SPIEGEL 49/2007, Seite 66, 02.12.2007
FINANZKRISE: Banken auf der Bremse
Die verheerenden Auswirkungen der US-Hypothekenkrise treffen nun auch das Herz der deutschen Wirtschaft: den Mittelstand.
Die Turbulenzen auf den Geldmärkten zwingen die Hausbanken zu verschärften Kreditkonditionen - und zur Einstellung umstrittener Kapitalbeschaffungsprogramme.
Alle zwei Jahre lädt der schwäbische Maschinenbauer Trumpf seine Kunden zur Intech. Auf dieser hausinternen Messe präsentiert das Unternehmen sein gesamtes Sortiment: Maschinen, Laser, Software, Dienstleistungen.
In der vergangenen Woche war es wieder so weit. Im Vorführzentrum liefen die Laserschneider auf Hochtouren, in Vorträgen erfuhren die Besucher alle Details über die Produktionsprozesse und die neuen Möglichkeiten der Blechbearbeitung. An nur fünf Tagen besuchten Trumpf etwa 1.400 Firmen aus 16 Ländern, die meisten von ihnen sind langjährige Kunden, mehr als die Hälfte kommt aus Deutschland.
Eigentlich hätte die Stimmung hervorragend sein müssen. Die Wirtschaft wächst so kräftig wie seit Jahren nicht mehr, der Maschinenbau verbucht bereits das vierte Aufschwungjahr in Folge. Die Unternehmen sind gut ausgelastet, und sie wollen gern investieren.
Und doch lag ein Schatten über der Intech und trübte die Stimmung des Veranstalters und seiner Besucher: Die amerikanische Hypothekenkrise und ihre Folgen hatten die schwäbische Provinz erreicht.
Denn viele Kunden des Ditzinger Traditionsbetriebs würden nur zu gern neue Maschinen kaufen, wenn, ja wenn ihre Hausbank mitspielen würde. Doch das ist häufig nicht mehr der Fall. Selbst langjährige Kunden mit glänzenden Bilanzen werden von ihrer Bank plötzlich wie unsichere Kantonisten behandelt. Ganz nach dem Motto: Jeder Kredit, der nicht gewährt wird, ist ein Risiko weniger.
"Die Finanzkrise dauert nun schon so lange, dass sie die Bereitschaft und Fähigkeit der Banken beeinträchtigt, Kredite an die Wirtschaft zu vergeben", warnt Joachim Fels, Leiter Anleihestrategie von Morgan Stanley im Internet-Forum "Markt und Mittelstand".
Bereits vor drei Wochen schockte Jan Hatzius, Chefvolkswirt der US-Investmentbank Goldman Sachs, die Welt mit einem regelrechten Horrorszenario. Weil die Banken im Hypothekengeschäft bis zu 400 Milliarden Dollar verlieren, könnten sie gezwungen sein, ihre Kredite um bis zu zwei Billionen Dollar zu kürzen. "Es ist leicht zu sehen, dass ein solcher Schock eine Rezession oder eine längere Phase mit sehr schwachem Wachstum auslösen kann", schrieb Hatzius.
Mit dieser Befürchtung steht er nicht allein da. "Die Kreditklemme ist eine ernstzunehmende Gefahr", sagt Michael Heise,Chefökonom des Finanzgiganten Allianz und der Dresdner Bank. Sie werde umso größer, je länger die Bewertungsunsicherheiten und Liquiditätsengpässe anhielten.
Und das betrifft vor allem auch die deutschen Finanzinstitute. Sie pumpten Milliarden in riskante Hochzinsprodukte, mit denen US-Banken ihre Ramsch-Hypotheken kunstvoll verpackt weiterreichten - und so das Finanzsystem weltweit infizierten.
Jetzt weiß niemand mehr so genau, wie viel die explosiven Kreditpakete noch wert sind und wie viele Milliarden noch abgeschrieben werden müssen. Beinahe jede Woche offenbart ein Finanzinstitut neue Wertberichtigungen oder muss die Milliardenrisiken auf die eigenen Bücher nehmen, die vorher außerhalb der Bilanz versteckt waren. Für die Rettung der Deutschen Industriebank IKB muss der Steuerzahler mit immer gewaltigeren Summen herhalten.
Weil keine weiß, wie infiziert die andere ist, trauen sich die Banken gegenseitig nicht mehr. Und so leihen sie sich untereinander nur noch ungern Geld. So muss die Liquidität immer wieder bei der Europäischen Zentralbank (EZB) beschafft werden - fast zu jedem Preis, weil sonst besonders über Weihnachten leere Kassen drohen.
