DNN/LVZ, 21.06.2007
Bruderkampf bei der Polizei
Leipziger Ermittler erhebt schwere Vorwürfe: Bekämpfung der organisierten Kriminalität nicht gewollt
Leipzig (DNN). Es heißt immer, solche Kommissare wie im Fernsehen gibt es nicht. Der Leipziger Georg Wehling ist der Gegenbeweis. Er war bis nach 2002 als Chef des auf organisierte Kriminalität (OK) spezialisierten Leipziger Kommissariats 26 vielen Drogendealern und Zuhältern dicht auf der Spur. Er hatte ein kleines Team verschwiegener Leute, die effektive Informanten in der Szene hatten. Er war nicht der typische Beamte, der Vorschriften liest und Meldungen schreibt und pünktlich nach Hause geht. Trotzdem war er gewissenhaft. Vielleicht zu gewissenhaft. Denn irgendwann im Jahr 2002 gingen seine Ermittlungen zu einem Kinderbordell in Leipzig-Möckern ins Leere. Die Verdächtigen hatten einen Tipp bekommen. „Von der Kripo ist der nicht gekommen. Das schließe ich aus. Sonst wusste nur die Staatsanwaltschaft davon", sagt Wehling gegenüber dieser Zeitung.
Was in den folgenden Jahren passierte, lässt den einstigen Top-Fahnder am Rechtsstaat zweifeln. Die Ermittlungen zu den Schüssen auf Martin Klockzin waren 1994 sein Ein stieg in den SachsenSumpf. Über die Hintergründe des Anschlags auf den ehemaligen Justiziar der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (IWB) traf Wehling auf krude Immobiliengeschäfte und ins Rotlichtmilieu.
Er stieß auf den Missbrauch tschechischer Jungen. Damit trat er vermeintlich ehrenwerten Personen offensichtlich zu nahe. „Ich wurde weggeschossen", sagt Wehling. Kugeln flogen dabei nicht. Aber das sächsische Landeskriminalamt (LKA) zog alle Register. Es begann ein Bruderkampf der Polizei.
Wehling lud einen Richter wegen möglicher Verstrickung ins Rotlichtmilieu zur Vernehmung vor. Das brachte ihm erst einmal eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. „Dann sind Lügenprotokolle geschrieben worden. Das LKA hat Zeugenaussagen gefälscht", erinnert sich Wehling. Der damalige OK-Leiter des LKA, der inzwischen ins Innenministerium aufgestiegen ist, ordnete an, andere Fälle liegen zu lassen und stattdessen gegen die Leipziger Kripo-Kollegen vorzugehen. Zwei Hausdurchsuchungen ohne erkennbaren Grund sollten Wehling einschüchtern. Die Beschlagnahme der Diensthandys ließ alle Informanten in der Szene auffliegen. Vor Gericht konnte sein Verteidiger aber alle Vorwürfe entkräften. Wehling wurde freigesprochen.
Ergebnis des Schlages gegen die Leipziger OK-Ermittler ist, dass das Kommissariat nie wieder so wirksam wurde wie damals. „Solch ein Vorgehen bleibt hängen. Eine funktionierende Abteilung wurde zerschlagen. Warum?", fragt Wehling. Um ihn kann es nicht gegangen sein. Er sollte sowieso 2003 in die Abteilung Jugendkriminalität wechseln. Deshalb seine Schlussfolgerung: „Im Freistaat Sachsen ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität nicht gewollt." Das behauptet auch der Buchautor Jürgen Roth im Zusammenhang mit dem Treiben der italienischen Mafia. Dafür hat Wehling ein Beispiel: „Anfang der 90er parkten vor einem italienischen Eis-Pavillon auf dem Sachsenplatz in Leipzig etwa 15 Nobellimousinen die Fußwege zu. Alle kamen laut Kennzeichen aus Neapel." Auf den geheimen Bericht ans LKA, den er schrieb, bekam er nie eine Resonanz. Als er einmal Adressen von Drogenlieferanten in den Niederlanden ans LKA meldete, bekam er die Antwort, diese Adressen existierten nicht. Wehling ließ die Orte auf eigene Faust überprüfen und stellte fest, es waren die besagten Orte, an denen Kokain aufbewahrt wurde.
Wehling ist heute in der Kriminaltechnik, würde aber gern wieder ins OK-Kommissariat zurückkehren. Der 51-Jährige sagt es so nicht, aber man merkt es ihm an. Er hat allerdings ein Handicap: „Mein Vertrauensverhältnis zur Staatsanwaltschaft ist irreparabel zerstört."
Andreas Friedrich