Berliner Zeitung, 13.11.2007
Neuer Aktenskandal in Sachsen
Verdächtiger Richter durfte geheime Unterlagen einsehen
BERLIN. Wegen der Weitergabe streng geheimer Ermittlungsakten, die im Zusammenhang mit der sächsischen Korruptionsaffäre stehen, ermittelt jetzt die Dresdner Staatsanwaltschaft. Vergangene Woche waren Teile der streng geheim eingestuften Unterlagen an die Öffentlichkeit gelangt.
Die Akten sollen insgesamt zwölf laufende Ermittlungsverfahren betreffen. Diese waren eingeleitet worden, nachdem im vergangenen Mai Erkenntnisse des sächsischen Verfassungsschutzes über das Wirken krimineller Netzwerke aus Kommunalpolitikern, Richtern und Staatsanwälten im Freistaat bekannt wurden. Die Verfahren sind alle als gesperrt eingestuft, das heißt, dass nur die vier damit befassten Sonderstaatsanwälte Zugriff auf die Akten haben dürfen.
Aus einem vergangene Woche erstellten Vermerk für den sächsischen Generalstaatsanwalt geht nach Informationen der Berliner Zeitung jedoch hervor, dass auch einer der Hauptbeschuldigten in den Verfahren, ein früherer Leipziger Staatsanwalt und heutiger Gerichtspräsident, Einblick in die Ermittlungsakten erhalten hatte. Laut diesem Vermerk sollen dem Mann bei einer Zeugenvernehmung am 31. Juli Verfassungsschutzunterlagen vorgelegt worden sein, die ihn betreffen. Am 26. September soll darüber hinaus sein Sohn, ein Kölner Anwalt, weitere Aktenbestände aus insgesamt zwölf Verfahren in Dresden gesichtet haben. Nach der Einsicht habe der Anwalt Teile dieser Akten - offenbar in Kopie - mit nach Köln nehmen dürfen.
Die Dresdner Landtagsfraktion der Linken kündigte gestern eine Strafanzeige wegen Verdachts auf Verletzung von Dienstgeheimnissen unter anderem gegen Ex-Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm an. Fraktionschef André Hahn sagte, die mehrfach erhobene Forderung, die Ermittlungen außerhalb von Sachsen zu führen, erweise sich einmal mehr als berechtigt. Scharf kritisierte die Linke auch die "Totalblockade" des Untersuchungsausschusses, dem Unterlagen zur Korruptionsaffäre vorenthalten werden. Hahn sprach von einer "in Deutschland einmaligen Brüskierung des Parlaments".
Auch in der Koalitionsfraktion SPD regt sich Kritik.
Karl Nolle, SPD-Obmann im Ausschuss, sieht gar einen "politischen Sumpf" am Werke. "Wenn es um die Mächtigen im Lande geht, funktionieren Teile der Justiz offensichtlich wie institutionalisierte Strafvereitelungsbehörden einer Parteijustiz", sagte Nolle in Dresden und forderte seine Partei auf, das nicht hinzunehmen: "Eine Koalition ist keine Verabredung zum vorsätzlichen Rechtsbruch", so Nolle.
Das Bekanntwerden der Aktenweitergabe ist ein herber Rückschlag für das Bemühen der CDU-geführten Staatsregierung, die Aussagekraft der Verfassungsschutzunterlagen und damit die Dimension der Korruptionsaffäre herunterzuspielen. Erst letzte Woche hatte die CDU in einer Landtagsdebatte ihren Vorwurf an die Linken erneuert, die Affäre hätten deren "frühere SED-Kader nur erfunden".