DER SPIEGEL 25/2007, 17.06.2007
AFFÄREN "Wer will was vertuschen?"
Der sächsische Korruptionsskandal um Rotlichtkontakte der Politik und dunkle Immobiliengeschäfte erreicht nun auch die Bundesregierung. Zwei Minister sollen ihre Rollen erhellen.
Es muss viel passieren, um Kanzleramtschef Thomas de Maizière aus der Ruhe zu bringen. Der effiziente Jurist, der als sein Lebensmotto "Nichts allzu sehr" angibt, gilt von jeher als geräuschloser Diener seiner jeweiligen Regierung. Doch vor wenigen Tagen wurde er laut. Am Telefon redete der Bundesminister ärgerlich auf seinen ehemaligen Chef, Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), ein. Milbradt möge endlich Ruhe in die Reihen seiner aufgeregten Christdemokraten bringen.
Was Merkels Majordomus in Rage gebracht hatte, war der Hinweis des sächsischen CDU-Landtagsabgeordneten Gottfried Teubner, de Maizière habe einst als Dresdner Innenminister einen "glatten Rechtsbruch" begangen. Teubner ist Chef der Parlamentarischen Kontrollkommission, die Sachsens Verfassungsschutz überwachen soll - und fühlt sich in der sächsischen Korruptionsaffäre von de Maizière hintergangen, weil der die Abgeordneten über ungeheuerliche Vorgänge im Land im Dunkeln ließ.
Der Anruf hatte Folgen. Teubner wurde vom CDU-Fraktionschef ermahnt, er solle abschwören - de Maizière müsse aus der Schusslinie gehalten werden. Doch der Geheimdienstkontrolleur war nicht umzupolen: Sein Vorwurf bleibt in der Welt.
So hat die Affäre um vermeintliche Verbindungen von Politik, Justiz und Polizei zur sächsischen Halbwelt nun die maximale Fallhöhe erreicht: Sie ist im Kanzleramt angekommen. De Maizière lehnt inzwischen Äußerungen zu Teubners Vorwurf ab, weil gegen ihn bereits Strafanzeige erstattet wurde.
Derweil schaut noch ein zweites Mitglied in Angela Merkels Kabinett nach Sachsen: Denn zurzeit werden sämtliche Verkäufe und Verfahren der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) seit 1990 geprüft, um trüben Immobiliengeschäften auf die Spur zu kommen, die auch in den Geheimakten des Verfassungsschutzes auftauchen. Oberster Wächter der städtischen LWB war sieben Jahre lang der Leipziger Ex-Oberbürgermeister und heutige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD).
Seit klar ist, dass der Verfassungsschutz jahrelang die sächsische Halbwelt beobachtete und dass ihm dabei auch allerhand Prominente und Honoratioren begegnet sein sollen, geht im Südosten der Republik die Angst um. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) warnt öffentlich vor noch aktiven Mafiastrukturen im Sachsenland: "Die Organisierte Kriminalität wird verleumden, sie wird Misstrauen säen, sie wird Gerüchte streuen, sie wird einschüchtern." Die ersten Verantwortlichen mussten ihren Stuhl räumen: Vergangene Woche setzte Buttolo den Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz und den Kontrolleur des Dienstes im Innenministerium ab.
Blattweise dringt die 15 600 Seiten starke geheime Datensammlung des Dresdner Verfassungsschutzes über den Sachsen-Sumpf - deren Wahrheitsgehalt noch immer weitgehend unklar ist - unterdessen an die Öffentlichkeit, und immer mehr scheint inzwischen denkbar. Es ist, als ob auf einen Schlag die hässliche Kehrseite des rasanten Aufschwungs im ostdeutschen Musterländle zum Vorschein komme.
Im September 2003 begannen die sächsischen Schlapphüte all dem nachzugehen, was sie für Organisierte Kriminalität hielten. Sie schwärmten aus zwischen Erzgebirge und Dübener Heide, um neue Quellen zu erschließen. Besonders ergiebig sprudelten diese 2005 in der SPD-Hochburg Leipzig - ausgerechnet im kurzen Intermezzo de Maizières als Innenminister und in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Tiefensee.
Rotlichtkontakte von Politikern und Juristen, womöglich korrupte Richter, sabotierte Ermittlungen und Immobiliengeschäfte fanden sich plötzlich in den Treffberichten der V-Mann-Führer des Dienstes wieder. Weniges davon wurde bislang genau überprüft. Aber die angeblichen Mauscheleien, so viel ist klar, dürften ihren Ursprung in den wilden Zeiten nach dem Mauerfall gehabt haben, als schwer vermittelbare West-Staatsanwälte im Osten flugs auf Führungspositionen gerieten, verkrachte Anwälte hoffnungsfroh Grundstücke im Dutzend kauften und handfeste Baumaschinisten aus dem Westen plötzlich mit millionenschweren Immobilien jonglierten. Mitten im Geschehen: die städtische LWB mit ihren damals noch 134 000 Wohnungen, teils Filetstücke in Toplagen.
Spielregeln gab es im Leipzig-Monopoly kaum - gern ging es deshalb auch mal etwas ruppiger zu: Im Oktober 1994 wurde der LWB-Manager Martin Klockzin, zuständig für die Rückübertragung einst enteigneter Grundstücke, an seiner Wohnungstür niedergeschossen. Die Aufklärung des Anschlags dauerte fast ein Jahrzehnt - und ist inzwischen ein Indiz für womöglich noch immer intakte Korruptionsstrukturen in Leipzig: Die Hintermänner kamen aus der Immobilienbranche, was den Ermittlern erstaunlicherweise über Jahre verborgen blieb. In einem Aktenvermerk aus dem Jahr 2000 hielten Beamte der Polizeidirektion Leipzig irritiert fest, dass unter anderem zwielichtige Richter "nicht zur Vernehmung kommen" mussten. Das Polizeipapier gipfelte in der Frage: "Wer will hier was vertuschen?"
