Tagesspiegel, 20.08.2007
Wenn sie wissen, was sie tun
Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld
Als die amerikanische Zentralbank am Freitagnachmittag völlig überraschend die Zinsen für Bankkredite senkte, kehrte für wenige Minuten noch einmal Euphorie in die Börsensäle der Welt zurück. Die Kurse gingen binnen Sekunden steil nach oben. So, als sei etwas passiert, was der Weltwirtschaft eine neue Richtung, neue Hoffnung geben würde. Ein tief greifendes Ereignis, wie wenn sich Osama bin Laden selbst an die amerikanische Regierung ausliefern und dem Terror für immer abschwören würde. Das hat nicht stattgefunden. Die Federal Reserve Bank hat nur mitgeteilt, dass sie künftig den Banken Geld billiger zur Verfügung stellen will als bisher.
Niemand sollte sich Illusionen über die Dramatik der Situation machen, die auch nach der Feuerwehraktion der Fed bestehen bleibt. Am Freitag stellten weitere Immobilienfinanzierer in den USA ihr Geschäft ein, am Wochenende musste in Deutschland mit der Sachsen LB die zweite Bank binnen 14 Tagen durch eine milliardenschwere Solidaritätsaktion anderer Banken vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Die amerikanische Notenbank hat den Märkten das Signal gegeben, alles tun zu wollen, um sie am Laufen zu halten. Aber sie hat ihnen auch das Signal gegeben, dass man im Zweifel diejenigen herauskaufen wird, die die Krise durch Wetten auf immer komplizierter gestrickte Finanzprodukte erst verursacht haben. Und das, bevor irgendjemand sagen könnte, wie viele Banken welche Risiken am Ende in ihre Bücher nehmen müssen. Auch die Europäische Zentralbank, auch die Steuerzahler werden sich an dieser Strategie beteiligen müssen: Es ist zum Beispiel in Deutschland nicht vorstellbar, dass man eine Landesbank aufgäbe. Das Land Berlin und seine Bürger haben vor Jahren Milliarden für die misslungene Geschäftspolitik ihrer Banken gezahlt, das Land Sachsen und seine Bürger würden das auch für ihre Bank tun müssen. In Berlin kann man heute noch besichtigen, wie viel Wohlstand, politische Entwicklungs- und Gestaltungskraft solche Gewaltmaßnahmen langfristig kosten.
Es ist nicht nur ärgerlich, wenn ausgerechnet denen geholfen wird, die ihr Geld in riskante Fonds gesteckt und in der Vergangenheit oft genug Millionengewinne nach Hause getragen haben, es ist auch schädlich. Denn noch sind die Folgen der Vertrauenskrise nicht in der realen Weltwirtschaft angekommen. Noch stellen die Firmen ein, noch weisen die Unternehmen Rekordgewinne aus. Es hat zu diesem Zeitpunkt also noch keine unmittelbare Notwendigkeit gegeben, den Erfindern der Hedgefonds, den Konstrukteuren der Anleihen auf gebündelte Immobilienkredite und den Händlern von obligationsähnlichen Wertpapieren mitzuteilen, dass sie auf ihren offenen und verdeckten Risiken am Ende nicht sitzen bleiben werden. Das kommt einer impliziten Aufforderung gleich, weiterzumachen. Erst wenn die Folgen der Vertrauenskrise zu einer echten Wirtschaftskrise werden, reales Wachstum, richtige Arbeitsplätze und wirklichen Wohlstand kosten, nimmt man zähneknirschend in Kauf, dass auch die Falschen davonkommen könnten.
Es ist – bei allem Respekt – ein bisschen wohlfeil, jetzt mehr Kontrolle und Transparenz der Finanzmärkte zu fordern. Ohne Zweifel, Transparenz ist immer gut. Doch dieselben Regierungen, die in den vergangenen Jahren die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen haben, dass Banken ihre Immobilienkredite bündeln und kapitalmarktfähig machen können, klagen nun laut darüber, dass diese Möglichkeiten genutzt wurden. Wenn nun das große Rad bei der Immobilienfinanzierung, den Anleihen auf diese Finanzierungen, den Wetten auf diese Anleihen und den Optionen auf diese Wetten gestoppt wird, dann geht die nächste Welle woanders los. Man hat noch nicht gehört, dass sich irgendwer jüngst Sorgen über das amerikanische Leistungsbilanzdefizit gemacht hat. Niemand scheint zu bemerken, dass der Ölpreis auf neue Höhen steigt. Auch an diesen Sachverhalten hängen Termingeschäfte, Optionen, Kurssicherungspapiere und Wetten darauf. An handfesten Risiken mangelt es der Weltwirtschaft zurzeit wahrhaftig nicht.