Tagesspiegel, 21.06.2007
Plauener Spitzengeflechte
Der Buchautor Jürgen Roth beschreibt korruptive Netzwerke in der Vogtlandstadt - morgen stellt er sein Buch dort vor
BERLIN - „Wir befinden uns in einer jener Regionen der ehemaligen DDR, in der die alten Stasi- und SED-Seilschaften immer noch mit am Rad der kommunalen Politik drehen - und besonders intensiv im kriminellen Milieu. Ob Polizei, Justiz oder Politik, sie verschließen häufig die Augen vor der Realität, möchten lieber all das, was ihr wohlfeiles Image trüben könnte, nicht wahrhaben."
Diese Region ist Plauen. Und derjenige, der diesen niederschmetternden Befund abgibt, heißt Jürgen Roth. Am morgigen Freitag wird er sich in die Höhle des Löwen begeben. Denn für die Vorstellung des neuen Buches „Aufklärung unerwünscht - Korruption und Willkür in der deutschen Justiz" haben sich der Eichborn-Verlag und die Autoren - neben Roth noch Rainer Nübel und Rainer Fromm - ausgerechnet die knapp 70 000 Einwohner zählende Vogtlandmetropole in Sachsen ausgesucht. Die sonst eher durch ihre Spitze bekannte Stadt hatte in jüngster Zeit Aufsehen dadurch erregt, dass sie immer wieder gemeinsam mit Leipzig, Dresden und Chemnitz als Hort von Korruption und organisierter Kriminalität in Sachsen genannt wurde.
Über all diese Vorgänge hatte der sächsische Verfassungsschutz rund 100 Aktenordner geheimes Material zusammengetragen. Sowohl der offenbar brisante Inhalt als auch der fragwürdige Umgang mit den Akten hat im Freistaat ein politisches Erdbeben ausgelöst. In dem Buch beschreibt Roth, der, auf welchem Wege auch immer, an die 15 600 Aktenseiten herangekommen ist, im Kapitel 4 das Plauener „Spinnennetz", in dem die Akteure,
Der Kripochef nahm sich das Leben, als ermittelt wurde „ob korrupte Polizeibeamte, ohnmächtige Staatsanwälte, unbedarfte Richter oder schmuddelige Unternehmer", alle eine „irgendwie obskure Vergangenheit haben". Ein schwer zu durchschauendes Geflecht von 40 bis 50 Personen.
Im Zentrum stehen ein Unternehmer, zu DDR-Zeiten „angesehener und gefürchteter Oberst im besonderen Einsatz", ein aus Hof nach Plauen abgeordneter Kripochef, der beste Kontakte zum Prostituiertenmilieu hat, zwei als ehemalige Stasi-Zuträger weit vernetzte Kriminelle, die nach der Wende groß in die Baubranche und ins Rotlichtmilieu einsteigen - so in ein Bordell, das „zum Treffpunkt sämtlicher Größen der Plauener Unterwelt wurde", ein aus Weißrussland stammender Ex-Angehöriger der sowjetischen Streitkräfte, der in den 90er Jahren in den Autohandel einstieg und befreundet war mit einem 1999 bestialisch ermordeten anderen weißrussischen Autohändler, diverse Polizisten und Juristen.
Der neue Kripochef soll schon vor seinem Einsatz in Plauen gute Kontakte zum ehemaligen K1-Leiter (kriminalpolizeiliche Abteilung des DDR-Ministeriums für Inneres) gehabt haben. Seine Fürsprache habe dem einstigen Staatskader zum Posten des Staatsschutzleiters der Plauener Polizei verholfen. Beide hätten gemeinsam dafür gesorgt, dass die Leiterin des Plauener Gewerbeamtes nicht auf frühere Stasi-Mitarbeit überprüft worden sei.
Andererseits habe auch der Handel mit Stasi-Akten eine große Rolle gespielt, wenn unliebsame Personen ausgeschaltet werden oder persönliche Vorteile erzielt werden sollten. So habe der erwähnte Bauunternehmer, der als Waffennarr gegolten habe, „innerhalb eines Tages" Stasi-Akten besorgen können, die er nicht nur dazu verwandt haben soll, die Baugenehmigung für sein 1996/1997 errichtetes Haus zu erzwingen. Und auch der neue Kripochef soll schon mal einem Mitarbeiter gedroht haben: „Wenn sie nicht funktionieren, öffne ich Ihre Stasiakte." Und der Kripochef und zwei weitere Polizeibeamte sollen den Bauunternehmer immer wieder vor anstehenden Baustellenkontrollen gewarnt haben. Die zwei Polizeibeamten sind häufiger Gast auf den Feten in der Datsche des Unternehmers. Auch Staatsanwälte halten Unterweltgrößen über drohende Ermittlungen auf dem Laufenden. Im Dezember 1999 verübt der Polizeichef Selbstmord - vermutlich unter dem Druck eingeleiteter Ermittlungen gegen ihn. Diese werden eingestellt, seine Verfehlungen und Verbindungen bleiben unaufgearbeitet.
Am Ende wirken das merkwürdige Grundstücksgeschäft eines überraschend ausgeschiedenen Plauener Oberstaatsanwalts und die seltsamen Firmenkonstruktionen eines ehemaligen Staatssekretärs im Bundesbauministerium fast wie Peanuts.
Von Matthias Schlegel