Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 19.07.2007

Das Sachsenköniglein

Die CDU regiert Sachsen seit 1990. Die Korruptionsaffäre aber könnte der Partei und ihrem Regierungschef Georg Milbradt jetzt die Macht kosten.
 
AUFKLÄRUNG - Heute setzt der Dresdner Landtag einen Untersuchungsausschuss zur Korruptionsaffäre ein. Ministerpräsident Georg Milbrandt wollte das Gremium verhindern. Denn er fürchtet um die CDU-Herrschaft.

DRESDEN. Der Untersuchungsausschuss des Dresdner Landtages, der Hinweisen auf Korruption und Amtsmissbrauch in Sachsen nachgehen soll, kommt. Gestern erklärte der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, dass sich seine Fraktion heute der Stimme enthalten werde, wenn die Opposition in der Parlaments-Sondersitzung einen entsprechenden Ausschuss beantragt.

Gleiches kündigte der Koalitionspartner SPD bereits seit Tagen an. Vor zwei Wochen noch war ein erster Antrag wegen angeblich verfassungswidriger Formulierungen am Widerstand von CDU und SPD gescheitert.

Ginge es allerdings nach dem Willen von Regierungschef Georg Milbradt (CDU), dann würde auch der zweite Antrag heute im Landtag brüsk zurückgewiesen werden. Für ihn sei ein solcher Ausschuss nicht mehr als "Klamauk", sagte er kürzlich in einem Interview. Wieder einmal wittert Milbradt einen sozialistischen Umsturzversuch, mit dem die zur Linken umfirmierten PDS die nun schon 17 Jahre andauernde christdemokratische Ordnung im Freistaat erschüttern will.

Der Anfang vom Ende

Der kommende Korruptionsausschuss könnte tatsächlich den Anfang vom Ende der CDU-Herrschaft über Sachsen einläuten. Im Kern der Untersuchung geht es nämlich nicht nur um lange zurückliegende Einzelfälle von Immobilienschiebereien, Bordellbesuche von Politikern oder verschobene Gerichtsurteile. Es geht um die Frage, ob Sachsens CDU durch ihre Personalpolitik in Justiz, Polizei und Sicherheitsbehörden fast zwei Jahrzehnte lang das Entstehen einer Parallelgesellschaft begünstigte, in der Politiker, Beamte und Juristen im Verein mit Kriminellen eigene Interessen gesetzeswidrig und auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen konnten. Sollte der Ausschuss zu diesem Ergebnis kommen, dann stünde die CDU vor dem Offenbarungseid, als selbsternannter Hüter von Ordnung, Sicherheit und Gesetzlichkeit in Sachsen versagt zu haben.

Milbradt weiß um diese Gefahr. Und darum, dass es diesmal auch um ihn und sein Amt gehen wird. Bei den bislang bekannt gewordenen Politaffären in Sachsen, etwa bei den Mauscheleien um das Behördenzentrum in Leipzig-Paunsdorf und um die Landesbank SachsenLB, hatte er sich noch hinter seinem Amtsvorgänger Kurt Biedenkopf verstecken können. Stets argumentierte Milbradt, dass er als Finanzminister in Biedenkopfs Kabinett die Anweisungen seines Premiers habe ausführen müssen, der seinen Freunden gern lukrative Geschäftsmöglichkeiten im Freistaat eröffnete. Eine Schutzbehauptung.

Die in den geheimen Verfassungsschutzakten über Organisierte Kriminalität verborgenen Hinweise auf korrupte Politiker und Juristen deuten nämlich darauf hin, dass hinter dem längst bekannten System Biedenkopf ein viel umfassenderes System Sachsen existiert. Und zu dessen zentralen Figuren zählt auch Georg Milbradt.

Die Furcht vor diesen Enthüllungen mag Milbradts Handeln in den vergangenen Wochen erklären. Als im Mai erste Berichte über die geheimen Verfassungsschutzakten öffentlich wurden, hatte der CDU-Politiker zunächst geschwiegen und seine beiden Fachminister für Inneres, Albrecht Buttolo, und Justiz, Geert Mackenroth, vorgeschickt. Offenbar setzte der Regierungschef wie so oft darauf, die Affäre auszusitzen.

Doch die beiden Minister waren mit der Situation überfordert. Anfangs gaben sie sich zunächst völlig ahnungslos, dann stritten sie sich gegenseitig um Akten, und am Ende mussten sie kleinlaut einräumen, dass Teile der Unterlagen bereits verschwunden seien. Ein peinlicher Datenverlust.

Keine Hausmacht

Buttolo beförderte schließlich die Aufregung noch. Er sprach von Mafia-Strukturen in Sachsen und von angeblich Morddrohungen gegen sächsische Ermittler. Für Ruhe sorgte dies nicht. Nicht im Freistaat und nicht im Dresdner Parlament. Und so wurden auch in der CDU-Landtagsfraktion die Rufe immer drängender, Milbradt solle die Affäre um die Verfassungsschutzakten endlich zur Chefsache erklären.

Doch der Regierungschef lässt sich nur ungern etwas sagen, und von der eigenen Fraktion schon gar nicht. Seit langem gilt das Verhältnis Milbradts zu seinen Abgeordneten als zerrüttet. Zwar gelang es ihm, die anfangs noch aufmüpfigen Biedenkopf-Anhänger zu zähmen. Über eine Hausmacht aber verfügt Milbradt in der Fraktion nicht. Was, wenn man CDU-Abgeordneten glauben darf, vor allem an seinen charakterlichen Unzulänglichkeiten liegt. Ein Autist sei Milbradt, klagen sie, machtbesessen, cholerisch und beratungsresistent. Bei Problemen oder wichtigen Entscheidungen verschanze er sich in der Staatskanzlei und misstraue jedem. Die aktuelle Affäre belege, dass Milbradt zudem politischer Instinkt fehle.

Was die Abgeordneten aber auch vermissen, ist Nähe und menschliche Wärme. "Biedenkopf hat zwar auch alles selbst entschieden, aber er hat uns respektvoll und freundlich behandelt", sagt ein Abgeordneter. Milbradt hingegen werde laut in der Fraktion und pöbele CDU-Abgeordnete an, die es wagen, ihm zu widersprechen.

Wachsender Widerstand

Doch in der Fraktion wie in der Landespartei regt sich zunehmend Widerstand gegen Milbradts-Autokratie. Zumal es dem Regierungschef bislang nicht gelungen ist, die CDU zur alten Stärke zurückzuführen. Seit der Landtagswahl 2004 verharrt Sachsens Union in Umfragen bei ihrem Wahlergebnis von 42 Prozent. Das wirkt verstörend für die von absoluten Mehrheiten verwöhnte Partei. Schließlich hatte Milbradt vor drei Jahren den klaren Auftrag erhalten, den "Ausrutscher" von 2004 zu korrigieren. Bislang ist ihm das aber nicht gelungen.

Politische Beobachter schließen deshalb schon länger nicht mehr aus, dass Sachsens CDU sich bald zu einem personellen Neuanfang entschließen könnte. Als Nachfolger des Regierungschefs wird bereits Steffen Flath gehandelt, derzeit Wissenschaftsminister in Dresden.

Der Untersuchungsausschuss könnte solche Überlegungen aber erst einmal blockieren; käme eine Ablösung des Ministerpräsidenten derzeit doch einem indirekten Schuldeingeständnis gleich. Und das kann sich die CDU nicht leisten. Vor diesem Hintergrund erscheint Milbradts Taktieren um den Untersuchungsausschuss plötzlich in einem ganz anderen Licht.
Andreas Förster

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: