Karl Nolle, MdL

Ostdeutsche Zeitung (Genossenschaft Ostd. Zeitung i.G.), 09.09.2007

Sachsen im Traum (a)

 
Nein, Neuwahlen in Sachsen sind sinnlos. Die durch die Korruptions- und die Landesbankaffäre angeschlagene CDU würde mit oder ohne Milbradt deutlich an Stimmen einbüßen. Linke, NPD und ein bisschen auch die FDP würden davon profitieren. SPD und Grüne würden etwa die einstelligen Werte der Landtagswahl 2004 erreichen, weil sie ihr Stammwählerpotenzial kaum noch schrumpfen, aber auch keine neuen Wählergruppen erreichen können. Nötig wäre dann eine Dreiparteienkoalition, weil das einzig mögliche Zweierbündnis eine Zwangsheirat von CDU und Linker erforderte. Der Linken fehlen aber auch für einen Dreier die Partner, die sich von ihr führen ließen.

Für die Regierung gesetzt ist nur die CDU. Sie könnte ausloten, ob sie mit SPD und Grünen, mit SPD und FDP oder mit Grünen weiter an der Macht bleiben kann. Doch darin liegt das eigentliche Problem: Die sächsische Union ist als Biedenkopf-Wahl- und Treueverein groß geworden und hat sich in 14 Jahren absoluter Herrschaft, die vor Biedenkopfs Abgang immer mehr an Absolutismus erinnerte, verschlissen. Milbradt hätte die Partei nach seinem Amtsantritt 2002 personell und inhaltlich erneuern müssen. Doch fehlten ihm dafür politische Phantasie, Hausmacht und Entschlusskraft - die sächsische Union blieb unmoderner und auch deutlich rechter als ihre Wählerschaft.

Brillant gespart - an Geld und Phantasie

Um nicht falsch verstanden zu werden: Milbradt war ein brillanter Finanzminister, wenn wir die SachsenLB - ähm - mal kurz vergessen. Er wusste, dass die ostdeutschen Länder durch die Transfers aus dem Westen zunächst wesentlich größere Haushalte als die Altbundesländer aufstellen konnten, sah allerdings auch voraus, dass mit der Solidarität mittelfristig und unwiderbringlich auch die Ausgaben sinken müssen.

Im Ergebnis sahen sich Hochschulen und Kommunen im Freistaat zwar über Jahre kurzgehalten, heute - dank der guten Konjunktur - hat das Land aber Spielräume für Ausgaben, von denen Thüringen und Sachsen-Anhalt nur träumen können. Milbradt ist aber auch als Regierungschef nur ein Finanzminister geblieben. Erinnert sei daran, dass die einzigen politischen Innovationen im Koalitionsvertrag auf die 9,8-Prozent-SPD zurückgehen: Mehr Mittel für Kitas, Modellprojekte für Gemeinschaftsschulen und das erste landeseigene Förderprogramm gegen Rechtsextremismus.

Dauersparflamme für die SPD

Die Sozialdemokraten haben in der Regierung das ihnen Mögliche getan. Mehr geht nicht. Die Partei zählt lediglich 4500 Mitglieder. Dass sie so wenig Anhänger hat und umso weniger ihr Personal auswählen kann, ist historisch begründet:

Erst vereinnahmten die Kommunisten die SPD ab 1946 zu Tode, dann, wiedergegründet mit der Wende, entschied sie, sich den SED- und PDS-Eliten bzw. Kleinstfunktionären zu verschließen. Das eine eine Tragödie, das andere ein tragischer strategischer Fehler. Nur Glück hätte helfen können, zum Beispiel ein ungewöhnlich charismatischer Mensch an der Spitze. Doch Wolfgang Tiefensee bevorzugte Berlin statt Dresden, denn er mochte seine Karriere nicht in den sächsischen Unwägbarkeiten riskieren, um bestenfalls zweitrangiger Minister in einer CDU-geführten Provinzregierung zu werden.

Untertanen mit adligen Allüren

Mit zwei Ministerposten wurde die SPD im Dresdner Kabinett bedient - die besetzt sie solide, doch das ist auch schon alle Macht, über die sie verfügt. Das zeigte sich bei den jüngsten Affären. Im Korruptionsskandal hat die CDU trotz Untersuchungsausschuss ihre Abwehrkampagne nach dem Motto “Gar nichts dran”, bei der SachsenLB ihre Variante des nächtlichen Notverkaufs durchgezogen. Und so kämpft ein mutiger und kompetenter Kritiker wie der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle auf ausssichtslosem Posten.

