Neues Deutschland ND, 23.06.2007
Geheime Akten still entsorgt
Unterlagen zu Sachsen-Sumpf halbiert / Linke fordert Rücktritt von Ministern
Sachsens Verfassungsschutz hat 40 Aktenordner mit Unterlagen zu einer Korruptionsaffäre vernichtet. Die Staatsanwaltschaft versucht, die Lücke zu schließen. Die Linksfraktion fordert zwei Ministerrücktritte.
Seit Wochen elektrisieren 100 Ordner voller Material, das Sachsens Landesamt für Verfassungsschutz zu einem angeblichen Netzwerk aus organisierter Kriminalität zusammengetragen hat, die Öffentlichkeit. Seit Wochen auch steht die Landesregierung unter großem Druck, die Unterlagen möglichst schnell einer juristischen Aufarbeitung zuzuführen. Jetzt stellt sich heraus: Fast die Hälfte des brisanten Materials ist längst in den Schredder gewandert. 40 der 100 Ordner wurden im April still und heimlich entsorgt.
Eingeräumt wurde die Vernichtung vor dem Innenausschuss des Landtags von Innenminister Albrecht Buttolo (CDU). Auslöser war nach seinen Angaben ein Missverständnis. In den Reißwolf gewandert sein sollen zahlreiche Kopien von Akten bayrischer und sächsischer Staatsanwaltschaften. Allerdings sollen nach Angaben aus dem Ausschuss auch die entsprechenden Originale etwa in der Staatsanwaltschaft Chemnitz derzeit teilweise nicht auffindbar sein. Die Dresdner Staatsanwaltschaft, die mit der Auswertung der Verfassungsschutz-Akten beauftragt ist, teilte mit, man werde gegebenenfalls versuchen, »ausgesonderte« Akten »anhand der polizeilichen Tagebuchnummern zu rekonstruieren«.
Vertreter der Opposition, die Anfang Juli parteiübergreifend einen Untersuchungsausschuss zu der Affäre einsetzen und dabei besonders prüfen will, warum trotz offenbar Besorgnis erregender Erkenntnisse über Jahre keine Ermittlungen veranlasst wurden, reagierten ausgesprochen scharf auf das Eingeständnis des Ministers. Buttolo sowie dessen Parteifreund und Justizminister Geert Mackenroth müssten wegen der »Vernichtung von Beweismitteln« zurücktreten, forderte Peter Porsch, Vorsitzender der Linksfraktion. Bei der »Serie von Pannen und Verfehlungen« der Regierung sei »nunmehr die Grenze des Erträglichen überschritten«.
Von einem »unerhörten Skandal« sprach auch der FDP-Abgeordnete Jürgen Martens. Er kritisierte zudem, Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) schaue »dem Treiben nun bereits seit Wochen tatenlos zu«. In Anspielung darauf, dass die Akten im Landesamt offensichtlich ohne Wissen des Ministeriums und selbst der Hausspitze entsorgt wurden, erklärte der Bündnisgrüne Johannes Lichdi, Buttolo habe »seinen Laden nicht im Griff«.
Der Innenminister trat am Freitag vor die Presse und lehnte politische Konsequenzen ab. Rücktrittsforderungen seien für ihn »völlig belanglos«, sagte Buttolo.
Derlei Äußerungen klingen indes nach dem sprichwörtlichen Pfeifen im Walde. Während über den Inhalt der Unterlagen nach wie vor überwiegend Gerüchte kursieren, weshalb es kaum möglich ist, die Schwere der Vorwürfe über die Verwicklung von Polizei- und Justizmitarbeitern in kriminelle Netzwerke einzuschätzen, gerät die Landesregierung mit den jüngsten Vorfällen immer weiter in die Defensive.
Seit Veröffentlichung erster Vorwürfe reagieren Innen- und Justizministerium oft kopflos und äußern teils völlig entgegengesetzte Einschätzungen. Mackenroth erklärte, Sachsen sei »kein Sumpf«; Buttolo warnte davor, die Mafia könne »mit ihren Mitteln zurückschlagen«. Der mühsame Versuch, durch abgestimmtes Vorgehen in die Offensive zu kommen, ist mit dem Auffliegen der umfangreichen Aktenvernichtung weitgehend hinfällig. Auch ersten Zeitungskommentare tragen nun Überschriften wie: »Der Innenminister sollte an Rücktritt denken«.
Von Hendrik Lasch