Karl Nolle, MdL

SPIEGEL ONLINE - 26. November 2007, 18:09, 26.11.2007

PROBLEM-SCHULDNER: Finanzaufsicht warnt vor Kreditkrise in Deutschland

 
Banker reden die Kreditrisiken in Europa bisher klein - doch jetzt warnt die Finanzaufsicht: Auch deutschen Instituten drohen große Ausfälle bei Verbraucherkrediten. Wirtschaftsminister Glos erklärt düster: Keiner wisse, welche Folgen die Krise noch haben werde.

Hamburg - Der Analyst Dieter Hein muss seine Meinung revidieren. Im Sommer, als die Hypothekenkrise in den USA erstmals Schlagzeilen machte, sagte er, die verlustreichen Geschäfte mit Immobilienkrediten an finanzschwache Hausbauer würden die Erträge der Banken nicht wirklich beeinflussen.

"Das kann ich heute so nicht mehr behaupten", sagt der Experte von der bankenunabhängigen Frankfurter Gesellschaft Fairesearch jetzt zu SPIEGEL ONLINE. Anlass für seinen Meinungswandel: die Mitteilung des Versicherungsriesen Swiss Re am vergangenen Montag, wegen der Finanzkrise rund 1,2 Milliarden Franken (734 Millionen Euro) abzuschreiben. Hein: "Wenn der weltgrößte Rückversicherer nicht mehr weiß, welche Risiken er eingegangen ist - welche Risiken haben sich dann wohl noch andere große Banken eingekauft, ohne es zu wissen?"

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) warnt inzwischen ganz offen davor, dass die Schwierigkeiten am Finanzmarkt noch nicht ausgestanden sind: Die Jahresbilanzen der deutschen Banken würden eine "hoch spannende Angelegenheit", sagte er heute. Niemand könne sagen, welche Folgen die Krise noch haben werde: "Die dunklen Wolken sind noch lange nicht verzogen."

Sanio warnt vor Problemkrediten in Deutschland

Zumal es sich offensichtlich nicht nur um ein US-Problem handelt: Auch in Deutschland drohen jetzt Ausfälle bei Verbraucherkrediten, sagte heute Jochen Sanio, Präsident der deutschen Finanzaufsicht Bafin. Seit der Jahrtausendwende seien verstärkt Ratenkredite vergeben worden. In letzter Zeit hätten die Kreditinstitute schon vereinzelt Abschreibungen vornehmen müssen - und es sei noch mit größeren Belastungen zu rechnen.

Offensichtlich hätten sich zu viele deutsche Verbraucher "von den Kampfkonditionen der Konsumentenkreditanbieter einfangen lassen", sagte Sanio auf dem Bayerischen Finanzgipfel in München. Wenn es deshalb jetzt zu deutlichen Belastungen für die Banken kommt, hätten die hiesigen Banken ihre eigene Kreditkrise - statt der bisherigen über weiterverkaufte Risiken wie bei den US-Hypotheken.

Das "eigentlich böse Erwachen" werde erst kommen, wenn der derzeitige Wirtschaftsaufschwung an Kraft verliert, sagte Sanio. Die internationalen Aufseher müssten jetzt intensiv diskutieren, welche Lehren aus der Subprime-Krise zu ziehen seien. Die jüngsten Schieflagen in der Bankenlandschaft hätten gezeigt, was passiere, wenn man sich in internationalen Risiken verirre, die sich aus Deutschland nur schwer beurteilen ließen. "Unwissenheit kann nur in geschäftlichem Misserfolg enden." Wenn sich deutsche Finanzdienstleister jenseits der Grenzen auf Abenteuer einließen, stelle das die Aufseher vor ganz neue Probleme.

