ZEIT--online, 13.12.2007
Milbradt in Not
Die sächsische Landesbank scheint gerettet. Der sächsische Ministerpräsident, der sie einst aus der Taufe hob, ist es noch lange nicht
"Ein schrecklicher Unfall", sagt der Dresdner Finanzwissenschaftler Helmut Seitz, sei die Krise der Sachsen LB. "Aber er bedeutet nicht den Untergang Sachsens." Selbst dann nicht, rechnet der 51-jährige Universitätsprofessor vor, wenn der Freistaat nun eine Bürgschaft von knapp drei Milliarden Euro übernehmen muss und die gesamte Summe fällig würde, um die Verluste der Bank aus ihren fehlgeschlagenen Spekulationsgeschäften mit US-Immobilienkrediten zu decken.
Sachsen müsste dann Schulden aufnehmen. Die Verschuldung pro Kopf würde auf etwa 3000 Euro steigen. Bisher hat der Freistaat den niedrigsten Schuldenstand nach Bayern und vor Baden-Württemberg. Im schlimmsten Fall, erklärt Seitz, würde das Land auf das Niveau der Schwaben rutschen. Damit stünde Sachsen immer noch besser da als die meisten Bundesländer. Zum Vergleich: Die anderen ostdeutschen Länder kommen durchschnittlich auf Verbindlichkeiten von knapp 7000 Euro pro Einwohner.
Vom Mustersparer zum Hauptschuldner
Die Ironie der Geschichte: Sachsen kann Ausfälle bei den Anlagegeschäften der Landesbank nur deshalb relativ unbeschadet ausgleichen, weil der heutige Regierungschef Georg Milbradt (CDU), der die SachsenLB einst mitgründete, in seiner Zeit als Finanzminister von 1990 bis 2001 eisern gespart hat. Durch die Transfers aus dem Westen konnten die Ostländer zunächst ziemlich unbeschwert ihre Haushalte aufstellen. Aber Milbradt traf von Anfang an Vorsorge für die Zeit, in der mit dem Abschmelzen der Solidarhilfen unwiederbringlich auch die Ausgaben sinken müssen.
Doch nun steht der dickschädelige Westfale womöglich dennoch vor der Ablösung, weil er für das Desaster der SachsenLB verantwortlich gemacht wird. "Politisch kopfneutral" werde es nicht abgehen, kommentiert Seitz im Ökonomenslang, ohne einen Namen zu nennen. Auch der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt sieht den Ministerpräsidenten wackeln: "Milbradts Autorität gründet sich auf seine unbestrittene Rolle als Finanzfachmann. Jetzt hat er einen kapitalen Bock geschossen."
Patzelt hält es für möglich, dass sich noch vor Weihnachten entscheidet, ob der Ministerpräsident im Amt bleibt. "Solche Krisen sorgen für einen riesigen Zeitdruck", sagt er. "Der Knoten schürzt sich wie im Bühnendrama."
Erst Sachsen, dann die Partei
Doch ob Milbradt stürzt, ob er der Einzige sein wird - dazu wollen sich Politiker der schwarz-roten Regierungskoalition in Sachsen in diesen Tagen nicht offen äußern. Selbst so extrovertierte politische Gegenspieler wie Ex-Innenminister Heinz Eggert (CDU), einst ein Milbradt-Vertrauter, und
Karl Nolle, der Affären-Chefaufklärer aus der SPD-Fraktion, mahnen zur Zurückhaltung. "Über die politische Verantwortung reden wir dann, wenn die Rettung der SachsenLB in trockenen Tüchern ist. In einer Notsituation müssen alle zusammenstehen", sagt Nolle. Eggert klingt ähnlich: "Warten wir ab. Wir reden über Zahlen wie die Blinden über die Farbe. Wir wissen heute noch nicht, wie hoch die Schulden am Ende sind."
