länder in einigen Jahren für die bezahlen sollen, die sich extrem weiter verschulden, dann ist das kontraproduktiv. Statt sich weiter stabilitätsgerecht zu verhalten, wird jeder mehr Geld selbst ausgeben, als es den Sünden zu geben.

WELT ONLINE: Oettinger hat mit seinem Vorschlag für einen Schuldenfonds Mistreiter. Sie stehen allein da.

Milbradt: Ist das so? Nach meinen Beobachtungen gibt es keine mehrheitliche Zustimmung, insbesondere nicht bei denjenigen, die belastet werden sollen. Die angestoßene Diskussion ist notwendig, der Vorschlag aber letztlich kontraproduktiv.

Mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) sprach Philipp Neumann.

Karl Nolle im Webseitentest
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