Vergangenen Donnerstag war die Lage offenbar besonders ernst. Nach einer Auktion pumpte die EZB für drei Monate 50 Milliarden Euro in den Markt. Zuvor hatten rund 180 Banken Gebote für über 130 Milliarden Euro abgegeben. Im Schnitt waren die Banken bereit, dafür einen Zins von 4,7 Prozent zu zahlen - größer war der Abstand zum EZB-Leitzins noch nie.
Misstrauen, teures Frischgeld und Wertberichtigungen sorgen in den Kreditabteilungen der Banken zusehends für eine Geiz-ist-geil-Stimmung. So gab etwa die HSH Nordbank, größter Schiffsfinanzierer der Welt, bekannt, im letzten Quartal die Kreditschleusen zu schließen. "Alte Zusagen werden abgearbeitet", teilte der Vorstandsvorsitzende Hans Berger der staunenden Presse mit, "völliges Neugeschäft behandeln wir jedoch deutlich restriktiver."
Für Ökonom Heise passt das ins Bild. "Der jahrelange Kreditboom in der Euro-Zone dürfte allmählich auslaufen", sagt er, und die Kreditkonditionen würden als Folge der Subprime-Krise teurer. "Aufgrund des harten Wettbewerbs zwischen den Banken war das Risiko zu tief bepreist. Da wird jetzt korrigiert." Das bestätigte bereits eine Oktober-Umfrage der Bundesbank im Unternehmerlager.
Der Kranhersteller Kühnezug aus Schuby in Schleswig-Holstein bekam diesen Klimawandel bereits zu spüren. Der kleine Betrieb mit rund 50 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zwölf Millionen Euro beliefert große Konzerne wie Siemens oder Thyssen-Krupp. Schon als der Senior-Geschäftsführer Manfred Böttcher im vergangenen Jahr geschäftlich in die USA reiste und die vielen "For sale"-Schilder an den Häusern hängen sah, ahnte er die kommende Schieflage. Doch er glaubte, das Problem beschränke sich auf Amerika. "Niemand hat doch damit gerechnet, dass die deutschen Banken in diesem Spielcasino kräftig mitmischen", sagt Böttcher.
Jetzt weiß er es besser. Seit Ausbruch der Krise bekommt er im Wochentakt Post oder Anrufe von seiner Hausbank, der Deutschen Bank, die wegen ihres Hypotheken-Engagements in den USA 2,2 Milliarden Euro abgeschrieben hat. Neuerdings verlangt die Bank wöchentlich akribische Aufstellungen seiner Bilanzen, zuletzt mit dem Hinweis, er möge seine bis 2010 laufenden Kreditlinien nach Möglichkeit schon eher bedienen. Und über neue Kredite solle er erst gar nicht nachdenken - trotz eines ausgebuchten Jahres 2008.
Sogar Branchengrößen wie der Friedrichshafener Automobilzulieferer ZF spüren die Veränderungen. Zwar ist das Unternehmen, das weltweit rund 60 000 Menschen beschäftigt und rund 13 Milliarden Euro Umsatz macht, selbst nicht auf Kredite angewiesen. Es verfügt über eine Nettoliquidität von rund einer Milliarde Euro. Doch muss ZF mit diesem Geld nun wiederholt seinen Lieferanten unter die Arme greifen. "Die haben jetzt oft Probleme, Geld bei den Banken zu bekommen, besonders bei schlechtem Rating", sagt ZF-Finanzvorstand Willi Berchtold. Damit die Lieferanten nicht ausfallen, muss ihnen ZF immer häufiger sogenannte Anlaufdarlehen geben, mit denen ZF-Geschäftspartner ihre Produktion vorfinanzieren.
Dabei ist die Industrie von den verschärften Bedingungen nur bedingt betroffen - ihre Finanzplanungen und Kreditverträge sind oft auf Jahre im Voraus festgeschrieben. Viel dramatischer dürfte sich die Krise auf den Dienstleistungssektor und den Handel auswirken. Sie brauchen vor allem kurzfristige Kredite. Ein Modehaus leiht sich beispielsweise Geld, um seine Frühjahrskollektion zu bezahlen. Solche Kredite laufen meist nur zwischen drei und zehn Monate, sie machen immerhin fast 40 Prozent aller Finanzierungsformen aus.
"Kurzfristkredite sind seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Schnitt bis zu ein Prozent teurer geworden", sagt Reinhard Dörfler, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern. "Das drückt natürlich auf die Margen der Einzelhändler."