Kurz nach Klockzin traf es den Rechtsanwalt Knut Förster, der beim Leipziger Amt zur Regelung offener Vermögensfragen beschäftigt war. Erst wurde er von einem Unbekannten zusammengeschlagen, dann fand der Mann an der Windschutzscheibe seines Autos eine angeklebte Patrone. Förster interpretierte das als Drohung - am nächsten Tag flüchtete der Jurist in Todesangst in den Westen und kündigte.
Förster hatte sich bei der zu Mordanschlägen absolut fähigen Leipziger Immobilienmafia offenbar unbeliebt gemacht, weil er allzu dreiste Grundstücksdeals als sittenwidrig eingestuft hatte. Bei seiner Vernehmung durch das Landeskriminalamt gab er zu Protokoll, wie skrupellos Unternehmer der Branche Alteigentümer um ihre Immobilien brachten.
Auch Außenstehende, die diesen Leuten zu nahe kamen, mussten um ihr Wohlbefinden bangen. Als ein ZDF-Team Immobilienschiebereien von Mitarbeitern der Leipziger Stadtverwaltung und der LWB auf der Spur war, beendete eine blutige Prügelattacke die Recherchen. Der Reporter landete im Krankenhaus. Jetzt werden auch jene Geschäfte neu aufgerollt, in die er seine Nase stecken wollte.
Mitunter schieden Beteiligte am großen Immobilienspiel auch womöglich freiwillig aus dem Leben: Der Leipziger CDU-Schatzmeister Walter Bullinger wurde im Oktober 1999 erschossen in seiner Wohnung aufgefunden, im Zimmer lag eine Pistole. Der Banker war im Hauptberuf mit Immobilienfinanzierungen beschäftigt. Gerüchte über eine Erpressung hatten vor seinem Tod die Runde gemacht. Ermittler wunderten sich am Tatort: Die Festplatte von Bullingers Computer war gelöscht, auch sonst war die Spurenlage extrem dürftig - als hätte jemand gründlich aufgeräumt. Die offizielle Selbstmordtheorie halten manche Fahnder für gewagt.
Doch auch heute noch sind luftige Geschäfte im weitgehend aufgeteilten Immobilienmarkt möglich - wenn man zu den alten Mitspielern zählt und gute Kontakte zur Kommunalpolitik hat. In den geheimen Akten des Verfassungsschutzes taucht ein Grundstücksdeal in Markkleeberg - am südlichen Stadtrand von Leipzig - auf, der ohne Einwirkung von Politikern schwer erklärbar ist.
Eine Leipziger Baufirma vermarktet derzeit 27 000 Quadratmeter Land am Rande eines idyllischen Sees, auf dem Einfamilien- und Doppelhäuser entstehen sollen. Die Idee ist aber nicht neu. Schon 1997 wollte ein Unternehmer hier eine Siedlung mit 42 Häusern errichten. Der Stadtrat Markkleeberg blockierte damals, es sei "am Bedarf vorbei geplant" worden.
Inzwischen hat sich die Sicht entscheidender Leute in Markkleeberg geändert. Der neue Investor ist hochwillkommen. Mit der geplanten Bebauung, so der SPD-Oberbürgermeister, wolle die Stadt dort ordentliche Verhältnisse schaffen. Der Deal ist schwierig, denn das Sahnestück gehört zum Landschaftsschutzgebiet Leipziger Auwald. Derzeit wird im Regierungspräsidium Leipzig aber über die Ausgliederung der wertvollen Fläche aus dem Schutzgebiet befunden.
Glaubt man der Quelle des Geheimdienstes, nahmen Amtsträger hier Einfluss. Laut den Verfassungsschutzakten soll ein hochrangiger SPD-Kommunalpolitiker aus Leipzig bei der wundersamen Wandlung nachgeholfen haben. Juristisch betrachtet sind diese abenteuerlichen Geheimdienstnotizen nicht mehr als Gerüchte. Und alle Beteiligten bestreiten krumme Deals in Markkleeberg. Aber jetzt liegt der Fall bei der Staatsanwaltschaft Dresden - die Leipziger Kollegen scheinen dem Justizministerium nicht mehr geeignet.
Die Strafermittler haben inzwischen auch begonnen, reihenweise alte Vorgänge zu exhumieren, die in der Rückschau suspekt erscheinen. Die Paunsdorf-Affäre etwa, bei der der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf einem Unternehmerfreund ein lukratives Immobiliengeschäft in Leipzig ermöglicht haben soll, wird wieder aktuell. Beteiligte werden befragt, der Generalstaatsanwalt, der einst keine Straftat bei dem Minusgeschäft für das Land erkennen konnte, gerät in den Ruch der Strafvereitelung. Der Zuschlag für die Arkaden am Leipziger Brühl interessiert die Ermittler - ein weiterer Millionendeal.
Und Tiefensee gerät nicht nur durch seine Funktion als LWB-Aufseher in Gefahr, er muss sich auch auf unangenehme Fragen in anderer Sache vorbereiten. In einem für Juli anberaumten Prozess gegen seinen ehemaligen Stadtkämmerer, dem Vorteilsannahme vorgeworfen wird, ist der Ex-Leipziger als Zeuge geladen. Der Vorgang soll möglichst diskret gehalten werden. Der Minister wird am Amtsgericht Berlin-Tiergarten vernommen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
ANDREAS WASSERMANN, STEFFEN WINTER