Karl Nolle, MdL

Capital 24/2007, Seite 137, 08.11.2007

Sächsisches Roulette

Für die Sachsen LB drehte Investmentbanker Claus Wilsing ein Milliardenrad. Er jonglierte mit Briefkastenfirmen, kassierte nebenbei Millionen und hinterließ ein Fiasko. Jetzt büßt der Freistaat Sachsen für Verluste in unbekannter Höhe.
 
Für die Sachsen LB drehte Investmentbanker Claus Wilsing ein Milliardenrad. Er jonglierte mit Briefkastenfirmen, kassierte nebenbei Millionen und hinterließ ein Fiasko. Jetzt büßt der Freistaat Sachsen für Verluste in unbekannter Höhe.
Seine erste stattliche Visitenkarte der Frankfurter DGZ-Bank trug Caus Wilsing mit Stolz. „Vice President" stand darauf. Das klang für den Jura-Absolventen von der Uni Bonn fantastisch. Doch bald merkte er: Der Titel bedeutet in der Bankenwelt nicht viel. Seine große Chance sah der Jungbanker in seinem nächsten Job: Ab 1999, mit erst 33 Jahren, durfte er für die SachsenLB in Dublin ein Tochterinstitut aufbauen– die Sachsen LB Europe. Kapitalmarktgeschäfte sollte er anstoßen, Bonds platzieren, ins Refinanzierungsgeschäft einsteigen: alles offshore am irischen Finanzplatz, wo die Steuern niedrig und die Regeln lasch waren.

Ende 2005 wechselte Wilsing plötzlich zur Düsseldorfer Ärzte- und Apothekerbank –und hinterließ ein verhängnisvolles Erbe. Das dicke Ende erlebten die Sachsen diesen Sommer im Zuge der US -Hypothekenkreditkrise. Durch die Dublin-Deals steht die SachsenLB vor einem Fiasko von historischem Ausmaß. Im August mussten Sparkassen und Landesbanken über Nacht in einer Notoperation 17,3 Milliarden Euro als Kreditlinie bereitstellen, um für verbriefte US-Hypothekenkredite geradezustehen, für die es plötzlich keine Käufer mehr gibt. Die Höhe der Liquiditätsspritze stellt alles in den Schatten, was die Bankenwelt in den vergangenen Jahrzehnten erlebte.

Nun sind gewaltige Abschreibungen fällig. Mehr als 30 Milliarden Euro wurden in teilweise unverkäufliche Anlagen investiert. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sagte zu, das marode Institut zum Jahresende zu übernehmen. Erst dann, zum Bilanzstichtag am 31. Dezember, wird sich zeigen, wie hoch die Verluste tatsächlich sind – die die LBBW allerdings nicht mit übernimmt. Eine Grundlagenvereinbarung befreit die Stuttgarter ausdrücklich von dieser Last. Was ist passiert? Der smarte Wilsing, der in Frankreich und Spanien aufwuchs, lockte vor sechs Jahren seinen irischen Kollegen Adrian Fitzgibbon, den er aus Frankfurt von der DGZ kannte, nach Dublin. Bald hatte das Duo ein schlagkräftiges Team beisammen. Das Refinanzierungsgeschäft mit forderungsbesicherten Wertpapieren, in Fachkreisen als Asset Backed Securities (ABS) oder Mortgage Backed Securities (MBS) bekannt, wurde ihre Spezialität.

Dabei schnüren Investmentbanken mal 10 000, mal 50 000 Hypothekarverträge unterschiedlicher Herkunft und Qualität zu einem Paket und erfassen ihre Werte, Fälligkeiten und Ausfallwahrscheinlichkeiten in einem dicken Buch. Diese Pakete mit langen Laufzeiten, die schon eine Ratingnote haben, kaufen andere Banken wie beispielsweise die SachsenLB als Sicherheit, um Anleihen mit kurzfristigen Fälligkeitsterminen, sogenannte Comnmercial Papers (CPs), zu platzieren, die der eigenen Refinanzierung dienen. Um die Pakete mit den langen Laufzeiten zu finanzieren, nehmen sie kurzfristige Kredite auf. Aus den Zinsdifferenzen erzielen sie Gewinne. Es sind komplexe Deals, deren Organigramme so verwirrend aussehen wie der Rohrleitungsplan der Queen Mary.

