DNN/LVZ, 31.01.2008
Rolle rückwärts
Kommentar von Micha Schneider
Schadensbegrenzung nach der Rolle rückwärts – so muss man die Reaktionen von Klaus Bartl, Chef des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur sächsischen Aktenaffäre, werten. Getreu dem immer mehr um sich greifenden Politiker-Motto „Wahrheit ist das, was mir nutzt und dem politischen Gegner schadet“ stand er in vorderster Front derer, die ein Sachsen-Bild zeichneten, das nur so strotzte von Korruption, Kinderprostitution, Strafvereitelung, kriminellen Netzwerken aus Politik, Justiz, Wirtschaft und Verwaltung. Sein Ziel, in der Wählerschaft zu punkten, hat er voll erreicht. Nur er und seine Partei, mit der er von der SED bis zur Linken mitging, haben im Freistaat an Vertrauen gewonnen.
Dass gleichzeitig ein ganzes Bundesland in Misskredit geraten ist, scheint ihn nicht zu stören. Die Mär von tanzenden Prostituierten im Leipziger Rathaus und flächendeckender, staatlich tolerierter Korruption ist deutschlandweit verbreitet. Stammtischparolen West vom sinnlosen Soli-Zuschlag und den faulen Ossis, die nur auf unsere Kosten leben, nach sich ziehend. Aber daran wird Klaus Bartl kaum gedacht haben, wo er sich doch bis heute zugegebenermaßen nicht der unterschiedlichen Befugnisse von Stasi und Verfassungsschutz bewusst ist. „Wir wissen, was abgelaufen ist“, tönte Bartls Stasi-Kollege Külow noch vor zwei Wochen bei einer Podiumsdiskussion in Oschatz, und SPD-Lautsprecher
Karl Nolle legte in Leipzig die Behauptung „der Sumpf ist nur die Fortsetzung des schwarzen Filzes“ nach.
Wenn Bartl mit seiner späten Einsicht – zumindest dafür muss man ihm Respekt zollen – den Weg dafür frei gemacht haben sollte, dass nun endlich ohne Schaum vorm Mund wirkliche Aufklärungsarbeit betrieben wird, wäre das mehr als Schadensbegrenzung. Was kriminell gelaufen ist, gehört auf den Tisch und gegebenenfalls vor die Justiz. Selbst wenn sich in der vom Sumpf zur Pfütze geschrumpften Affäre kein mafiöses Netzwerk ausmachen lässt, müssen mögliche Verfehlungen Einzelner aufgedeckt werden. Das ist wichtig für das Land Sachsen und seine Bürger, wichtig aber auch für mittlerweile unter Generalverdacht stehende ganze Berufsgruppen. Die neue Sachlichkeit, die Bartl an den Tag legt, sollte sich auf alle an der Aufklärung Beteiligten übertragen. Das gilt bis hin zum Ministerpräsidenten, der in der Vergangenheit – ob gewollt oder ungewollt, das sei dahingestellt – eher den Eindruck des Untersuchungs-Verhinderers erweckte.
Realität ist nicht das, was man gerne will, sondern das, was ist. Politiker vornehmlich tun sich schwer mit dieser Binsenweisheit. Die legendäre Zeichnung des DDR-Karikaturisten Roland Beier, der das Ende der realsozialistischen Epoche 1990 genial versinnbildlichte, bringt das auf den Punkt: Ein arglos herumstehender Karl Marx sagt beiläufig: „Tut mir leid, Jungs, war halt nur so ne Idee von mir“. Sicher ist es ja nicht schlecht, wenn ein Politiker auch mal ne Idee hat. Der Sachverstand sollten dabei aber nicht ausgeschaltet sein.
@m.schneider@lvz.de