Die Welt, 28.08.2007
Milbradts malades Musterland gerät ins Wanken
Banken-Crash, Korruptions-Affäre, Brücken-Streit: Der sächsische Ministerpräsident gerät durch sein miserables Krisenmanagement immer mehr in Bedrängnis. Eine Krisensitzung jagt in Sachsen die nächste. Jetzt wird es auch für den Ministerpräsidenten eng.
Es sollte eine schöne Rückkehr in den politischen Alltag werden. Gleich nach seinem Urlaub hatte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) eine Reihe von Journalisten zu einer der schönsten Adressen Sachsens eingeladen: Auf dem Staatsweingut Schloss Wackerbarth im noblen Dresdner Vorort Radebeul traf man sich zum Hintergrundgespräch. Nach einem Glas Sekt vor dem Belvedere schritten der Regierungschef und seine Gäste zur gemeinsamen Schau-Weinlese in die romantisch gelegenen Weinstöcke.
Doch kaum war die Abendsonne untergegangen, ging es an der langen Tafel zur Sache: Krach um die Korruptionsaffäre, Widerstand gegen die Waldschlösschenbrücke, Hetzjagd in Mügeln, Ausverkauf der Landesbank – jede Krise wurde durchdekliniert, und der in die Defensive gedrängte Milbradt hatte keine Gelegenheit, gute Botschaften zu verkünden. Über das wahre Ausmaß der Katastrophe seiner SachsenLB ließ der Regierungschef am Donnerstag vergangener Woche die Medienleute jedoch im Unklaren. Dabei herrschte zu diesem Zeitpunkt in der Staatskanzlei längst Krisenstimmung. Hektisch wurde an Szenarien für die Not leidende Landesbank gearbeitet.
Eine Krisensitzung jagte in Sachsen die nächste
Ab Freitag jagte dann eine Krisensitzung die nächste. Eiligst musste am Wochenende der Notverkauf der Landesbank an die baden-württembergische LBBW abgewickelt werden – ein Kollaps, der den blendenden Ruf des Musterländles Sachsen und seines Regierungschefs bis ins Mark trifft. „Sächsisches Desaster“, „Drama an der Elbe“ und „Schwarze Löcher in Leipzig“ lauteten die Schlagzeilen der Zeitungen. Immerhin war die einzige ostdeutsche Landesbank das gehätschelte Lieblingskind Milbradts, ein Projekt, das er Anfang der 90er Jahre selbst mit aufgebaut hatte. Nun musste er den Offenbarungseid leisten. Das Debakel des Notverkaufs ist eine bittere Niederlage für den Finanzprofessor Milbradt – und nicht nur das. Der Crash markiert einen neuen Tiefpunkt in der ganzen Serie von Äffären, die Milbradt seit Monaten immer mehr in Bedrängnis bringen.
In jüngsten Meinungsumfragen stürzte die sächsische CDU auf nur noch 37 Prozent ab, nach 41,1 Prozent bei der Landtagswahl im Jahre 2004. Die Union, noch unter Milbradt-Vorgänger Kurt Biedenkopf von souveränen absoluten Mehrheiten verwöhnt, würde danach nicht einmal mehr zusammen mit der SPD, die es auf rund zehn Prozent bringt, eine eigene Regierungsmehrheit behaupten können. Es sind Zahlen, die Milbradt schmerzen. Der Ministerpräsident ist auch Parteivorsitzender – als solcher muss er sich in drei Wochen von einem Landesparteitag wiederwählen lassen. Dem Termin sehen manche Christdemokraten mit Sorge entgegen, nach den jüngsten Vorfällen muss Milbradt befürchten, dass ihn die Delegierten mit einem schlechten Ergebnis abstrafen. Bereits beim letzten Parteitag hatte er, obwohl es keinen Gegenkandidaten gab, soeben eine Zustimmung von 76,9 Prozent erhalten. Diese Scharte wollte Milbradt eigentlich auswetzen. Nun droht ein noch miserableres Ergebnis.
