Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 21.06.2007

Sächsischer Schein-Sumpf

 
In Michael Endes Roman "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" taucht in der Wüste ein Herr Tur Tur auf. Aus der Ferne sieht er bedrohlich und gigantisch aus. Dann kommt er näher, wird immer kleiner, bis er auf normales Menschenmaß geschrumpft ist. Herr Tur Tur ist ein Scheinriese.

In Sachsen lässt sich derzeit ein ähnliches Phänomen beobachten, der Schein-Sumpf. Die gigantische Korruptionsaffäre, die sizilianischen und mafiösen Verhältnisse, die großflächige Vernetzung von Immobilienhaien, Staatsanwälten, Polizisten, ehemaligen Stasi-Größen, Rotlichtmilieu und Schwerkriminalität - dieser angebliche Mega-Sumpf schrumpft gerade zusammen zu einer stinkenden Pfütze aus medialer Sensationsgier, Gerüchten und hysterischen Äußerungen eines Innenministers, dem alle Sicherungen rausgeflogen sind.

Wahr ist: Der sächsische Verfassungsschutz hat in den Jahren 2003 bis 2006 alles zusammengefegt, was er über organisierte Kriminalität zu hören bekam: Zeitungsberichte, Gerüchte, Hörensagen, alte Anschuldigungen, angebliche sexuelle Ausschweifungen im Leipziger Rathaus, eigene Erkenntnisse. Insgesamt ist auf diese Weise ein Aktenberg von 15 600 Seiten angewachsen. Darin enthalten sind Hinweise auf mittlere und schwere Verbrechen. Hinweise, nicht Beweise.

Natürlich gibt es Korruption und Verbrechen in Sachsen. Aber die Bundesanwaltschaft hat es jetzt mehrmals abgelehnt, Ermittlungen zu übernehmen. Die Karlsruher bekamen Extrakte der Akten zugesandt, angeblich die haarsträubendsten Fälle. Doch dem Aktenberg ging es wie Herrn Tur Tur: Bei näherer Betrachtung blieb nur Normalmaß übrig. Generalbundesanwältin Monika Harms sieht keine Anzeichen für bedrohliche kriminelle Netzwerke.

Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo ist von allen guten Geistern verlassen. Sein Auftritt im Landtag, bei dem er vor der Mafia warnte, heißt in Dresdner Regierungskreisen nur noch die "Chaosrede". Dass er dann auch noch behauptete, Journalisten würden bedroht und anderen Leuten die "Radmuttern gelockert", ist reine Panikmache. Der Dresdner Journalist, um den es ging, sagte anschließend in Interviews, er habe das "nicht so sehr ernst genommen". Außerdem spricht er nicht von mafiösen Strukturen, sondern von Klüngelkreisen. Und der Landtagsmitarbeiter, an dessen altem Golf Mitte Mai ein Hinterrad wackelte, sagte danach, er werde weder bedroht, noch fühle er sich als Opfer.

In Sachsen werden bereits Wetten abgeschlossen, was vom großen Mafia-Sumpf in einem Jahr übrig sein wird: Der Frankfurter Sensationsautor Jürgen Roth, der jetzt ein Buch darüber auf den Markt bringt und das Medieninteresse mit abenteuerlichen Behauptungen anheizte, dürfte etwas reicher sein als heute. Der Aktenhaufen wird nach Prüfung auf Substanz durch die Staatsanwaltschaft zu einem Häuflein zusammenschnurren. Fraglich erscheint, ob sich darin überhaupt etwas Gerichtsfestes finden wird.

Was bleibt? Enormer politischer Schaden für Sachsen. Das Ansehen von Rechtsstaat und Justiz ist leichtfertig ramponiert worden. Hauptschuldiger ist der überdrehte Innenminister. In einem Jahr sollte ein kühlerer Kopf in seinem Sessel sitzen.
von Bernhard Honnigfort

Karl Nolle im Webseitentest
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