Erst das Land, dann die Partei: Das gilt für den Moment. Spätestens ab nächster Woche, das wissen Eggert und Nolle, wird es um die Zukunft von Georg Milbradt gehen. "Nach der SachsenLB-Entscheidung kann es sein, dass in der Fraktion die Hände hochgehen und das Urteil lautet: schuldlos schuldig", orakelt Eggert. "Dann könnten personelle Konsequenzen nötig sein." Nolle hat den Konjunktiv längst hinter sich gelassen. Für ihn steht seit Monaten fest, dass der Milbradt von den ausufernden Spekulationsgeschäften der Landesbanktochter in Dublin wusste, aber nicht eingriff.
Vieles spricht für Flath
Die Opposition sieht auch im Verhandlungspoker um die SachsenLB keinen Grund, den Ministerpräsidenten zu schonen. Für Sebastian Scheel, den jungen Finanzexperten der Linksfraktion, ist Milbradt längst entmachtet: "Das Schicksal liegt nicht mehr in seiner Hand. Das wird in Berlin entschieden, von der Kanzlerin."
Der Links-Politiker bezweifelt, dass Merkel ihren langjährigen Vertrauten und Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere als Nachfolger nach Sachsen ziehen lässt. Auch für Werner Patzelt ist das "unwahrscheinlich". Der Politologe gibt de Maiziere, der vor seinem Berliner Amt zuletzt Innenminister in Dresden war und dessen Familie immer noch dort wohnt, noch aus einem anderen Grund wenig Chancen: Der Cousin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere ist ein Westdeutscher. "Er wird zwar in Sachsen als tüchtig respektiert", schätzt Patzelt ein. "Aber er gilt auch als wenig verwurzelt hier."
Seit Monaten grummelt es in der sächsischen CDU: Milbradt, selbst ein Westimport, erntete Unmut, als er zwei Minister ostdeutscher Herkunft gegen Westdeutsche austauschte. Ex-Kultusminister Matthias Rößler, der als möglicher Nachfolger gehandelt wird, forderte - nicht uneigennützig - in einem Zeitungsartikel, künftig solle ein Sachse die Sachsen regieren. Ein Affront gegen Milbradt.
Auf dieser Stimmungswelle reitet, wenn auch zurückhaltend, Steffen Flath. Der 50-jährige Agrarwissenschaftler und Katholik aus dem Erzgebirge, Ex-Generalsekretär der Landes-CDU und derzeit Kultusminister, hat sich in der jüngsten Zeit "vom rechten Flügel in die Mitte der Union" bewegt, stellt ein SPD-Oberer fest. Flath ist volksnah, er hat die Emotionalität, die dem nüchternen Milbradt - aber auch dem intellektuell, manchmal arrogant wirkenden de Maiziere - fehlt. Er könnte deshalb in die engste Wahl kommen, falls Milbradt gehen muss. Andere Kandidaten in der Union verfügen nicht über die nötige Hausmacht.
Neuwahlen unwahrscheinlich
Milbradt hat seine Parteifreunde noch am Mittwoch eindringlich vor Neuwahlen gewarnt. Ein Alarmruf, der als Versuch gewertet werden kann, die Union noch einmal zu einen - und sich selbst zu retten. Denn weder CDU noch SPD wollen die Wähler jetzt entscheiden lassen. Für eine Auflösung des Landtags sind zwei Drittel der Abgeordnetenstimme nötig; ohne die CDU geht das nicht.
Ein SPD-Spitzenmann sagt: "Neuwahlen würden keine klaren Mehrheiten schaffen. Ich bin skeptisch, ob es angesichts absehbarer Verluste der CDU noch einmal für Schwarz-Rot reichen würde." Er bezieht sich auf aktuelle Umfragen: Die CDU, die bei der Landtagswahl 2004 mit 41,1 Prozent die absolute Mehrheit einbüßte, könnte deutlich unter die 40-Prozent-Marke rutschen. Selbst wenn die SPD, die damals auf das Niedrigstergebnis von 9,8 Prozent kam, zulegen würde, wäre die nötige Sitzzahl für eine Neuauflage der Großen Koalition nicht garantiert.