Die in München ansässige Kaufhauskette Ludwig Beck AG hat deshalb am vergangenen Montag eine Kapitalerhöhung vorgenommen, um sich von den teurer werdenden Krediten unabhängiger zu machen. "Noch vor einem halben Jahr waren
Langfristkredite teurer als Kredite mit kurzer Laufzeit", sagt Ludwig-Beck-Finanzvorstand Dieter Münch. "Jetzt ist es umgekehrt." Mittlerweile muss er 4,7 Prozent Zinsen zahlen, fast einen Prozentpunkt mehr als vor einem halben Jahr.
Im Hamburger Stadtteil Ottensen beobachtet Gerd-Uwe Baden die aktuelle Situation genau. Der Deutschlandchef des weltweit größten Kreditversicherers Euler Hermes kennt sich mit den Finanzierungssorgen hiesiger Firmen aus wie kaum ein anderer. Abgesehen von verschärften Kreditbedingungen, gehen laut Baden vor allem "alle Unternehmensfinanzierungen, die an den Verbriefungsmarkt weitergereicht wurden, fühlbar zurück".
Betroffen sind vor allem Mittelständler, die stark wachsen und ein dünnes Finanzpolster haben. Mezzanine heißen die Geldspritzen, sie sind ein Zwitter aus Darlehen und Eigenkapital. Die Firmen müssen dafür stolze Zinsen und Gewinnbeteiligungen an die Investoren zahlen, im Gegenzug können sie ihre Bilanz aufhübschen.
Die Banken bündelten Mezzanine-Spritzen jeweils für mehrere Dutzend Unternehmen, tranchierten die verbrieften Forderungen in mehrere Risikoklassen und verkauften die Zinspapiere schließlich an Banken, Superreiche, Versicherungen und Hedgefonds.
Jetzt herrscht die Mezzanine-Klemme. Neue, nett verpackte Firmenkredite lassen sich aufgrund der Finanzkrise kaum noch platzieren - und die alten Tranchen im Umfang von fünf Milliarden Euro entpuppen sich zusehends als Zeitbomben.
Mit einer ähnlichen Philosophie wie die amerikanischen Hypothekenfinanzierer versorgte nämlich auch die deutsche Bankenprominenz mitunter wackelige Schuldner ohne tiefe Durchleuchtung mit Frischgeld. "Eine strenge Bonitätsprüfung fand bei diesen Programmen nicht statt", sagt Unternehmensberater Uwe Fleischhauer, "mit sehr rudimentären und daher kostengünstigen Analyseverfahren wurden nur Zahlen aus der Vergangenheit herangezogen."
Jetzt häufen sich die Ausfälle, und der Wert der Papiere sackt ab. Allein Marktführer Preps von der Schweizer Capital Efficiency Group, die unter anderem mit Hilfe der HypoVereinsbank über zwei Milliarden einsammelte, geht düsteren Zeiten entgegen. Manche Papiere verzeichnen Wertverluste von bis zu 50 Prozent.
Sechs Firmen mit einem Volumen von 80 Millionen Euro meldeten bereits Insolvenz an. Unter den Ramsch-Firmen finden sich so prominente Namen wie der Schuhhersteller Rohde oder Fußballmaskottchen-Händler Nici, mit dem auch ein Mezzanine-Programm von Deutsche Bank und IKB Millionen versenkte.
"Unsere Ausfallwahrscheinlichkeit ist definitiv zu hoch", gibt Preps-Gründer Sami Chakroun zu und entschuldigt das mit "kriminellen Handlungen" bei den betroffenen Firmen. Chakroun glaubt, dass "alle Programme Ausfälle zu verzeichnen haben". So genau wisse man das aber nicht, der Markt "ist total intransparent".
Tatsächlich brachte Nicis WM-Maskottchen Goleo auch Investoren des Commerzbank-Programms kein Glück. Und die Pleite von Europas größtem Möbelhersteller Schieder kostete den Spezialfonds der DZ Bank stolze 50 Millionen Euro.
Unklar ist weiterhin, bei welchen Banken die Mezzanine-Bombe die größten Schäden anrichten wird. Einige behielten nämlich die Papiere der höchsten Risikoklasse gleich in den eigenen Büchern. Nach hohen zweistelligen Renditen drohen nun Verluste - und ein noch schlechteres Klima in den Firmenkreditabteilungen.
BEAT BALZLI, JANKO TIETZ