Karl Nolle, MdL

Freitag, Die Ost-West Wochenzeitung, 15.09.2007

Kann der Freistaat Georg Milbradt überleben?

Der Notschlächter - Wie der sächsische Ministerpräsident sein Land an eine westdeutsche Bank verkaufte
 
Als ihn der Ex-Freund vor fünf Jahren vom Thron stieß, schnaubte der Sachsenkönig: "Milbradt ist ein exzellenter Fachmann, aber ein miserabler Politiker."

Kurt Biedenkopf irrte. Georg Milbradt, der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, ist ein hervorragender Politiker, dem nicht mehr geholfen werden muss. "Uns traut man zu, die Zukunft gut zu gestalten", schrieb er schwarz auf weiß in der Einladung zum Landesparteitag seiner Christlich Demokratischen Union an diesem Wochenende in Mittweida. Da wird sich die erfahrene Blockpartei hinter ihren - das ist er auch - Vorsitzenden stellen müssen.

Die Zukunft ist sicher: die Notschlachtung seines liebsten Kindes, der Blitzverkauf der von ihm gegründeten Sächsischen Landesbank an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Milbradts Not ist es nicht, die ihn dazu trieb. Es ist vielmehr die komplette Exzellenz eines Fachmanns - fragt sich nur Exzellenz wofür? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland weiß es auch nicht: "Ein Notverkauf bleibt ein Notverkauf. Und sein Ruf als kluger und solider Finanzpolitiker hat erheblichen Schaden genommen", meinte sie, als Milbradt seinen Offenbarungseid als Erfolgsbericht in Sachen Landesbank leistete.

Zunächst zeigte sich auch sein Finanzminister Horst Metz noch übermütig: "Ich bin krisenfest und deswegen: In der Krise zeigt sich, wer es packt und wer zu neuen Ufern kommt." Metz ist da gewiss kompetent, er hat einst seine Doktorarbeit über das Wasserwesen geschrieben.

Ob es aber am Neckarufer bei der Landesbank Baden-Württemberg eine vernichtende Crashlandung gibt, wollte er schon nicht mehr sagen. "Ich werde nicht über mögliche Risiken spekulieren", teilte Metz kurzerhand mit und erklärte - ein unzulänglicher Ersatz für Milbradt - seinen Rücktritt als Finanzminister Ende September.

Im sächsischen Wasserwesen kennt sich Karl Nolle, der letzte Sozialdemokrat in der sächsischen SPD-Fraktion, besser aus - als Mitregierungspartei hat sie bei der gerade veröffentlichten FORSA-Umfrage acht Prozent errungen, ein Prozent weniger als die NPD. Nolle sagte schon vor Jahren: "Wenn Sie wissen wollen, wo die sächsische Staatskanzlei ist, dann gehen Sie immer den Bach runter."

Das galt noch unter Kurt Biedenkopf. Unter Georg Milbradt ist der Bach inzwischen auch noch ausgetrocknet. Doch der Ministerpräsident hat das wieder einmal nicht gemerkt: "Der Finanzminister und ich", meinte er, bevor der seinen Rücktritt erklärte, "haben das, was möglich war, erledigt und haben die Bank in den sicheren Hafen gebracht und haben drohende Verluste, die bei Nichttätigkeit gekommen wären, vermieden." Jetzt freilich drohen dem Land die Verluste durch Tätigkeit des Finanzfachmanns aus Westdeutschland.

Schon in seiner Dissertation hatte sich Milbradt 1972 mit dem Problem beschäftigt, das ihn heute herausfordert. "Ziele und Strategien des debt management" - der Bedienung von Schulden also - war sie überschrieben. Mit seinem - so der Untertitel - "Beitrag zur Theorie der optimalen Schuldenstruktur des Staates unter Einbeziehung der Notenbank" konnte Milbradt - das war dort kein Problem - an der Universität Münster zum Doktor promovieren. Damals wusste er noch, wie man in der Finanzwissenschaft mit Schulden umgeht, er schrieb etwa: "Bringt man nun diese Isokosten- und die Isonutzenkurve in einem Koordinatensystem zusammen, so kann man das Optimum bestimmen. Für den Fall, dass die Isonutzenkurve konvex ist, ist die Lösung ein Tangentialpunkt beziehungsweise im Extremfall ein Eckpunkt auf der Achse. Die Lösung ist auf jeden Fall eindeutig. Dasselbe gilt, wenn die konkave Isonutzenkurve nicht so stark gekrümmt ist wie die Isokostenkurve. Fallen die Kurven zusammen, so ist kein Optimum bestimmbar. Jeder Punkt auf der Kurve ist gleichwertig ... " (Seite 61)

Soweit ist alles klar.

Aber dann wird es kompliziert. Milbradt: "Es kommen also, je nach Annahme über die Isonutzenkurve unterschiedliche Lösungen heraus. Soweit Eckpunkte Lösungen sind, kann man dies als eine Bestätigung der ›bills-only-Politik‹ (wenn der Eckpunkt auf der Achse der kurzfristigen Schuld liegt) oder als Bestätigung der Simonslösung ansehen (im entgegengesetzten Fall)."

Ja, davon hängt alles ab.

Er musste nur aufpassen, dass er nicht aus der Kurve getragen wurde. Denn für die Führung der Staats- und Finanzgeschäfte reichte es offenbar nicht, wenn man zwar alles über Isokosten- und Isonutzenkurven und das Optimum ihrer Krümmung zu wissen glaubt, dabei aber gleich viermal den ganzen Staatshaushalt verspekulieren ließ.

