Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, Seite 4, 22.01.2008

Die Stunde der Wahrheit

Scheitern der Kreisreform wäre bitterer Fehlschlag für Sachsens Koalition
 
Dresden. Drei Jahre lange haben CDU und SPD, der Regierungschef und die Minister, die Landräte und Bürgermeister verhandelt – heute und morgen nun steht die abschließende Entscheidung im Landtag über die Kreis- und Verwaltungsreform des Freistaates bevor. Die Stunde der Wahrheit schlägt. Nach der Verschiebung dieses Schicksalstages um einen Monat steht nunmehr ein Abstimmungsmarathon über zwei volle Tage an. Hunderte einzelne Artikel und Anträge müssen durchgestimmt werden – ein Prozedere, das noch einmal spannend wird.

Für Nervenkitzel sorgen vor allem ein halbes Dutzend Koalitionsabgeordnete mit Änderungswünschen für ihre jeweilige Region. Dabei geht es um Forderungen nach Kreissitzen in Grimma und Aue statt Borna und Annaberg, um die Zukunft der Region Döbeln und die Selbstständigkeit von Plauen. Heikel dabei: Stimmt eine Hand voll Koalitionäre gemeinsam mit der Opposition für Korrekturen und fehlen zudem ein paar Abgeordnete in der Abstimmung, könnte es für die Mehrheit der Regierung denkbar knapp werden – und das ganze Konstrukt droht einzustürzen. Dies freilich wäre ein bitterer Fehlschlag für das wohl wichtigste Projekt dieser Wahlperiode und für Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) selbst. Ein Reinfall, der von manchem Kritiker gar gewollt sein könnte.

Um solchen Szenarien vorzubeugen, wurden bis zuletzt Vier-Augen-Gespräche in Serie geführt. „Wir haben gefragt, ob es abweichendes Stimmverhalten gibt“, räumt CDU-Fraktionschef Fritz Hähle ein. „Nach allem, was wir wissen, gibt es aber beste Chancen, dass das Gesetz verabschiedet wird.“ Bei den Änderungsanträgen rechnet Hähle jedoch mit maximal drei Stimmen aus seinen Reihen – denn untereinander würden sich die Abweichler kaum unterstützen.
Ähnlich ist das Stimmungsbild bei der SPD. Für Änderungswünsche regional betroffener Abgeordneter wie Enrico Bräunig, der für Plauen kämpft, und für Mario Pecher gebe es in der Fraktion zwar Verständnis, aber keine Rückendeckung, sagt deren Fraktionschef Martin Dulig. Die Reform sei „ein gutes Werk“. Er gehe daher davon aus, dass die vereinbarte Linie nicht verlassen wird „und wir zustimmen“. Behalten die Fraktionschefs Recht, wäre am Mittwochabend – spätestens aber aus formalen Gründen am Freitag – der Umbau der sächsischen Verwaltung endlich beschlossene Sache.

Die stößt allerdings auf großes Missfallen vieler betroffener Bürger etwa aus Grimma und Aue, die am Mittwoch busseweise anreisen und vor dem Parlament demonstrieren wollen. Eine später zurückgezogene Bemerkung Milbradts über Absprachen mit der SPD zugunsten von Borna hatten den Zorn der Gegner weiter geschürt.

Heftigen Gegenwind gibt es auch aus der Opposition. „Die Reform ist kraft- und mutlos. Bürgernähe, Bürokratieabbau und Kosteneinsparungen wurden nicht erreicht, Entscheidungen über die Köpfe hinweg getroffen“, kritisiert etwa Torsten Herbst, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP. Die Liberalen fordern unter anderem die Abschaffung der Regierungspräsidien. Ähnlich äußert sich der Grünen-Politiker Karl-Heinz Gerstenberg: „Irreführend, zentralistisch und demokratiefeindlich“ sei die Reform. Sie gehe „brutal und willkürlich über regionale Bedürfnisse hinweg“. Zudem kritisieren die Grünen die Zerschlagung der bisherigen, effektiven Umweltverwaltung.

Eine ganze Reihe von Änderungsanträgen hat nicht zuletzt die Linke angekündigt. „Die Koalition kann nicht auf unsere Unterstützung setzen“, sagt Fraktionschef André Hahn. In der Regierung herrsche Chaos. Auf Beistand können allerdings auch Linke, Grüne und FDP nicht hoffen. Im federführenden Innenausschuss waren zuletzt alle Anträge der Opposition abgeschmettert worden.
Auch Milbradt selbst hatte an alle Beteiligten appelliert, das Projekt nicht mehr scheitern zu lassen. „Jede Verzögerung bedeutet das Ende der Reform. Wer jetzt noch Detailveränderungen fordert, der will die ganze Reform nicht“, hatte Milbradt vor wenigen Tagen dieser Zeitung gesagt. Eventuelle Klagen könnten ihn nicht schrecken.
von Sven Heitmann

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