Vorerst bleibt die Koalition erhalten, weil weder CDU noch SPD Neuwahlen wollen. Doch spätestens beim nächsten Skandal wird es zum Bruch kommen. Und für weitere Affären haben die zunächst importierten, dann unkontrolliert wuchernden Seilschaften in Ministerialbürokratie, Justiz und teilweise auch in der Polizei vorgesorgt. Garantiert. Ihre abgehobene CDU-zentrierte Selbstbezüglichkeit entsprang auch dem mangelnden Politikinteresse und -engagement vieler wendegetriebener Sachsen - und hat es in der Folge weiter verkümmern lassen. Rief 1918 der abtretende sächsische König angeblich: “Macht doch Eiern Dreck alleene!”, so murmeln den Satz heute Scharen von Untertanen am Stamm- und am Abendbrottisch.

Dreierbund oder Koalition gegen die NPD

Nein, Neuwahlen sind nicht sinnlos. Sie sind unumgänglich. Schon eine Dreierkoalition unter Führung der CDU - egal ob mit SPD/Grünen, SPD/FDP oder FDP/Grünen - wäre neu für die Bundesrepublik, sie könnte zugleich dazu führen, dass der Osten nicht länger versucht, den Westen zu kopieren. Jedoch fehlte der Union dann die Luft und der Druck, sich zu regenerieren. Es bliebe eine - natürlich - illusionäre Variante: Die demokratischen Parteien - also CDU, Linke, SPD, FDP und Grüne - verständigen sich auf ein Prioriätenprogramm für Sachsen. Gemeinsamkeiten gibt es zur Genüge - anders gesagt -, sie sind herstellbar:

Zweigliedriges Schulsystem, in dem deutlich länger als bis zur vierten Klasse gemeinsam gelernt wird.

Sanfter Elitenwechsel in den Ministerien und in der Justiz. Auch eine größere Zahl an jüngeren Einheimischen bekommt eine Chance. Teilzeit-, Abfindungs- und Vorruhestandsregelungen für nicht länger benötigte Aufbauhelfer, die Könner bleiben.

Hochwertige Kinderbetreuung für alle, die es wünschen - unabhängig davon, ob die Eltern Arbeit haben oder nicht.

Mehr Gleichberechtigung, indem junge Mütter beim (Neu-)Start im Job unterstützt werden.

Kreditbürgschaften und Steuererleichterungen für den Mittelstand, der ja vielfach aus Klein- und Kleinstunternehmen besteht.

Mehr Hochschullehrer, mehr Forschungsausgaben und -zuschüsse, die Qualifizierung von Arbeitslosen wird nicht länger der “Umschulungsmafia” und dem Arbeitsamt überlassen, sondern strategisch nach Marktentwicklungen ausgerichtet und über transparente Ausschreibungen vergeben.

Ein zweiter/dritter (je nach Lesart) Arbeitsmarkt, für den Langzeitarbeitslose ihre Tätigkeit selbst vorschlagen oder auswählen können. Prinzip: Keine Pseudojobs, aber auch keine Konkurrenz für die kommerzielle Wirtschaft.

In jedem Herbst stellt die Regierung ihre Schwerpunkte für das nächste Jahr zur Volksabstimmung.

Fortsetzung der CDU-Haushaltspolitik bei veränderter Verteilung (siehe vorige Punkte)

Nach der inhaltlichen Einigung bekommen die genannten Parteien so viel Ministerposten, wie ihnen nach ihrem Wahlergebnis zustehen. Jede Partei kann sich auf bestimmten, zum Teil ihren klassischen Feldern profilieren: Die CDU behält Finanzen und übernimmt wieder die Wirtschaft, die SPD räumt im Innenministerium auf, die Linke kann sich bei Schulen und Sozialem bewähren, die Grünen machen auf Umwelt und Landwirtschaft, die FDP sorgt für die Unabhängigkeit der gesamten Justiz.

Die NPD darf schimpfen, während die Regierungsparteien über Sachfragen streiten. Alles, was über den Koalitionsvertrag hinausgeht, wird ohne Fraktionszwang abgestimmt. Der Ministerpräsident/die Ministerpräsidentin kommt von der CDU oder aus der Partei der Parteilosen. Zur nächsten Wahl wird die Regenbogenkoalition aufgelöst - die Wähler entscheiden, wer künftig weiter regiert und wer künftig wieder opponiert. Zuvor ist das Regierungsbündnis zum Erfolg verurteilt, denn ansonsten droht die Machtübernahme durch die NPD. Wenn das kein Ansporn ist.
von Jonas Klein



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