Die Banker beauftragen nun wiederum Ratingagenturen, um die CPs summarisch zu bewerten. Beim Weiterverkauf der CPs ist die Bonität der Banken wichtiger als der Inhalt der Pakete: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Zahlungsverpflichtungen aus dem Handel mit diesen Papieren erfüllen? Wer die Bestnote erreicht, hat das Spiel gewonnen. Soweit das kleine Einmaleins.
In dieses Spiel stieg Wilsing groß ein. Aber der Jungbanker musste eine erste Hürde überwinden: Das irische Tochterinstitut war mit knapp 200 Millionen Euro Eigenkapital zu schlecht für die großen Deals ausgestattet. Der Dreh: Der Vorstand in Leipzig, ausgestattet mit einer Staatsgarantie, gab eine „harte Patronatserklärung" ab. Seitdem übernimmt die SachsenLB „die uneingeschränkte Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass die SachsenLB Europe in der Weise geleitet und finanziell ausgestattet wird, das sie stets in der Lage ist, allen ihren Verbindlichkeiten fristgerecht nachzukommen." Ein Persilschein für ein Rating mit drei A. „Insbesondere wegen der Unterstützung der SachsenLB" erteilte Standard & Poor's die Bestnote für die CP-Programme, vor allem weil die Landesbank als „Liquiditäts-Beschaffer" bereitstand.

Banker Claus Wilsing trieb das Dubliner Geschäft der Sachsen LB in schwindelerregende Höhen — ohne ausreichendes Eigenkapital, aber mit dem Freistaat Sachsen als Garant.

Wilsings zweite Hürde: Die SachsenLB Europe konnte die milliardenschweren Deals nicht über ihre Bücher laufen lassen, weil diese dann in ihrer Bilanz aufgetaucht wären. Doch dazu war auch ihr Eigenkapital viel zu gering.
Der Trick: Bankenjuristen gründeten im Februar 2003 die Aktiengesellschaft Georges Quay Funding, eine Briefkastenfirma, und taten so, als habe diese nichts mit der SachsenLB zu tun. Ein Treuhänder hielt die Aktien über den Georges Quay Funding Charitable Trust und schob „gemeinnützige Zwecke" vor. Es war nichts anderes als ein Bluff, um die Bilanzregeln zu umgehen.

Nach diesen Vorbereitungen konnten Wilsing und Kollegen zur Tat schreiten. Nur ein halbes Jahr später hatten sie schon Wertpapiere für drei Milliarden Euro im Depot. Im März 2004 gründete das Team nach gleichem Muster die Filmen Ormond Quay, Ellis Quay, Merchants Quay und Eden Quay, benannt nach Dubliner Straßen und geführt von Treuhändern — angeblich gemeinnützig. Für die guten Zwecke war allerdings kein Geld da. Dividenden gab es auch nicht. Nur Erträge für die Dubliner Sachsen LB-Tochter.

„Wir sind profitabel, die Risikovorsorge ist ausreichend", sagte ein Sprecher der Landesbank im Januar 2005. Damals hatte Georges Quay fünf Milliarden Euro in den Büchern und Ormond Quay drei Milliarden. Ellis und Eden Quay übten noch mit zusammen 1,75 Milliarden.

In Wahrheit haftete die SachsenLB Europe mit Verträgen für die Geschäfte. Deren Inhalt will die Landesbank nicht erklären und verweist auf „Persönlichkeitsrechte, Bankgeheimnis und Vertraulichkeitsvereinbarungen". In den Ratingberichten von Standard Er Poor's sind die Verträge mit folgenreichen Haftungsklauseln erwähnt, in den Bilanzen der Quay-Firmen werden sie aber verschwiegen. „Keine Beziehungen zu nahestehenden Personen oder Unternehmen", heißt es dort - eine klare Regelverletzung.