Keine Alternative zu Schwarz-Rot
Andere Konstellationen erscheinen unwahrscheinlich. Für ein Linksbündnis bringen Sozialdemokraten und Sozialisten zu wenig Stimmen zusammen. Neben der 10-Prozent-SPD pendelt die Linkspartei bei den Meinungsforschern um ihr letztes Ergebnis von 23,6 Prozent. Daran könnte auch eine Beteiligung der Grünen (2004: 5,1 Prozent) nichts ändern.
Andere Dreierkoalitionen scheinen noch absonderlicher: FDP und SPD liegen inhaltlich weit auseinander, das könnte auch die Union nicht kitten. Der politische Gegensatz zwischen der mehrheitlich konservativen CDU und den Grünen ist so groß, dass ein gemeinsames Bündnis mit den Sozialdemokraten kaum denkbar ist.
Glaubt man den Umfragen, stärkt die Schwächung der CDU die Liberalen (2004: 5,9 Prozent). Aber auch hier bleibt unsicher, ob es bei Neuwahlen für eine Mehrheit beider Parteien reichen würde. Zumal unwägbar ist, ob nicht die Rechtsextremisten der NPD - die 2004 überraschend 9,2 Prozent der Stimmen gewannen - von den Krisen um CDU, Landesbank und den angeblichen "Sachsensumpf" profitieren würden. Die Rechten schwanken zwar in den Umfragen um die fünf Prozent; ihre potenziellen Wähler - das ist aus früheren Befragungen bekannt - sagen aber nicht immer die Wahrheit.
Hat Milbradt sich verspekuliert?
Selbst wenn jetzt andere bei der Rettung der SachsenLB mithelfen: Für die Bürgschaft von 2,75 Milliarden Euro, die dem Land verbleibt, müssen die sächsischen Steuerzahler haften. Georg Milbradt droht, "seinem Kind", der SachsenLB, zum Opfer zu fallen. Er sorgte 1992 für die Gründung der einzigen ostdeutschen Landesbank, nachdem sein Versuch gescheitert war, die anderen neuen Länder einzubinden.
Ende der neunziger Jahre zeigte sich, dass der weiterhin schwache Mittelstand zunehmend unattraktiv für das Kreditgeschäft der SachsenLB wurde. Milbradt drängte Sparkassen und Landesbank zu einer engeren Verbindung, um nach dem Vorbild der Privatbanken ins internationale Investmentgeschäft einzusteigen.
Sein Nachfolger als Finanzminister, Thomas de Maiziere, setzte den Kurswechsel 2001 durch. Von nun machte die SachsenLB ihr Hauptgeschäft auf den internationalen Finanzmärkten, die außerhalb der Bilanz geführten Risikoanlagen der Dubliner Banktochter wurden beständig ausgeweitet.
Warum Milbradt, der erfahrene Finanzmanager und Volkswirtschaftsprofessor, die Spekulationen nicht auf ein vertretbares Verhältnis zum Eigenkapital begrenzen ließ, muss der Untersuchungsausschuss im Landtag klären. Entweder hat er nichts vom riesigen Umfang der riskanten Geschäfte gewusst, oder er hat zu sehr auf die guten Noten der Rating-Agenturen vertraut.
Möglicherweise hat er die US-Immobilienkrise auch aufziehen sehen, aber gehofft, den schon länger geplanten Verkauf der SachsenLB noch rechtzeitig abschließen zu können. Dann wäre er jetzt ein Held der Sachsen. Und sie würden ihm sogar nachsehen, dass er selbst als Regierungschef immer Finanzminister geblieben ist.
Von Thomas Datt und Arndt Ginzel