Freie Presse Chemnitz, 30.01.2008
Überwindung - Bartl's Skandaleinschätzung ist ein Signal
Kommentar von Hubert Kemper
Der „Chefankläger" ordnet seinen Rückzug. Sachsens skandalverschrecktes Bürgertum reibt sich erstaunt die Augen. Klaus Bartl, führender Verbreiter schlimmster Spekulationen über die Verstrickung ranghöchster Juristen und Politiker in üble, rotlichtgefärbte Halbweltgeschäfte, vertraut heute der Justiz und will nicht mehr ausschließen, dass sich der angebliche Sachsensumpf auf eine Aktenaffäre im Verfassungsschutz reduziert. So, wie von der Regierung seit einem halben Jahr behauptet.
Bartls Einsichten haben Gewicht. Menschlich verlangen sie Respekt Wer sich so weit aus dem Fenster gelehnt hat, benötigt Überwindung, um geifernden Eifer und eigene Fehleinschätzungen in der lesterie der ersten Monate einzugestehen. Die halbe Rolle rückwärts spricht zugleich für die Geschmeidigkeit eines politischen Überlebenskünstlers, der seine Reputation nicht durch Kämpfe auf aussichtslosen Schlachtfeldern einbüßen will.
Politisch kann Bartls neue Sicht auf den Skandal nicht hoch genug bewertet werden. Als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, der die Gerüchtesammlung des Verfassungsschutzes parlamentarisch aufklären soll, steht der Linksfraktionär an der Spitze eines oppositionellen Geleitzuges, an den sich auch seine Juristenkollegen Jürgen Martens für die FDP und Johannes Lichdi für die Grünen angekoppelt haben. Ob auch sie nun Kurs auf einen sichereren Hafen nehmen? Schließlich ist noch immer unklar, ob das sächsische Verfassungsgericht überhaupt grünes Licht für den Ausschuss und dessen Vorsitzenden Bartl gibt.
Monatelang hat die vermeintliche Affäre Sachsen in Atem gehalten und den Ruf des Freistaates beschädigt. Die Vertrauenskrise, gefördert durch schlechte Kommunikation der Staatskanzlei, wirkt bis heute nach. Und immer wieder tauchen offenbar gezielt gestreute Nachrichten über einen angeblich doch vorhandenen Sumpf auf.
Umso mehr Respekt verdient Bartls Eingeständnis, im Überschwang der ersten Erregung dem einstmals von ihm verpönten Verfassungsschutz möglicherweise auf den Leim gegangen zu sein.
Noch ist es zu früh, den gesamten Komplex über vermeintlich anrüchige Milieus in Leipzig oder Plauen in heißer Luft aufgehen zu sehen. Das sagt Bartl, davor warnt auch die Staatsanwaltschaft. Doch die Relativierung der Vorwürfe ist ein erster Schritt für die Wiederherstellung zerstörten Vertrauens und fast ein hoffnungsvoller Wink für eine Verbesserung der schwer belasteten politischen Kultur.