Dass sich bisher noch keine Heckenschützen aus der Deckung gewagt haben, liegt vor allem daran, dass ein Festhalten an Milbradt bisher noch als alternativlos erscheint. Als potenzieller Nachfolge-Kandidat gilt Kultusminister Steffen Flath. Doch der Mann aus dem Erzgebirge strahlt wenig Charisma aus. Und dann lauert da noch Angela Merkels Kanzleramtsminister Thomas de Maizière. Der hält zwar auffällig fleißig Kontakt zur sächsischen Parteibasis, dementiert jedoch alle Ambitionen auf den Ministerpräsidentensessel in Dresden. Nicht nur von der Opposition, sondern auch aus CDU-Kreisen wird dem Regierungschef ein desolates Krisenmanagement vorgeworfen.
Die Bewältigung der Probleme, kritisieren führende Christdemokraten, könne der Bevölkerung mittlerweile kaum noch vermittelt werden. „Milbradt hat seine Staatskanzlei in einen Bunker verwandelt“, heißt es. Beanstandet werden ein ungeschickt agierendes Kommunikationsteam und eine zuweilen unglückliche Hand bei der Personalauswahl. In der Kritik stehen vor allem die beiden Minister, die die aktuellen Affären zu händeln haben: Finanzminister Horst Metz für die Landesbank und Innenminister Albrecht Buttolo für die Korruptionsaffäre, die nach einer Reihe von Pannen beim Geheimdienst zunehmend zu einer Verfassungsschutzaffäre wird. Beide Ressortchefs gelten dabei als Schwachpunkte des Dresdner Kabinetts, beide scheinen überfordert. Letztlich aber trage Milbradt, so räumen Parteifreunde ein, die politische Verantwortung.
Milbradt ist beratungsresistent und dünnhäutig
Selbst Regierungskreise nennen den „MP“ beratungsresistent und dünnhäutig. Es gebe nur noch wenige, auf deren Ratschläge er höre. Zudem neige der Westfale als „münsterländischer Dickkopf“ dazu, in Konflikten auf Stur zu schalten, statt diplomatisch den Ausgleich zu suchen – etwa wie im Streit um die Waldschlösschenbrücke. Seit Monaten wird Milbradt aufgefordert, in dem Konflikt um die Dresdner Elbquerung zu moderieren. Doch der hielt stoisch an der geplanten Umsetzung des Bauwerks fest – auch auf Kosten des renommierten Welterbetitels.
Gerät Milbradt in Bedrängnis, fällt häufig der Satz: „Da müssen wir jetzt durch.“ Diese Floskel gebrauchte er auch gestern wieder, als er der CDU-Fraktion das Debakel um die Landesbank zu erklären versuchte. Unerwähnt ließ er, dass es in der Geschichte der Bank immer wieder Mahnungen gegeben hatte. Im Frühjahr 2005 etwa, als die damalige Führungsriege des Instituts nach einer Serie von Skandalen von einem auf den anderen Moment zurücktreten musste. Damals erhielt Milbradt einen Brief von Alt-Premier Biedenkopf. Darin monierte er, Ostdeutschlands einzige Landesbank, „auf die wir besonders stolz waren“, sei „notleidend“ geworden. „Und dafür, Georg, trägst Du die Verantwortung.“ Sachsens Nachwendekönig hatte seinem ungeliebten Thronfolger vor seinem Abgang einen bösen Satz hinterlassen, der wie ein Fluch wirkt: „Georg Milbradt ist ein hervorragender Finanzfachmann, aber ein miserabler Politiker.“ Diese Worte werden jetzt in Dresden wieder zitiert und variiert.
Der SPD-Abgeordnete
Karl Nolle, ein ständiger Unruheherd in der großen Koalition sagt, Biedenkopf habe nur mit einem Teil seiner Feststellung Recht gehabt: „Nach dem Debakel mit der SachsenLB wird niemand mehr behaupten können, Milbradt sei ein hervorragender Finanzfachmann.“ Die Linkspartei fordert inzwischen Milbradts Rücktritt. Bei der Landesbank gehe es „um die politische Verantwortung des Ministerpräsidenten und seines Finanzministers. Milbradt und Metz müssen ihren Hut nehmen“, fordert Fraktionschef André Hahn. Milbradt weist das entschieden zurück. Er sagt, durch sein Eingreifen beim Verkauf der SachsenLB sei der Schaden für den Freistaat begrenzt worden. „Wenn man Schaden vom Land abwendet, ist es ein bisschen grotesk zu sagen, dafür musst Du zurücktreten.“ Manche finden diese Bemerkung grotesk: „Der Brandstifter spielt den Feuerwehrmann.“
Von Sven Heitkamp