Erst die Krise kleinreden - dann große Fehler zugeben

Tatsächlich haben die vergangenen Monate gezeigt, wie schlecht das Krisenmanagement von Banken und Aufsicht funktioniert. Ob Citigroup und Merrill Lynch in den USA, ob kleinere Banken wie die Sachsen LB und die IKB in Deutschland: Alle haben zunächst den Schaden kleingeredet - und kurze Zeit später Abschreibungen bekanntgegeben, die um ein Vielfaches höher lagen als die ersten Angaben.

Merrill-Lynch-Chefstratege Richard Bernstein sagte noch im Juli: "Die vorhergesagte Geschwindigkeit, mit der sich diese Probleme auf die allgemeine Wirtschaft ausweiten, erscheinen reichlich übertrieben." Bernstein konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass sein Chef Stanley O'Neal gut vier Monate später gefeuert würde - wegen Milliardenverlusten im Zuge der Kreditkrise.

Analyst Hein ist sich heute sicher: "Es ist nicht absehbar, welches Ausmaß die Krise haben wird. Fakt ist, dass viele Banken, selbst größere Institute, ihr Risiko nicht korrekt einschätzen können." Seiner Meinung nach liegt die Ursache für die Krise im Geschäft mit sogenannten Derivaten, in denen Banken jahrelang die Risiken von Kreditgeschäften bündelten und an eine Vielzahl von Anlegern weiterreichten. Ein weiterer Grund sei die Verflechtung von Geschäfts- und Investmentbanken. Man müsste diese zwei Formen von Banken konsequenterweise trennen und für das Geschäft mit Derivaten strengere Regeln schaffen, fordert Hein.

Banken glauben ihren eigenen Beteuerungen nicht

Das "Wall Street Journal" befragte mehrere Analysten zum Thema - sie sehen als weitere Krisenursache die Tatsache, dass Banken derzeit Geld horten: als Versicherung gegen mögliche Verluste durch sogenannte Subprime-Kredite. Banken hätten inzwischen die Sorge, verliehenes Geld nicht zurückzubekommen. "Es gibt eine echte Angst vor Bankenpleiten", sagte Tim Bond, Stratege bei Barclay Capital, der Zeitung - das sei im August noch anders gewesen.

Die Banken misstrauen ganz offensichtlich ihren eigenen Beteuerungen, denen zufolge es sich um kein existentielles Problem handelt. Denn ihre Bereitschaft, sich gegenseitig Geld zu leihen und damit für Liquidität zu sorgen, ist nach wie vor niedrig. Der Zinssatz für kurzzeitige Kredite unter Banken, der sogenannte Libor, steigt stark an. Rolf Friedhofen, Vorstand der HypoVereinsbank , sagte heute, die Kreditkrise habe zu einer Vertrauenskrise zwischen den Banken geführt.

Die Europäische Zentralbank sowie die US-Notenbank Federal Reserve kündigen weitere milliardenschwere Finanzspritzen an, um ein Austrocknen des Geldmarktes zu verhindern. Die Fed will ab Mittwoch bis zum 10. Januar acht Milliarden Dollar zur Verfügung stellen. Umfang und Dauer weiterer Aktionen hingen von den Entwicklungen an den Geldmärkten ab, teilte sie mit. Auch die kanadische Notenbank kündigte eine Unterstützung mit drei Milliarden Dollar an.

Auch die Banken selbst arbeiten mit Milliardensummen daran, ihre Schwierigkeiten zu lösen. Die größte europäische Bank HSBC kündigte heute an, ihre beiden Zweckgesellschaften wegen anhaltender Finanzierungslücken mit rund 35 Milliarden Dollar bis August 2008 zu stützen. Das britische Geldhaus sprach von einem vertrauensbildenden Schritt zur Stärkung des gesamten Sektors, der massiv unter der Situation am US-Hypothekenmarkt leidet. Spürbare Folgen für die Geschäftsergebnisse seien aber nicht zu erwarten - schließlich bleibt das Verlustrisiko weiter bei den Endanlegern.
Von Hasnain Kazim

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