Freie Presse Chemnitz, 28.01.2008
"CDU hat keine Lust auf Neuwahlen"
Wirtschaftsminister Jurk über die brüchige Regierungskoalition und die Rolle seiner SPD in Sachsen
Dresden. Die SPD stehe zur sächsischen Regierungskoalition, versichert Parteichef und Wirtschaftsminister Thomas Jurk. Damit differenziert er nach den Ausfällen seiner Abgeordneten Mario Pecher und Karl Nolle gegen Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) zwischen Treue zur Partnerschaft mit der Union und dem Mann an der Spitze. Die Regierungsbeteiligung habe sich für die SPD ausgezahlt, betont Jurk. Im Gespräch mit Hubert Kemper spricht er über den Umgang mit der Landesbank-Krise, über Folgen der Kreisreform und Erwartungen an den Termin der Landtagswahl 2009.
Freie Presse: In Ihrer Regierungsehe mit der CDU knirscht es weiter bedenklich. Wannelfolgt die Trennung?
Thomas Jurk: So schlagzeilenträchtig ein solcher Schritt auch wäre: Die SPD denkt nicht an Trennung. Wir stehen zur Koalition.
Freie Presse: Einige Ihrer Abgeordneten schießen aber heftig quer und fordern die Ablösung des Ministerpräsidenten.
Jurk: Ich betone: Die SPD steht verlässlich zur Koalition. Wer als Ministerpräsident an der Spitze der Regierung steht, darüber entscheidet die CDU. An ihr liegt es, hopp oder topp zu sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die CDU gegenwärtig Lust auf Neuwahlen hat.
Freie Presse: Die Attacken eines Karl Nolle seien eine ständige Provokation für das Bündnis, klagt die Union. Haben Sie resigniert, Nolle in die SPD-Disziplin einzubinden?
Jurk: Nolle ist ein typischer Individualist, der aus dieser Rolle auch seine Stärken zieht. Das ist wie im Fußball: Ein Einzelspieler schießt gelegentlich spielentscheidende Tore. Doch manchmal kann man sich über seine Extratouren nur schwarz ärgern.
Freie Presse: In manchen Umfragen dümpelt Ihre Partei immer noch im einstelligen Prozentbereich. Hat sich die Regierungsbeteiligung für die SPD überhaupt gelohnt?
Jurk: Ja, trotz einzelner Umfrageergebnisse. Ich bin froh darüber, dass wir derzeit bei knapp 20 Prozent liegen. Wer aber so lange wie wir auf der Oppositionsbank saß, der atmet auf, wenn er mitgestalten kann. Die Zwischenbilanz unseres Engagements kann sich sehen lassen, von der Verbesserung der Kinderbetreuung über Impulse in der Schulpolitik und der Verhinderung von Studiengebühren, natürlich vor allem im Ressort Wirtschaft und Arbeit. Dort legen wir jetzt zusammen mit dem Bund und den Kommunen ein neues Arbeitsmarktprojekt auf, das vielen Menschen im Bereich Sport, Kultur und Soziales wieder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringen wird.
Freie Presse: Bevor die Affären um den Verfassungsschutz und die Landesbank den Ministerpräsidenten unter Druck setzten, setzte die CDU Sie unter Druck. Hat sich Ihre Position seitdem verändert?
Jurk: Ich denke, die Krisen haben dazu beigetragen, dass wir uns gegenseitig besser zuhören. Wir haben uns nicht verdrückt, als es eng wurde. Zu einem Klimawandel in der Koalition hat aber auch die personelle Veränderung an der Spitze der Staatskanzlei beigetragen.
Freie Presse: Auch der Wirtschaftsminister Jurk war in den Aufsichtsgremien der Landesbank vertreten. Fürchten Sie, für Kontrolldefizite in Mithaftung genommen zu werden?
Jurk: Ich bin selbst sehr an dem Ergebnis der Untersuchung interessiert, weil ich alles, was ich gemacht habe, verantworten kann, und plädiere dafür, die Unterlagen auch dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung zu stellen. Die Abgeordneten sollen sich ein objektives Bild von den Entscheidungsabläufen machen.
Freie Presse: Das verlangt die Opposition auch in der Affäre um Verfassungsschutzakten.
Jurk: Mit dem Unterschied, dass der Untersuchungsauftrag des Ausschusses offenbar nicht verfassungsgemäß ist und das Gericht nun Recht sprechen muss. Allerdings hätte ich mir im Umgang mit dieser so genannten Affäre einen wesentlich kühleren Kopf gewünscht.
Freie Presse: Bei wem?
Jurk: Sowohl bei unserer Regierung, erst recht bei der Opposition. Was wir im Landtag an Niveauverlust, ausgelöst auch durch die überbordende Neigung zu Eigenprofilierung, erleben, bedrückt mich zunehmend.
Freie Presse: Wirkt da die Kritik an der SPD nach, die im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform erst die Regierungspräsidien abschaffen wollte und dann alles beim Alten beließ?
Jurk: Diese Reform war für die Zukunft unseres Landes alternativlos. Auch in dieser Frage hätte ich mir von der Opposition mehr Verantwortungsbewusstsein gewünscht. Aber ein solcher Prozess ist ohne Kompromisse mit den Landkreisen und Gemeinden nicht machbar. Die Beibehaltung der drei Mittelbehörden zählt sicher dazu, wobei die neuen Landesdirektionen künftig andere Strukturen und Aufgaben haben werden als die bisherigen Regierunispräsidien.
Freie Presse: Ist die neue Struktur Sachsens mit zehn Landkreisen schon die Blaupause für ein künftiges Mitteldeutschland?
Jurk: Solch einschneidende Veränderungen sind nur möglich, wenn sie von den Bürgern aus innerer Überzeugung mitgetragen werden. Noch hängen die Sachsen oder Thüringer viel zu sehr an der identitätsstiftenden Wirkung, die die Wiederbegründung ihrer Länder bewirkt hat.
Freie Presse: Wenn Ihre Koalition bis 2009 hält, werden die Landtagswahlen sehr dicht an den Bundestagswahltermin reichen.
Jurk: Nein, sie werden sogar am selben Tag stattfinden. Die sonst entstehenden Mehrkosten würden wir gegenüber dem Bürger nicht vertreten können.
Freie Presse: Die CDU muss den Wahltermin fürchten, weil die SPD bei Bundestagswahlen bis zu dreimal mehr Stimmen erhalten hat als bei Landtagswahlen.
Jurk: Ich denke, die Wähler werden zwischen Land und Bund unterscheiden können, auch wenn die Wahl auf einen Tag fällt.