Die Sächsische Landesbank ist schließlich Milbradts legitimes Kind. Er hat sie als westdeutscher Finanzfachmann und damals noch Sachsens Finanzminister unter Biedenkopf zur Welt gebracht - als einzige ostdeutsche Landesbank. Er war der Vorsitzende des Verwaltungsrats, des obersten Kontrollgremiums der öffentlich-rechtlichen Landesbank. Als Ministerpräsident musste er zu Gunsten seines Nachfolgers im Finanzministerium Horst Metz diese Funktion offiziell aufgeben, konnte aber die Kontrolle im Aufsichtsorgan der Landesbank immer noch über ihn und über Hermann Winkler, den Chef seiner Staatskanzlei, ausüben. Metz war als Wasserfachmann Laiendarsteller, und Winkler als Maschinenbauingenieur war es auch. Milbradt aber, dem die beiden verantwortlich sind, war der Fachmann. "Ich bin Ökonom", pflegt Milbradt gern und oft zu sagen, bittet man ihn um Begründungen für diese oder jene Entscheidung.

Und so ist es: 1982 wurde er Professor. Er errang - wieder in Münster - die Lehrbefugnis für Volkswirtschaft mit der Habilitationsschrift Probleme der Indexierung volkswirtschaftlicher Größen, einer - so der Untertitel - "Untersuchung der ökonomischen Wirkungen von Indexklauseln auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Kapitalmarkt und im staatlichen Bereich". Da wusste er viel über Risiken von Geldlagen, damals jedenfalls schrieb er: "Haben die Wirtschaftssubjekte nun das Bedürfnis, sich gegen Änderungen des Geldwerts zu schützen, so ist das naheliegende Mittel, statt einer Fixierung eines nominellen Geldbetrages die Geldsummen so mit dem Geldwert zu koppeln, dass sie zu jeder Zeit denselben vorher bestimmten Geldwert repräsentieren" (Seite 29).

Milbradt wusste schon immer Bescheid, jedenfalls schrieb er: "Sieht man von dem Sonderfall der Geldillusion (der falschen subjektiven Annahme eines konstanten Geldwertes) ab, so wird ein Wirtschaftssubjekt nur dann ein Geldwertrisiko übernehmen, wenn es durch gleichfalls ungesicherte entsprechende Gegengeschäfte (›hedging‹) das Risiko kompensieren kann oder eine entsprechende Risikoprämie erhält ..."

Den Sachsen bleibt also noch die Geldillusion, der Fachmann hat die Finanzen des Landes, das er übernommen hat, nur verzockt. Dass Dublin ein zweifelhafter Finanzplatz für hochspekulative Geschäfte ist, muss Milbradt gewusst haben.

Sein legitimes Kind, die Sächsische Landesbank, schwamm schon lange in den roten Zahlen. Dass sie dabei nicht ganz schnell absoff, verdankte sie ihren Zockereien in Dublin. Einige Zeit ging das gut wie bei manchem kleinen Mann in der Spielbank. Dass aber die drittrangigen US-Hypothekenkredite auf die Dauer keine Gewinne bringen konnten, musste jedem Finanzfachmann - sogar einem exzellenten - schon lange klar sein.

Laut Bericht der Bankenaufsicht wurde per 31. August 2004 ein Portfolio von 30,7 Milliarden. Euro gemanagt - das Doppelte des sächsischen Landeshaushalts. 2006 waren es 45 Milliarden, das Dreifache des sächsischen Landeshaushaltes.

Und zuletzt handelte es sich um mehr als das Vierfache - mit rund 65 Milliarden Euro.

Die Verluste kommen, wenn nicht ein Wunder geschieht - Milbradt ist katholisch -, schon bald auf den ostdeutschen Steuerzahler zu. Dafür hat die westdeutsche LBBW Vorsorge getragen. Eine Geheimklausel des Vertrags - sie ist bekannt geworden - diktiert dem Land mit der Heldenstadt Leipzig: "Die Haftung des Freistaates Sachsen und der Sachsen-Finanzgruppe als bisherige Anteilseigner der SachsenLB für bestehende Verbindlichkeiten der Sachsen LB bleibt unberührt." Mit diesem ganz legalen Gaunerstückchen hat sich die Westbank ihr lang ersehntes Sprungbrett nach Ost- und Südosteuropa geschaffen.

Jetzt braucht das Land wieder Helden. Denn auch wenn - wie vorgesehen - im Jahr 2011 die Landesbank Baden-Württemberg die sächsischen Steuerzahler aus dieser Verantwortung entlässt - was in Dublin verzockt wurde, bleibt laut Vertrag dauerhaft von einer Haftungsübernahme durch die LBBW ausgeschlossen. Vorrangig gilt das für die von der SachsenLB ausgegebenen Papiere mit gebündelten US-Hypothekenkrediten.

Für diese Verluste haften die sächsischen Steuerzahler uneingeschränkt. Dennoch kann Finanzfachmann Milbradt zufrieden sein, denn sein Wasserfachmann Horst Metz meinte, als er gerade noch Finanzminister war: "Bildlich gesprochen haben wir also die Sachsen LB sozusagen in einen sicheren Hafen eingefahren, zu hoffen bleibt nun, ob dieses Schiff auch ohne Schwierigkeiten ab dem 01. 01. 2008 an der Kaimauer festmachen kann."

Was immer Kurt Biedenkopf über seinen Ex-Freund sagte - Georg Milbradt war der folgerichtige Nachfolger des aus Westdeutschland importierten Sachsenkönigs, von dem kaum einer wusste, wer er wirklich war. Doch das ist - demnächst - ein Kapitel für sich.
von Otto Köhler

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