Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 13.06.2007

Staatsanwaltschaft will Akten vom Geheimdienst

In der Korruptionsaffäre müssen erste Top-Beamte gehen, der Druck auf den Innenminister wächst und Vorwürfe gegen den Generalstaatsanwalt werden erneut geprüft.
 
In der Korruptionsaffäre zieht die Staatsregierung erste personelle Konsequenzen: Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Rainer Stock, muss am Freitag seinen Platz räumen und wechselt ins Innenministerium. Die zweite Überraschung gab gestern die Staatsanwaltschaft Dresden bekannt: Bereits am vergangenen Freitag hat sie sämtliche Akten des Verfassungsschutzes zur Organisierten Kriminalität (OK) angefordert. Außerdem bestätigte Oberstaatsanwalt Christian Avenarius auf Anfrage, das erneut Vorwürfe der Strafvereitelung im Amt gegen Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm geprüft würden. Derartige Anschuldigungen waren in jüngster Zeit nach Bekanntwerden einer Stellungnahme eines Rechtswissenschaftlers erhoben worden. Das Justizministerium habe daraufhin die Dresdner Staatsanwaltschaft ersucht, die Vorwürfe noch einmal zu prüfen, sagte Avenarius. Das sei noch nicht abgeschlossen.

Verfassungsschutzakten zum Staatsanwalt

Das Besondere an der kurzen Mitteilung von gestern ist, dass die Staatsanwälte nun „sämtliche“ Akten des Verfassungsschutzes zur Korruptionaffäre haben wollen. Auch die Quellen-Akten, bestätigte Oberstaatsanwalt Avenarius. Damit hat die Justiz im Aktenpoker den Ball endgültig dem Innenminister zugeworfen, denn an ihm ist es nun, festzulegen, welche Informationen zum Schutz der Quellen gesperrt werden. Das kann von weitreichender Bedeutung werden, wenn es um die Beweisführung zu konkreten Straftaten geht.

Bisher hatte das Innenministerium lediglich schrittweise Teile der mehr als 15000 Blatt Papier an die Justiz freigegeben.

Personelle Konsequenzen

Außer Verfassungsschutzpräsident Rainer Stock, der eigentlich Polizist ist, wurde gestern auch der für den Geheimdienst zuständige Referatsleiter im Innenministerium Karl Bey von seinem Amt abgelöst. Auch den Chefsessel im Landesamt für Verfassungsschutz kehrt Reinhard Boos zurück, der dieses Amt vor Stock bereits mehrere Jahre inne hatte. Boos ist Jurist mit langjähriger Geheimdiensterfahrung. Das Verfassungsschutzreferat im Innenministerium Joachim Tüshaus, der bisher die Stabsstelle in Buttolos Ressort geleitet hat.

Offiziell hieß es gestern im Innenministerium, Stock sei nicht geschasst worden. „Das ist völliger Unsinn“, sagte Ministeriumssprecher Andreas Schumann.

Die Opposition erklärte den Personalwechsel für unzureichend. Die wichtigsten Fragen blieben offen, kritisierten die Grünen. Die FDP sprach von einem „Bauernopfer“.

Druck auf Buttolo wächst

Trotz des gestrigen Befreiungsschlags durch erste personelle Konsequenzen wächst der politische Druck auf den Innenminister weiter. Buttolo räumte erstmals ein, dass er bereits im Januar 2006 vom Inhalt der Akten-Sammlung des Verfassungsschutzes zur Organisierten Kriminalität erfahren habe – mit ihm übrigens auch der gesamte Landtag. Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hin hatte Buttolo auf die vier Fall-Komplexe hingewiesen, die von den Verfassungsschützern seit Mitte 2005 zusammengetragen worden seien. Und er hatte darin der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) weitere Informationen dazu angeboten.

Von diesem Zeitpunkt an beginnt die Uhr gegen Buttolo zu laufen. Denn ab hier, so Experten, hätte der Innenminister, der seit November 2005 im Amt ist, spätestens handeln müssen. Bisher hatte er erklärt, dass er erst zwei Monate später, am 21. März 2006, vom Inhalt der umstritten OK-Akten erfahren habe. Auch danach wurde die Staatsanwaltschaft nicht eingeschaltet.

Das kleine Zeitfenster, in dem Buttolo die brisanten Informationen über mögliche Verstrickungen höchster Justiz- und Politik-Kreise an die PKK und in die Hände von Ermittlern hätte geben können, verstreicht. Als Mitte Mai 2006 Datenschützer erstmals mündlich darauf hinweisen, dass die Daten-Sammlung der Verfassungsschützer rechtswidrig zustande gekommen ist und daher geschreddert werden muss, bleibt der Minister unentschlossen und schaltet die PKK als Schiedsrichter ein.

Verwirrung um Information an Milbradt

Unverständlich bleibt auch, warum Buttolo nach Angaben der Staatskanzlei Regierungschef Georg Milbradt (CDU) offenbar 2006 zu keinem Zeitpunkt über die Brisanz der Akten- und Datenschutz-Problematik informiert hat. Milbradt sei erst im „Februar oder März 2007“, so Regierungssprecherin Katrin Träger, von Staatssekretärin Andrea Fischer (CDU) über die „Brisanz der Datenschutz-Problematik“ informiert worden. Dass dem Regierungschef bis dahin diese Thematik verborgen geblieben sein sollte, scheint aber eher verwunderlich.
Von Annette Binninger und Thomas Schade

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