DIE WELT, 13.12.2007
Milbradts Götterdämmerung
Das Milliardendebakel bei der Landesbank könnte Sachsens Ministerpräsident das Amt kosten - Nächtliche Krisensitzung in Frankfurt
Den Dezember hatte sich Georg Milbradt (CDU) anders vorgestellt. Sachsens Ministerpräsident, der im August nach einer Serie von Affären und einem katastrophalen Krisenmanagement schwer angeschlagen war, wollte zum Jahresende endlich wieder Führungskraft demonstrieren. Und allen beweisen, dass er der richtige Mann ist, um den ostdeutschen Freistaat und die sächsische Union in die Zukunft zu führen. Um ein deutliches Zeichen des Aufbruchs und Neubeginns zu setzen, hatte sich der als Sturkopf geltende Finanzexperte sogar von zwei treuen Gefolgsleuten getrennt und sein Kabinett an gleich drei Stellen umgebildet.
„Wir wollen Sachsen ganz nach vorn in Deutschland bringen", machte Milbradt sich danach selbst Mut. Jetzt ist der Dresdner Regent genau wieder dort angelangt, wo er im Sommer schon einmal gestanden hatte - vor einem riesigen Scherbenhaufen. Die marode Landesbank Sachsen (SachsenLB), die Milbradt Anfang der 90er-Jahre als Finanzminister aufgebaut und deren Geschäftspolitik er auch als Ministerpräsident maßgeblich beeinflusst hatte, steht vor dem Zusammenbruch. Es wäre eine Pleite, wie sie Deutschland noch nicht erlebt hat. Selbst wenn das Leipziger Geldhaus in den nächsten Tagen gerettet werden kann, führt kein Weg daran vorbei, dass Sachsen Risiken in Milliardenhöhe schultern muss. Damit würde das ostdeutsche Musterland, dessen Markenzeichen stets eine stocksolide Finanzpolitik war, in seiner Entwicklung vermutlich weit zurückgeworfen.
„Ich erwarte, dass Sie auslöffeln, was Sie uns eingebrockt haben, und gehen", sagte die Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau am Mittwoch im Landtag zu Milbradt. Die Erwartungshaltung der Grünen-Politikerin teilen inzwischen selbst viele christdemokratische Kollegen.„ Es ist nicht mehr die Frage, ob er vorzeitig abtritt, sondern wann dies passieren wird", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen ranghohen sächsischen Unionspolitiker. Die SPD als Regierungspartner der CDU sieht das schon seit Wochen ebenso. Personelle Konsequenzen will man allerdings erst fordern, wenn die aktuelle Krise ausgestanden und der Schaden überschaubar ist.
Die SachsenLB war wegen riskanter Geschäfte einer Dubliner Tochter in den Strudel der US-Hypothekenkrise geraten. Um eine Pleite abzuwenden, musste das Institut Ende August in einer Nacht-und-NebelAktion an die Landesbank BadenWürttemberg (LBBW) verkauft werden. Vereinbart wurde seinerzeit, die endgültigen Konditionen des Geschäfts erst zum Jahresende auf Basis einer Rahmenvereinbarung festzusetzen. Er erwarte, dass der Freistaat einen Kaufpreis von „300 Millionen Euro plus X" erhalte, erklärte Milbradt. Außerdem versprach er, dass der sächsische Steuerzahler nicht für Fehlspekulationen der Landesbank geradestehen müsse: „Mit jedem Tag, der vergeht, gehe ich davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit weiterer Risiken für die Bank sinkt.
Eingetreten ist das glatte Gegenteil. Die Krise auf dem US-Hypothekenmarkt hält unvermindert an, und Baden-Württemberg denkt nicht daran, mit der SachsenLB unübersehbare Risiken zu übernehmen. Deshalb soll der Freistaat Sachsen Bürgschaften in Höhe von 4,3 Milliarden Euro übernehmen und die Bank zusätzlich auch noch mit frischem Eigenkapital in Höhe von 500 Millionen Euro ausstatten. Die Opposition im Stuttgarter Landtag hat Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) vorsorglich davor gewarnt, sich in Sachsen auf ein unkalkulierbares Abenteuer einzulassen.
In seiner Not wandte sich Milbradt daraufhin nach einem Bericht der „Leipziger Volkszeitung" an Finanzminister Peer Steinbrück (SPD)-und bekam eine Abfuhr. Unmissverständlich erklärte der Sprecher des Bundeskassenwartes: „Das ist erstens eine Landesangelegenheit. Zweitens ist es eine Sache für die Einlagensicherung beim Sparkassen-Dachverband. Eine dritte Hilfsvariante gibt es nicht."
Bis tief in die Nacht diskutierten Milbradt und sein schwäbischer
Amtskollege Günther Oettinger gestern in Frankfurt über eine Lösung. Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bahn), leitete das Gespräch. Notfalls soll am Wochenende weiter verhandelt werden. Führt dies zu keinem Ergebnis, droht die Schließung der Bank.
Am Dienstag hatte Milbradt im großen Plenarsaal des Landtages die zu einer Krisensitzung einberufenen Abgeordneten von CDU und SPD erstmals über die neuen Schwierigkeiten informiert. Der Ministerpräsident habe dort über die „bösen Baden-Württemberger" geschimpft, die sich aus der Pflicht stehlen wollten, berichtet ein Teilnehmer. Dabei hätten vor der großen Glasfassade, die den Parlamentsraum umgibt, dichte Nebelschwaden gestanden und den Blick auf die Elbe versperrt. „Es war eine gespenstische Atmosphäre, ganz so wie bei einer Götterdämmerung."
Von Uwe Müller