Berliner Zeitung, 25.07.2007
Interview: "Ich wurde immer wieder überrascht"
Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) über die Affären in Sachsen
Seit Monaten kursieren in Sachsen Berichte über Verbindungen zwischen der Politik und der organisierten Kriminalität. Von mafiösen Strukturen sprachen selbst Regierungsmitglieder. Jetzt wurde im Landtag ein Untersuchungsausschuss eingerichtet. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) steht auch in der eigenen Partei in der Kritik. Er kann dennoch keine Krise erkennen.
Herr Milbradt, am Freitag nimmt der Untersuchungsausschuss des Landtages die Arbeit auf. Warum hat die CDU sich diesem Ausschuss so massiv verweigert?
Zunächst ist es doch wichtig aufzuklären, was Gerüchte und was Tatsachen sind. Die Staatsregierung hat zwei Arbeitsgruppen von unabhängigen Experten eingesetzt: Die eine bereitet die Akten des Verfassungsschutzes auf und übermittelt sie an die Staatsanwaltschaft und klärt, ob es im Verfassungsschutzamt Missstände und Organisationsmängel gegeben hat. Die andere geht Vorwürfen nach, die Polizei habe ihre Ermittlungsarbeiten nicht fehlerfrei durchgeführt. Ein Richter aus Baden-Württemberg begleitet die Arbeit der Justiz. Dem Untersuchungsausschuss verweigert sich die CDU nicht. Sie hat mit der SPD darauf verwiesen, dass der Antrag für die Einsetzung des Ausschusses wegen seiner Vorverurteilungen und Infragestellung der Unabhängigkeit der Justiz gegen die Verfassung verstößt. Mögliche politische und organisatorische Verantwortlichkeiten kann der Ausschuss doch nur klären, wenn die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft vorliegen.
Gehen Sie davon aus, dass sich ein politisch-kriminelles Netzwerk nachweisen lässt?
Ich sehe dafür keine Beweise, sondern nur Gerüchte und Vermutungen. Viele Fälle sind in der Diskussion, die schon in der Lokalpresse der 90er-Jahre beschrieben und von Polizei und Staatsanwaltschaft untersucht wurden. Dass dabei etwas Neues herauskommt, kann ich zurzeit nicht erkennen. Aber das ist nur ein vorläufiges Urteil. Eine endgültige Beurteilung ist erst möglich, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen abgeschlossen hat.
Ihr Innenminister hat noch im Juni von aktiven Netzwerken der organisierten Kriminalität gesprochen.
Diese Gefahr sehe ich nach den heutigen Erkenntnissen nicht. Der neue Präsident des Verfassungsschutzamtes hat festgestellt, dass eine Hauptquelle des Amtes ein Polizist ist, der mit seinen anonymen Aussagen seine Aussagen als Polizeibeamter gestützt hat. Es waren eben nicht zwei unabhängig voneinander existierende Quellen, sondern es lag Personenidentität vor.
Der Verfassungsschutz hat sich also eine Beweislage konstruiert?
So weit will ich nicht gehen. Aber einige Vorgänge sind überbewertet worden. Ich gehe davon aus, dass wir im Herbst übersehen können, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es organisierte Kriminalität in Verbindung mit Politik gegeben hat.
Es gibt die Vermutung, Sie müssten fürchten, dass Verfehlungen aus Ihrer Zeit als sächsischer Finanzminister ans Licht kommen.
Das ist eine üble Verleumdung. Der Vorwurf wird immer wieder erhoben. Dazu hat es einen Rechnungshofbericht, Untersuchungsausschuss und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegeben. Sie haben zu nichts geführt. Die Vorwürfe sind jetzt noch einmal von der Staatsanwaltschaft mit negativem Ergebnis überprüft worden. Das muss dann akzeptiert werden.
Finden Sie, dass Sie die Krise optimal gemanagt haben? Oder sind Sie die Sache zu zögerlich angegangen?
Mein Problem war, dass ich nicht zu etwas Stellung nehmen konnte ohne den Sachverhalt in Gänze zu kennen. Ich wurde immer wieder überrascht durch Presseveröffentlichungen, die bewusst lanciert wurden. Ich gehöre zu den Politikern, die erst wissen wollen, um was es geht, bevor sie sich äußern.
Sie regieren mit der SPD, die nicht mit Kritik an Ihnen gespart hat. Wie stabil ist Ihre Koalition überhaupt noch?
Die SPD hat das Problem, dass ein Teil ihrer Leute nicht weiß, ob sie zur Opposition oder zur Regierung gehört. Wir haben aber jetzt einen guten Weg gefunden, wir haben ja auch noch ein großes Programm für den Rest der Legislaturperiode vor uns.
Haben Sie den Eindruck, das gilt auch für die große Koalition im Bund?
Ja. Sie hat noch eine ganze Reihe von Punkten abzuarbeiten, von der Sicherheits- bis zur Wirtschaftspolitik. Das Problem ist, dass die SPD noch nicht die richtige Antwort auf die Abgrenzung zur neuen Linken gefunden hat und an Zustimmung verliert. Dadurch blockiert sie viele Entscheidungen.
Im Streit um die Kinderkrippen-Finanzierung ist es ein Streit zwischen Bund und Ländern. Der Bund hat jetzt vorgeschlagen, den Krippenneubau mit drei Milliarden Euro zu fördern. Die Betriebskosten für bestehende Kitas sollen erst ab 2012 unterstützt werden. Ist das für Sie akzeptabel? Für ostdeutsche Länder, wo es schon viele Kitas gibt, sind ja vor allem die Betriebskosten relevant.
Die ostdeutschen Länder sind sich einig, dass unsere Vorleistungen anerkannt werden müssen. Es muss ein fairer Verteilungsschlüssel gefunden werden.
Das heißt, das Bundesangebot ist nicht das letzte Wort.
Ich glaube nicht. Die Verhandlungen gehen weiter.
Wo liegt der Kompromiss?
Die Länder würden sich nicht dagegen wenden, wenn die Betriebskosten früher gefördert würden. Alternativ kann über die Definition von Investitionen gesprochen werden.
Es gab diverse Störfalle in deutschen Atomkraftwerken. Muss die CDU ihre Position zur Atomkraft überdenken?
Nein. Denn was ist da eigentlich passiert? Von ernsthaften Störfällen kann nicht die Rede sein. Auf der internationalen Skala waren das sogenannte Nullfälle. Die deutschen Kernkraftwerke gehören immer noch zu den sichersten.
Sie haben gar kein Misstrauen, dass da regelmäßig vertuscht wird von den Betreibern?
Ich bin vor allem misstrauisch gegenüber den Politikern, die die Sache jetzt skandalisieren, weil sie sofort aussteigen wollen, aber auch enttäuscht über kommunikative Pannen der Betreiber.
Es gibt auch Politiker - übrigens auch in der Union - die sagen, die unsicheren Kraftwerke sollten abgeschaltet werden.
Nochmal: Technisch hat keine Gefährdung vorgelegen. Es wäre aber ein großer Fehler, wenn wir jetzt einfach Atomkraftwerke abschalten, ohne eine Alternative in der Energieversorgung zu haben, oder sie durch Kernkraft aus anderen Ländern ersetzen, die den hohen Stand der Technik und eine so intensive staatliche Aufsicht nicht kennen.
Das Gespräch führte Daniela Vates.