DNN/LVZ, 13.10.2007
Kurt und Franz spalten die SPD
SPD-Genossen an der Basis missfällt Berliner Machtkampf um Hartz-IV-Reformen
Leipzig/Dresden. Im Ratskeller zu Leipzig herrscht gedämpftes Licht, das traditionsreiche Gewölbe unter dem Neuen Rathaus ist zum Donnerstagabend nur spärlich gefüllt. Nach und nach finden etwa 30 Genossen den Weg in die alten Gemäuer. Der SPD-Ortsverein Mitte hat zur Versammlung geladen – es ist der größte Ortsverein der Sozialdemokraten in Ostdeutschland. Doch an der Wiege der Sozialdemokratie scheint es etwas einsam zu sein.
Auf dem Programm steht eine Diskussion zum Verkauf der Stadtwerke. Schnell gehen die Gespräche jedoch auch nach Berlin, zu Kurt und Franz, zum Krach zwischen Beck und Müntefering über die Agenda 2010 und die Verlängerung der Bezüge für ältere Arbeitslose. Eine Debatte, die der Parteichef aus Mainz Anfang Oktober losgetreten hat, und die der Hamburger Parteitag in zwei Wochen wieder einfangen muss, soll es nicht zum offenen Zerwürfnis in der Parteiführung kommen. Ein Machtkampf, der manchen an der Basis missfällt.
„Der Streit bewegt uns“, sagt Ingrid Glöckner. „Aber muss er auf diese Weise geführt werden?“ Statt auf offener Bühne sollten der Parteivorsitzende und der Vize-Kanzler ihren Konflikt lieber intern austragen, meint die Vize-Chefin der Stadtratsfraktion. Doch sie kann sich selbst nicht ganz entscheiden, für wen sie dabei sein soll. „Sehr gespalten“ sei sie in der Frage, erzählt die 55-jährige Bauingenieurin. Natürlich sollten Leute, die lange gearbeitet haben, auch länger Arbeitslosengeld bekommen. Doch wichtiger bleibe es, dass es wieder mehr Jobs gibt, pflichtet sie Müntefering bei.
Eine Mehrheit der gut 4600 Genossen in der sächsischen SPD ist allerdings näher bei ihrem Vorsitzenden als beim Arbeitsminister. Klaus Wallat zum Beispiel, 59, Anwalt in Leipzig und einfaches Parteimitglied. „Viele Hartz-IV-Reformen habe ich immer für falsch gehalten. Deshalb bin ich froh, dass jetzt über Änderungen diskutiert wird“, sagt er. Menschen, die jahrelang in Sozialkassen eingezahlt haben, könne man nicht einfach ihr Erspartes nehmen. „Eine Lebensleistung muss man achten. Das ist kein Linksruck“, sagt Wallat, „das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.“
Damit steht er nicht allein. Auch Unterbezirkschef Gernot Borriss will, dass die SPD wieder mehr soziale Zeichen setzt. „Wir sind nicht nur eine Partei der Wirtschaftsforscher“, sagt Borriss. Hinter solchen Überlegungen steckt freilich auch das Kalkül, sich aus dem bundesweiten Umfragekeller von 24 Prozent herauszuarbeiten. „Wir können uns ja nicht darauf beschränken, die Leute zu verschrecken“, sagt ein anderer.
Doch bei aller Sympathie für ihren Pfälzer Vorsitzenden scheuen die Genossen zugleich die offene Abkehr vom Schröderschen Agenda-Kurs. „Der Grundsatz vom Fördern und Fordern darf nicht aufgeweicht werden“, sagt Rathaus-Fraktionschef Axel Dyck. „Wenn wir jetzt die Tür öffnen und immer neue Forderungen erheben, droht der Agenda der Todesstoß.“ Und auch Ortsvereinschef Michael Clobes, der viel Sympathie für Beck hegt, warnt: „Wir dürfen in Zeiten des Aufschwungs nicht anfangen, das Füllhorn auszuschütten.“
Das sieht der Fraktionschef im Landtag, Martin Dulig, allerdings ein wenig anders. Sachsens SPD wolle nicht nur für ältere Arbeitslosen etwas tun, sondern auch die Kinderarmut zurückdrängen. So müsse es künftig „anlassbezogene Leistungen“ für Hartz-IV-Empfänger, etwa zur Einschulung der Kinder, geben, um „eine tatsächliche Lehrmittelfreiheit“ zu erreichen, kündigte der Vater von sechs Kindern gestern an. Ziel der SPD sei es, dass alle Kinder „einmal täglich eine warme und gesunde Mahlzeit bekommen“. Mehr als ein Viertel aller Kinder bis 15 Jahre sei von Sozialleistungen abhängig. „Das“, so Dulig, „können wir nicht akzeptieren.“
Der Fraktionschef rechnet damit, dass Beck auf dem Hamburger Parteitag große Unterstützung bekommt. Besonders aus dem Osten, wo Arbeitsplätze für Ältere oftmals nicht mehr zu finden sind. „Das ist ein Anerkennen der Realität“, sagt Dulig, „und keine Rolle rückwärts“. Becks Vorstoß bedeute „eine Befreiung aus der Klammer 2010“. Und eine Öffnung, die die gefühlte Ungerechtigkeit und das schlechte Gewissen vieler Genossen an der Basis beruhigt.
von Sven Heitkamp