Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 22.08.2007

Märkte brauchen Krisen

Gasrkommentar von Thomas Straubhaar
 
Zuerst die Deutsche Industriebank IKB, nun die SachsenLB. Ja, es ist richtig: Die beiden Banken haben sich massiv verspekuliert. Sie haben auf der Suche nach hohen Renditen an internationalen Märkten mitgespielt und dabei die Risiken unterschätzt. Sie haben mit kurzfristigem Geld langfristige Geschäfte finanziert. Nun fehlt es an Liquidität. Hilfspakete müssen geschnürt werden. Bei der haften der Freistaat Sachsen und die Sparkassen, bei der IKB musste die Staatsbank KfW zusammen mit anderen Banken einspringen. Damit spielt der Steuerzahler einmal mehr ungefragt den letzten Retter. Das darf nicht sein.

Nun schlagen viele mit der Moralkeule zu. "Gier braucht Grenzen." Neue Gesetze seien erforderlich. Sie sollen verhindern, dass sich ähnliche Krisenszenarien wiederholen. Richtig ist, dass mehr Transparenz nie schaden kann. Richtig ist auch, dass Märkte gesetzliche Spielregeln benötigen. Falsch ist es jedoch zu glauben, neue Gesetze könnten künftige Bankenkrisen verhindern. Krisen lassen sich nicht verhindern. Krisen gehören zu Märkten. Sie sind Bausteine auf dem Weg des Fortschritts von guten zu besseren Lösungen. Sie helfen, aus Fehlern zu lernen.

Welche Lehren lassen sich denn heute bereits aus den Liquiditätsengpässen bei der IKB und der Sachsen LB ziehen? Erstens ist gerade der Fall der Sachsen LB ganz offensichtlich ein Staatsversagen und kein Marktversagen. Er veranschaulicht, wie sehr gerade öffentlich-rechtliche Finanzinstitute gefährdet sind, zu rasch zu große Risiken einzugehen, weil sie erwarten, dass im Notfall der Staat Hilfe gewährt. So stellt sich die Frage nach der Rolle der öffentlich-rechtlichen Banken in einem mit privaten Finanzinstituten reichlich ausgestatteten Deutschland. Landesbanken und Sparkassen können enorm wichtige Aufgaben wahrnehmen. Dazu gehört aber sicher nicht die Maximierung der Gewinne. Öffentlich-rechtliche Finanzinstitute sind für jene Kreditprobleme notwendig, für die es keine privaten Lösungen gibt. Das trifft bei Geschäften mit keinen oder nur geringen Gewinnerwartungen zu, die aber dennoch von übergeordnetem öffentlichem Interesse sind - etwa die Vergabe von Kleinstkrediten für das lokale Gewerbe.

Zweitens hat Finanzminister Steinbrück recht, wenn er verwundert darüber ist, "dass Rating-Agenturen noch sorglos ihre besten Noten vergeben haben, als tüchtige Journalisten über die Risiken auf dem Hypothekenmarkt bereits sehr zutreffend berichtet haben". Ursache und Wirkung liegen jedoch so, dass aus Sicht der Rating-Agenturen gerade der öffentlich-rechtliche Status der Sachsen LB zu einer im Vergleich zu privaten Banken "zu guten" Bonität verholfen hat. Die Sachsen LB ist nicht pleitegegangen, sondern wurde vom Staat und den Steuerzahlern gerettet. Das haben die Rating-Agenturen genauso erwartet und genau diese Botschaft ausgesendet.

Drittens bleiben der Gesetzgeber und damit die Politik in der Pflicht, ein gesetzliches Rahmenwerk zu schaffen, das private Akteure eigenverantwortlich handeln lässt und die Folgen von Fehlverhalten oder falsch eingeschätzten Risiken für unbeteiligte Dritte minimiert. Wer Risiken eingeht, soll nicht nur im positiven Falle die Gewinne einstreichen. Im negativen Falle soll er auch für die Verluste haften. Wer sich die Suppe durch heiße Spekulationsobjekte einbrockt, soll auch selber die Folgen auslöffeln. Bei öffentlicher Unterstützung werden die Spekulanten belohnt und die vorsichtigen Anleger bestraft. So wird Fehlverhalten erst recht provoziert.

Viertens hat wohl gerade die in Deutschland noch wenig geübte und oft kritisch beurteilte Verbriefung von Verpflichtungen und Rechten zwar zu weltweiten Kettenreaktionen, nicht aber zu einer Zahlungsunfähigkeit oder einem Zusammenbruch des Bankensystems geführt - auch nicht in den USA. Vielleicht führen gerade die aktuellen Erfahrungen dazu, aus den Fehlern in den USA zu lernen und trotzdem in Deutschland bei der Unternehmensfinanzierung vermehrt neue Wege zu gehen.

Fünftens stellt sich die Frage, wieweit die Fälle IKB und Sachsen LB zu einer generellen Vertrauenskrise führen. Haben sich Vorstände, Kontroll- oder Aufsichtsgremien unredlich verhalten? Was auch immer die sicherlich vorzunehmenden Abklärungen ergeben werden, eines ist sicher: Weder strengere Gesetze noch schärfere Kontrolle können menschliches Fehlverhalten und Fehlentscheidungen verhindern. Je mehr Führungskräfte durch Gesetze gebunden und geknebelt werden, umso weniger fühlen sie sich moralisch für ihr Verhalten verantwortlich, weil sie sich vor allem als Ausführende, weniger aber als Anführer verstehen. Das aber ist der Anfang vom Ende einer marktwirtschaftlich organisierten liberalen Gesellschaft.

Der Autor ist Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts

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