Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 15.04.2008

Regisseur des eigenen Abgangs

Seinen Rücktritt hat Georg Milbradt minutiös vorbereitet. Die Chronik einer aufregenden Woche.
 
Es dauert nur knapp drei Minuten, dann hat Georg Milbradt es hinter sich. So leicht wird man nach 18 Jahren ein politisches Spitzenamt los. Rücktrittserklärung, stilvoll in der Englischen Bibliothek der Staatskanzlei. „Und ab wann gilt das? Ab sofort?“, fragt ein Journalist irritiert, als der Noch-Regierungschef längst wieder in sein Zimmer entschwunden ist, das er am 28.Mai räumen wird. Das hat Georg Milbradt so beschlossen. Für seine letzten Amtstage führt er die Regie.

Rücktritt mit Lächeln

Es ist Montag, der 14. April 2008, 10.22 Uhr, als zunächst eine mysteriöse Einladung die Presse an diesem Montagmorgen aufscheucht. Der Ministerpräsident wolle sich um 12 Uhr „zur aktuellen politischen Lage“ äußern, heißt es darin trocken. Nachfragen seien nicht zugelassen. Wenige Minuten später laufen die ersten Eilmeldungen über die Nachrichtenagenturen. Milbradt tritt zurück.

Wenig später, Highnoon in der Staatskanzlei: Kamerateams und Fotografen stehen dicht gedrängt vor einem kleinen Rednerpult. Gespanntes Warten. Dann kommt der 63-Jährige mit einem Tross von engsten Mitarbeitern durch den Flur in den kleinen Raum. Milbradt lächelt. Lässig hält er eine grüne Mappe mit Sachsen-Wappen in der Hand und tritt entschlossen an das Pult vor der Wand mit den Bildern seiner zehn Amtsvorgänger. Über seine Schulter lächelt ausgerechnet Kurt Biedenkopf von einem Foto herüber. Dann trägt Milbradt ruhig-angespannt seine Erklärung vor. „Sooooo“, sagt er am Ende verlegen. Er schaut den wartenden Journalisten mit festem Blick in die Augen. Seit fast zwei Wochen war er vor ihnen regelrecht geflüchtet.

Überraschend, aber nicht unerwartet kam gestern die Rücktrittserklärung. Milbradt habe die Möglichkeit einer freiwilligen Amtsaufgabe, wie gestern durchsickerte, in den vergangenen vier Wochen mehrfach mit den wenigen ihm verbliebenen politischen Weggefährten durchgesprochen und abgewogen. Am Ende sei es nur noch um den richtigen Zeitpunkt gegangen, heißt es.

Gehen, bevor er gegangen wird; ein zweites „Biedenkopf-Trauma“ wollte er seiner Partei ersparen. Als Regierungschef habe er sich noch dem Untersuchungsausschuss zur Landesbank stellen wollen. Die Kommunalwahl am 8. Juni wollte er jedoch nicht länger belasten mit den Negativ-Schlagzeilen um seine umstrittenen privaten Bank-Geschäfte.

Dass auch seine Ehefrau Angelika Meeth-Milbradt vor einer Woche in den öffentlichen Abwärtsstrudel gezogen wurde, sei ihm sehr nahegegangen, heißt es aus Milbradts Umfeld. Mit sich und seiner Familie sei er bereits seit Längerem im Reinen gewesen, dass er sich in diesem Jahr zurückziehe. Doch er wollte nicht gehen ohne geordnete Nachfolge.

Treffen mit Kronprinzen

Minutiös bereitet Milbradt in der vergangenen Woche darum völlig unbemerkt alles vor. Er trifft sich mit den drei möglichen „Kronprinzen“ zum Vier-Augen-Gespräch; am Montag zunächst am Rande der CDU-Präsidiumssitzung in Berlin mit Kanzleramtschef Thomas de Maizière, einen Tag später mit Kultusminister Steffen Flath und Finanzminister Stanislaw Tillich. Keiner der drei wusste dem Vernehmen nach von den Gesprächen mit den anderen. Alle drei sollen aber signalisiert haben, dass sie wenig geneigt zur Übernahme des Spitzenamtes seien – zumindest nicht unter diesen Bedingungen und auch nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Daraufhin lädt Milbradt am Sonntag gegen 14 Uhr den engsten Führungskreis der Union in sein Privathaus nach Dresden-Pappritz ein. Ab 19 Uhr sind am Esszimmer-Tisch versammelt: Thomas de Maizière, Stanislaw Tillich, Steffen Flath, Fraktionschef Fritz Hähle und CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. Serviert wird Mineralwasser und schwarzer Tee.

Kungelrunde beim Tee

Milbradt eröffnet den Abend mit der Mitteilung, dass er bereits am Montag seinen Rücktritt erklären wolle. Doch vorher müsse klar sein, wie es nach ihm weitergehe. Die Diskussion beginnt. Alle Optionen, der ideale Zeitpunkt für den Wechsel und weitere Personalentscheidungen werden durchgesprochen. Dann einigen sich die sechs Männer auf die Lösung Tillich. Auch der Wechsel an der Fraktionsspitze von Hähle zu Flath wird für Ende Mai festgezurrt. De Maizière soll die Landesliste zur Bundestagswahl 2009 anführen und ein Mandat zur Absicherung seiner Position in Berlin anstreben.

Alles ist aufgeteilt. Dann wird nur noch der Ablauf des Montags abgesprochen, wer tritt wie und wann vor die Presse. Das Paket ist geschnürt. Jetzt wird eine Flasche Rotwein geöffnet, und die sechs Männer stoßen miteinander an. Der nächste Tag läuft ab wie ein Uhrwerk. Nur die Nachricht, dass auch Hähle sich zurückzieht, dringt einen Tag früher als geplant durch.

Möbel mit Symbolkraft

Wenige Stunden nach seiner Rücktrittserklärung sitzt Georg Milbradt mit seinen engsten Mitarbeitern bei Kaffee und Kuchen in seinem Amtszimmer zusammen. Er kann schon wieder verschmitzt lächeln; wohl auch darüber, dass er am Ende seinen Abgang als Überraschungs-Coup inszenieren konnte. Dann wieder Routine: Milbradt empfängt Tschechiens Außenminister.

Da steht auch ein Möbelstück mit Symbolkraft längst wieder in der Staatskanzlei: das Rednerpult, an dem Milbradt seinen Rücktritt erklärt hat. Gleich danach hatte das gute Stück mit Sachsen-Wappen die Staatskanzlei auf einer Sackkarre in Richtung Finanzministerium verlassen. „Der König ist tot. Es lebe der König“, hieß es in der Monarchie.
Von Annette Binninger

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