Das Schwungrad drehte sich immer schneller. Das Irland-Team musste permanent fällig gestellte CPs zurücknehmen und sich durch den Verkauf neuer CPs refinanzieren. Grund: Die Papiere mussten — laut Bilanzen der Quay-Firmen — im Durchschnitt binnen 73 Tagen „gerollt" werden. Im April 2005 gab es erstmals Schwierigkeiten. Die Prüfer von KPMG lieferten einen kritischen Sonderbericht über Georges Quay: Der Verwaltungsrat habe „keinen Gesamtüberblick über die Geschäftsvolumina und die Summe der bestehenden Erstverlustrisiken". Ein dramatisches Urteil: Über Geschäfte dieser Größe müssen Kreditauschüsse, Vorstände und Aufseher unterrichtet sein.

Beim Drehen am Riesenrad hatte das Team Wilsing schon frühzeitig ein Problemchen in eigener Sache entdeckt: In Dublin kassierten viele Investmentbanker Millionensaläre — sie aber nicht. Also gründeten sie im Dezember 2003 zu viert eine eigene Vermögensverwaltungsfirma, die AC Capital Partners, die fortan für die Sachsen und andere Kunden die Deals organisieren sollte. 70 Prozent der Aktien zeichneten Wilsing und Fitzgibbon, den Rest teilten sich zwei ihrer Kollegen. Ein Jahr später, als sich der Millionensegen ankündigte, gründeten sie in Zypern die Briefkastenfirma Passmore Holding, um künftig die Aktien an der AC Capital zu halten. Die Passmore gehörte wiederum weiteren Zypern-Firmen wie der Seabright, der Ludlow oder der Longbridge, die schließlich verdeckt ihre Dividendenerträge in ihre Konten schleusten. Ihre Chefs in Leipzig wussten davon, sagen die Beteiligten heute. Ein „Incentive" für die Manager, murmelt ein Bankensprecher. Die Sachsen LB Europe stellte sogar 400 Millionen Euro Startgeld für die private Firma ihrer Angestellten bereit. Wussten die Sachsen auch, wie viel das Quartett kassierte? Solche Fragen werden in Leipzig nicht beantwortet.

Die Bilanz der Dubliner Firma Ormond Ouay verschweigt den bedeutenden wirtschaftlichen Einfluss der Sachsen LB Europe: „Keine Transaktionen mit verbundenen Unternehmen." Ein klarer Regelverstoß. (Bilanz Punkt 13. Related party transaction: there were no related party transactions during the year under review)

Laut Capital vorliegenden Bilanzen entwickelte sich das Geschäft der AC Capital jedenfalls prächtig. 2005 wurden neun Millionen Euro an Dividenden ausgezahlt, ein Jahr später waren schon 16 Millionen reserviert. Wilsings Geschäfte in der AC Capital verliefen so gut, dass er im Herbst 2005 die Ärzte- und Apothekerbank begeistern konnte, sich mit 51 Prozent an der AC Capital zu beteiligen. Der Banker quittierte seinen Dienst in Dublin Ende 2005. Er wechselte zur Ärzte- und Apothekerbank und gönnte sich ein neues Domizil im Wiesbadener Nerotal, einem der schönsten Quartiere Deutschlands. Bald ging auch Fitzgibbon. Im März 2006 hatten die Quay-Firmen 21,45 Milliarden Euro in den Depots. Der LB – Chef jubelte: „Dublin ist ein Glücksgriff." Wilsings Nachfolger gaben dem Milliardenrad schließlich einen Drall wie einer Zentrifuge. Über 30 Milliarden Euro zum Teil unverkäuflicher Wertpapiere haben sie diesen Sommer hinterlassen. Derzeit finden drei Viertel aller Papiere keine Käufer.

Die fälligen Wertschriften werden seit August von den Sparkassen und Landesbanken mit Hilfe des Notfallkredits vorläufig aufgekauft. Doch die Dubliner Firmen werden ihren Rettern die Schuld zurückzahlen müssen. Diese Bürde bleibt den Bürgern Sachsens erhalten.

Karl Nolle im Webseitentest
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